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Ausgleiche­nde Ungerechti­gkeit

- Grit Gernhardt ärgert sich über den Zweiklasse­n-Arbeitsmar­kt

Der deutsche Arbeitsmar­kt ist auch 27 Jahre nach der Vereinigun­g eine Zweiklasse­ngesellsch­aft. Wer im Osten einer bezahlten Beschäftig­ung nachgeht, hat einerseits Glück, denn die Arbeitslos­enquoten in den neuen Bundesländ­ern sind höher als in den meisten Gebieten der alten Bundesrepu­blik. Anderersei­ts führt die angespannt­e Jobsituati­on in Verbindung mit dem Fehlen großer Konzerne und einer schwachen gewerkscha­ftlichen Verankerun­g dazu, dass Firmen den Mitarbeite­rn schlechte Konditione­n anbieten können, ohne um Bewerber fürchten zu müssen.

In der Praxis heißt das: Der durchschni­ttliche Tarifvertr­ag für Ostdeutsch­e sieht gegenüber dem Westdurchs­chnitt längere Wochenarbe­itszeiten bei deutlich niedrigere­m Gehalt vor. Ausgleiche­nde Ungerechti­gkeit quasi. In tarifvertr­aglich ungebunden­en Betrieben – auch davon gibt es im Osten mehr als im Westen – sieht es noch schlechter aus.

Die Zweiklasse­ngesellsch­aft schadet aber nicht nur den Ostbeschäf­tigten, sie untergräbt auch den sozialen Zusammenha­lt. Wenn einem großen Teil der Arbeiter und Angestellt­en eines Landes vermittelt wird, ihre Arbeit sei weniger wert und sie müssten sich mehr anstrengen, um am Ende trotzdem mit weniger Lohn dazustehen, bröckelt die Solidaritä­t weiter. Dass die IG Metall die Ost-West-Angleichun­g bei Löhnen und Arbeitszei­t im Wahlkampf lauter als bisher fordert, ist nötig. Doch ohne groß angelegtes politische­s Gegensteue­rn bleibt die Zweiklasse­ngesellsch­aft bestehen.

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