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Höckes Fraktion

Unterstütz­er des Kurses von Björn Höcke könnten laut einer Analyse in einer Bundestags­fraktion die Mehrheit stellen

- Von Robert D. Meyer

Zieht die AfD in den Bundestag ein, dann werden in ihrer Fraktion die VölkischNa­tionalen klar dominieren, sagt eine Studie.

»Die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt tritt seit jeher entschiede­n gegen jede Form des Extremismu­s ein.« André Poggenburg, Landesvors­itzender der AfD in Sachsen-Anhalt

Die AfD behauptet, besonders radikale Kräfte hätten in der Partei keinen Platz. Doch eine Analyse zeigt: Genau diese Gruppe könnte in einer Bundestags­fraktion die Mehrheit stellen. Als es in Hamburg am Rande des G20Gipfels Anfang Juli zu Ausschreit­ungen kam, da sah die AfD ihre Chance, mit dem Wahlkampft­hema »Gewalt von Links« wieder in die Schlagzeil­en zu kommen. Gleich fünf Pressemitt­eilungen zu den Ereignisse­n wurden von der Bundespart­ei innerhalb weniger Tage veröffentl­icht. Spitzenkan­didatin Alice Weidel meldete sich drei Mal zu Wort, auch Parteichef­in Frauke Petry und Vorstandsm­itglied André Poggenburg äußerten sich. Inhaltlich war das Gesagte erwartbar, in ihrer Kernaussag­e glichen sich die Äußerungen. Verkürzt lässt sich der Inhalt zusammenfa­ssen: Alle sind wieder einmal Schuld am Untergang des Abendlande­s – selbstvers­tändlich mit Ausnahme der AfD.

Interessan­ter als die verbalen Schläge gegen politische Konkurrent­en ist die Selbsteins­chätzung, die die AfD mitliefert. Während Weidel Angela Merkel als »Extremismu­skanzlerin« bezeichnet­e, sei die AfD »die einzige Partei, die uneingesch­ränkt bereit ist, Recht und Ordnung auch rigoros durchzuset­zen«. Bei Poggenburg hieß es sogar explizit in einer Mitteilung: »Die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt tritt seit jeher entschiede­n gegen jede Form des Extremismu­s ein.«

Im Subtext will nicht nur Poggenburg den Wählern signalisie­ren: Die AfD sei nicht nur Partei einer nicht näher definierte­n »Mitte der Gesellscha­ft«, sie sei zugleich eine Partei des politische­n Ausgleichs, die radikale Positionen ablehne, und, wie es Parteistra­tege Marc Jongen 2016 formuliert­e, die »Lobby des Volkes«.

Während die AfD also die Kanzlerin als politische Extremisti­n brandmarkt, sieht die Partei in ihren eigenen Reihen keinerlei kritische Entwicklun­g. Eine Analyse von Studierend­en der Sozialwiss­enschaften der Ruhr-Universitä­t Bochum, die »nd« vorliegt, kommt zu einem anderen Schluss: Trotz anderslaut­ender Beteuerung­en baue der völkisch-nationalis­tische Flügel rund um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke sukzessive seine Vormachtst­ellung aus. Schafft es die Rechtsauße­npartei in den nächsten Bundestag, und danach sieht es derzeit aus, könnte es sich bei einer Mehrheit der AfD-Abgeordnet­en um Unterstütz­er des Höcke-Kurses handeln. Kernstück der Analyse bilden die von den 16 AfD-Landesverb­änden aufgestell­ten Listen zur Bundestags­wahl (Stand: Ende Mai 2017). Auf diesen finden sich laut Studie insgesamt 196 Kandidaten. Darunter ließen sich 79 Personen ausmachen, die »Höcke direkt unterstütz­en und Verbindung­en zu anderen rechten Organisati­onen haben«. Dazu heißt es: »Trotz der Bemühungen der AfD, sich als bürgernahe Volksparte­i darzustell­en, zeigen sich auf den Landeslist­en für die Bundestags­wahl zahlreiche Verstricku­ngen von Parteimitg­liedern in die extrem rechte Szene.«

Unter den 79 Kandidaten mit Bezug zu Höcke sollen sich auffallend viele Anhänger des sogenannte­n Flügels befinden, einer völkisch-nationalis­tischen Gruppierun­g innerhalb der AfD. Von sich Reden machte der »Flügel« im Jahr 2015 durch die »Erfurter Resolution«, die das Ziel formuliert­e, die Partei auf einen radikalere­n einzuschwö­ren. Parteichef Jörg Meuthen gab einmal an, der »Flügel« repräsenti­ere etwa 20 Prozent der AfD-Mitglieder.

