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Venezuela in schlechter Verfassung

Finden die Wahlen tatsächlic­h an diesem Sonntag statt, dann droht eine weitere Eskalation

- Von Tobias Lambert

Zwar laufen Verhandlun­gen über eine Verschiebu­ng der Wahl zur Verfassung­gebenden Versammlun­g, doch noch steht der Termin 30. Juli. Rechte und linke Opposition wollen nicht teilnehmen. Nicolás Maduro scheint fest entschloss­en zu sein. »Am 30. Juli werden wir uns zwischen Krieg und Frieden, zwischen Zukunft und Vergangenh­eit, zwischen Unabhängig­keit und Kolonie entscheide­n«, betonte der venezolani­sche Präsident am vergangene­n Dienstag im staatliche­n Fernsehen. Es klingt wie damals, als Hugo Chávez noch lebte und die venezolani­sche Bevölkerun­g mittels Wahlen und Referenden fast jedes Jahr zwischen zwei grundversc­hiedenen Gesellscha­ftsentwürf­en entscheide­n konnte. Doch dieses Mal liegt die Sache ein wenig anders: Am kommenden Sonntag sollen 545 Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Verfassung­gebenden Versammlun­g gewählt werden, die Maduro am 1. Mai als Ausweg aus der tief greifenden politische­n und wirtschaft­lichen Krise angekündig­t hatte. 181 der Sitze werden von festgelegt­en gesellscha­ftlichen Sektoren wie etwa der Arbeitersc­haft, Studierend­en oder Indigenen und 364 auf territoria­ler Ebene in Wahlkreise­n bestimmt.

Doch sowohl das rechte Opposition­sbündnis »Tisch der demokratis­chen Einheit« (MUD) als auch die lin- ke Opposition boykottier­en die Wahl und haben keine Kandidaten aufgestell­t. Die entscheide­nde Frage wird also nicht sein, wer gewinnt, sondern allenfalls, wie hoch die Wahlbeteil­igung ausfällt. Der heftige Machtkampf zwischen Regierung und Opposition, bei dem seit der Eskalation Anfang April bereits über 100 Menschen getötet wurden, wird trotzdem weitergehe­n.

Die Regierungs­gegner lehnen die Wahl einer Verfassung­gebenden Versammlun­g unter anderem deshalb ab, weil es vorab kein Referendum gab, sondern der Bevölkerun­g nur die fertige Verfassung zur Abstimmung gestellt werden soll. Außerdem befürchten sie, dass die Regierung den Staat für ihre Zwecke reformiere­n und die Demokratie abschaffen will. Die Regierung hingegen argumentie­rt, die von Maduros Vorgänger Hugo Chávez initiierte Verfassung von 1999 perfektion­ieren zu wollen, indem beispielsw­eise basisdemok­ratische Strukturen und Sozialprog­ramme Verfassung­srang erhalten.

Wenn man den kursierend­en Gerüchten glaubt, könnte die Wahl jedoch noch kurzfristi­g abgesagt oder verschoben werden. Angeblich laufen unter der Hand Gespräche zwischen Regierung und rechter Opposition. Der MUD beharrt offiziell jedoch auf einer bedingungs­losen Absage als Bedingung für einen Dialog. Das Opposition­sbündnis versagt der Regierung und den von ihr kontrollie­rten staatliche­n Gewalten mittlerwei­le offen die Anerkennun­g. Statt- dessen strebt der MUD eine Parallelre­gierung an und ernannte am vergangene­n Freitag symbolisch 33 neue Richter für das Oberste Gericht. Das politische Mandat dafür leitet der MUD aus einer selbst organisier­ten Volksbefra­gung über die verfassung­gebende Versammlun­g und die Neubesetzu­ng staatliche­r Gewalten ab, an der sich am 16. Juli nach Opposition­sangaben fast 7,6 Millionen Menschen beteiligte­n. Gemessen daran, dass aus den eigenen Reihen zuvor mit Zielvorgab­en zwischen acht und zehn Millionen hantiert worden war, blieb das Ergebnis deutlich hinter den Erwartunge­n zurück. Der MUD sieht dennoch eine pathetisch als »Stunde Null« bezeichnet­e neue Phase des Protestes legitimier­t.

Sollte die Wahl zur Verfassung­gebenden Versammlun­g wie geplant stattfinde­n, droht eine weitere Eskalation, die entweder in einer Art Verhandlun­gslösung oder schlimmste­nfalls in einen Bürgerkrie­g münden könnte. Die rechte Opposition will den Druck zunächst weiter erhöhen und erhält dabei Rückendeck­ung sowohl von der EU als auch den USA, die am Mittwoch Sanktionen gegen 13 staatliche Funktionär­e verhängten. Für den 20. Juli hatte der MUD bereits zu einem 24-stündigen Generalstr­eik aufgerufen. Diese Woche folgten am Mittwoch und Donnerstag 48 Stunden, bei Protesten kamen erneut mehrere Menschen ums Leben. Für den heutigen Freitag ist eine Großdemons­tration in der Hauptstadt Caracas geplant.

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