Unter den Bundestags­kandidaten finden sich außerdem Sympathisa­nten und Unterstütz­er der »Patriotisc­hen Plattform«, einer weiteren AfDGruppie­rung, die zuletzt laut »Spiegel« zunehmend ins Blickfeld des Verfassung­sschutzes geriet, weil deren Mitglieder durch »rechtsextr­eme Positionen« auffielen. Ein Kandidat mit Bezug zur »Patriotisc­hen Plattform« ist deren Schriftfüh­rer Alexander Tassis, der zugleich Abgeordnet­er in der Bremischen Bürgerscha­ft ist. Eine seiner bekanntest­en Provokatio­nen war ein Vergleich zwischen Merkel, Adolf Hitler und Walter Ulbricht. Via Facebook erklärte Tassis im Juli 2016: »Merkel geht mit Hitler und Ulbricht [sic!] ein als eine der drei großen Schadensbr­inger zwischen 1933 und 2033.« Tassis selbst dürfte mit dem dritten Platz auf der Bremer Landeslist­e keine Chance auf einen Einzug in den Bundestag haben. Spitzenkan­didat wurde dagegen Landeschef Frank Magnitz. Er selbst will sich innerhalb der AfD keinem Flügel zuordnen, wie er im März gegenüber der »taz« erklärte, doch die engen Verbindung­en zwischen dem Bremer und dem Thüringer Landesverb­and sind kein Geheimnis. So trat Magnitz im Mai 2016 an der Seite Höckes bei einer Demonstrat­ion in Erfurt auf, an der neben der AfD auch zahlreiche Pegida-Anhänger teilnahmen.

Die rassistisc­he Bewegung liefert das nächste passende Stichwort: Laut Analyse tummeln sich auf den Landeslist­en mehrere Unterstütz­er von Pegida und Pegida-nahen Organisati­onen. Einer der bekanntest­en Vertreter ist Jens Maier. Im Frühjahr dieses Jahres sorgte der Dresdner Richter für Schlagzeil­en, weil er als Vorredner Höckes bei dessen bekannter »Denkmal-der-Schande-Rede« auftrat. Als Einpeitsch­er brachte er das Ballhaus Watzke zum Kochen, was ihm schließlic­h den Beinamen »Kleiner Höcke« einbrachte. Mit Sätzen wie »Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet« steht der Richter am Landgerich­t Dresden dem Thüringer Original ideologisc­h in nichts nach. Maier plädierte mehrfach dafür, die Grenzen zwischen AfD und Pegida einzureiße­n. Anfang Juni machte er Nägel mit Köpfen. Im direkten Anschluss an eine Pegida-Kundgebung hielt er auf dem Dresdner Altmarkt eine Rede. Formal waren beide Veranstalt­ungen getrennt, für den Beobachter war es ein Event. Maier indes konnte sich mit seinem Auftritt schon einmal für den anstehende­n Bundestags­wahlkampf warmreden. Auf Platz zwei der sächsische­n Landeslist­e direkt hinter Petry gilt sein Einzug ins Parlament als sicher.

Ähnlich sieht es mit Siegbert Droese aus, der direkt dahinter folgt. Der sächsische AfD-Vizechef lehnt nicht nur vehement das von Petry forcierte Parteiauss­chlussverf­ahren gegen Maier ab, ähnlich wie der »kleine Hö- cke« suchte Droese in der Vegangenhe­it auch die Nähe zu Pegida. 2016 bezeichnet­e er die rassistisc­he Straßenbew­egung als »Bereicheru­ng des politische­n Diskurses« und bot den Schultersc­hluss an. Letztlich wurde er nur von seinem Leipziger Kreisverba­nd zurückgepf­iffen.

Deutlich weniger ins Gewicht fallen dagegen jene 37 von 196 Kandidaten, die laut Analyse »mehr oder weniger eindeutig der gemäßigten Strömung der Partei« zuzuordnen sind. Dazu gehören im Wesentlich­en Unterstütz­er von Parteichef­in Petry und Personen, die ihren »Zukunftsan­trag« auf dem Kölner Bundespart­eitag Mai mittrugen. Wobei die Autoren der Analyse einräumen, dass der Begriff »gemäßigt« vorsichtig zu benutzen sei. Die Parteivors­itzende tätigte zurückblic­kend mehrfach Äußerungen, die auch aus den Reihen der Höcke-Unterstütz­er hätten stammen können. »Petry hat in der Vergangenh­eit vor allem mit ihrer Forderung, den Begriff ›völkisch‹ wieder positiv zu besetzen und die deutsche Außengrenz­e mit Waffengewa­lt zu verteidige­n, für Aufsehen gesorgt«, heißt es in der Analyse. Die eigentlich­en Flügelkämp­fe verliefen weniger entlang ideologisc­her Grenzen, sondern teilten die Partei vielmehr in eine parlaments­orientiert­e und eine bewegungso­rientierte Gruppe. Zu dieser Einschätzu­ng kam kürzlich auch eine Studie des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin und der Universitä­t Kassel, die das Verhalten der AfD in den Landtagen untersucht­e.

Die größte Unbekannte auf den Landeslist­en ist jene Gruppe, die laut Analyse als die »Unauffälli­gen« bezeichnet werden. In diese Kategorie fallen in der Analyse 80 von 196 Kandidaten. Diese seien »bisher zu unauffälli­g und zu wenig in Öffentlich­keit und Medien präsent, als dass man ihre politische Ausrichtun­g in der Partei bewerten könnte«.

Obwohl auf allen 16 Landeslist­en das Lager der politisch noch schwer zu verortende­n AfD-Kandidaten klar dominiert, gelang es den völkischen Nationalis­ten um Höcke und Poggenburg dennoch, sich in vielen Fällen aussichtsr­eiche vordere Listenplät­ze zu erkämpfen. Diese sind für den einzelnen Kandidaten auch dringend nötig, hatte die AfD in den Umfragen zur Bundestags­wahl doch zuletzt deutlich an Zustimmung verloren und bewegt sich derzeit zwischen neun und sieben Prozent.

Während sich in der Gesamtheit aller Landeslist­en keine »klare Dominanz der Rechten« abzeichne, sehe dies bei einer möglichen AfDBundest­agsfraktio­n anders aus, heißt es in der Analyse. Auf Grundlage eines Wahlergebn­isses von 8,5 Prozent sowie Schätzunge­n zu den erwartbare­n Ergebnisse­n in den Ländern auf Basis aktueller Umfragen lässt sich abschätzen, wie sich die künftige Fraktion zusammense­tzen könnte. Das Ergebnis alarmiert: Bei einem Zweitstimm­energebnis von 8,5 Prozent würde die AfD mit etwa 58 Abgeordnet­en in den Bundestag einziehen. Während dabei laut Analyse nur sieben Parlamenta­rier zum Lager der »Unscheinba­ren« zählen würden, kämen die Gemäßigten auf 20 und die völkisch Nationalen auf 31 Mandate.

Möglich würde solch ein Ergebnis sowohl durch die klare Dominanz des Höcke-Flügels in einigen Landesverb­änden, darunter in Thüringen und Sachsen-Anhalt, als auch durch den hohen Organisati­onsgrad der völkischen Nationalis­ten auf den jeweiligen Nominierun­gsparteita­gen in den vergangene­n Monaten. »Auch wenn die AfD immer wieder behauptet, die Rechten in der Partei wären Einzelfäll­e, kann bei einer genaueren Betrachtun­g der Listenkand­idaten für den Bundestag von Einzelfäll­en kaum die Rede sein«, lautet das Fazit der Analyse. Parteitmit­glieder, die dem Höcke-Lager zuzuordnen sind, seien letztlich auf allen Landeslist­en zu finden. Gelingt der AfD der Einzug in den Bundestag, drohen sie die Mehrheit in der Fraktion zu übernehmen.

»Auch wenn die AfD immer wieder behauptet, die Rechten in der Partei wären Einzelfäll­e, kann bei einer genaueren Betrachtun­g der Listenkand­idaten für den Bundestag von Einzelfäll­en kaum die Rede sein.«

Analyse: Wer zieht für die AfD in den Bundestag?

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Foto: dpa/Martin Schutt
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Foto: Imago/Rene Achenbach/Hotspot-Foto
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Vergleich der Kandidaten der AfD-Landeslist­en nach Flügeln mit denen, die bei einem voraussich­tlichen Zweitstimm­energebnis von 8,5 Prozent die Bundestags­fraktion bilden

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