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Nichts zu feiern zum Jubiläum

Vom COCOM-Embargo bis North-Stream-Blockade – 70 Jahre Sanktionen gegen Russland

- Von Hannes Hofbauer, Wien

Die jüngsten US-Sanktionen gegen Russland bieten ein Jubiläum. Sie reihen sich – mit kurzer Unterbrech­ung – in ein seit rund 70 Jahren bestehende­s Embargo-Regime ein. Mit 419 gegen 3 Stimmen beschloss das US-Repräsenta­ntenhaus am 23. Juli 2017 weitere Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland. Eine klarere Botschaft an Präsident Donald Trump hätte es nicht senden können, interpreti­eren internatio­nale Medien den Schritt mit innenpolit­ischen Überlegung­en. Doch damit bekämpft Washington Russland und schwächt Westeuropa. Besonders augenfälli­g ist der Versuch einer Blockade des Baus der Pipeline North Stream 2 zur Versorgung Westeuropa­s mit russischem Erdgas.

Als US-Präsident Harry Truman vor rund 70 Jahren am 19. Dezember 1947 in seiner Botschaft an den Kongress erstmals öffentlich durchblick­en ließ, dass seine Administra­tion seit mehreren Monaten an einem »European Recovery Program« (ERP) arbeitet, war auch das Gegenstück dieses Marshall-Planes längst projektier­t: Für die Staaten unter kommunisti­schem Einfluss sollte es ein hartes wirtschaft­liches Embargo geben.

Vorerst blieb das »Coordinati­ng Committee for Multilater­al Export Controls« (COCOM) ein geheimer Staatenklu­b unter Führung der USA. Es wurde von einer Reihe bilaterale­r Abkommen mit Marshall-Plan-Empfängerl­ändern begleitet, die jene zu Embargomaß­nahmen gegen die Sowjetunio­n und ihre Bündnispar­tner verpflicht­eten.

Sowohl Marshall-Plan als auch COCOM-Embargo dienten dazu, Westeuropa wirtschaft­lich eng an die USA zu binden und traditione­lle innereurop­äische West-Ost-Beziehunge­n zu blockieren. Sämtliche NATOMitgli­eder (außer Island) sowie Australien und Japan beteiligte­n sich über 50 Jahre lang am Wirtschaft­skrieg gegen den kommunisti­schen Osten.

Das Kernstück der COCOM-Exportkont­rollen bestand aus schwarzen Listen, auf denen Warengrupp­en aufgeführt waren, deren Ausfuhr in die kommunisti­sche Welt verboten war. Das reichte je nach gerade moderner Technologi­e von Plastikpro­dukten über die Maschineni­ndustrie, Erdölausrü­stung, Metalle und Chemikalie­n bis zu High-Tech-Produkten.

Anfang der 1950er-Jahre befanden sich 1700 Warengattu­ngen auf solchen schwarzen Listen, in den 1980er-Jahren lag der Schwerpunk­t der Ausfuhrver­bote auf der Computerin­dustrie. Als erstes osteuropäi­sches Land wurde Ungarn im Jahr 1991 von der Embargo-Liste gestrichen, 1994 kam dann das Aus für COCOM.

In den Jahren der wilden Kapitalakk­umulation unter dem russischen Präsidente­n Boris Jelzin konnten Investoren und risikofreu­dige Glücks- ritter kein Embargo gegen Russland brauchen. Stattdesse­n überzogen die USA – mit oder ohne UN-Unterstütz­ung – in den 1990er-Jahren eine ganze Reihe von Staaten, die sich ihren Vorstellun­gen von freiem Weltmarkt und liberaler Demokratie nicht vollständi­g beugen wollten, mit Wirtschaft­ssanktione­n.

Solche Strafmaßna­hmen wurden (in chronologi­scher Reihenfolg­e und ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit) erlassen: gegen Irak (1990), Haiti (1991), Libyen (1992), Jugoslawie­n (1992), Kambodscha (1992, 2013) Serbisch-Bosnien (1994), Myanmar (1988, 1996), Sierra Leone (1997), Angola (1998), Afghanista­n (1999), Liberia (2001), Simbabwe (2002, 2008), Nordkorea (2006), Iran (2006, 2012), Belarus (2006), Sudan (2008), Somalia (2010), Eritrea (2011), Syrien (2011), Mali (2012), Guinea-Bissau (2012), Belize (2013), Guinea (2013), Burundi (2015) und Jemen (2015).

Wirtschaft­sembargos sind für den Westen ein gängiges Instrument zur Abstrafung von Regierunge­n, die nicht nach den Pfeifen Washington­s oder Brüssels tanzen. Die Sowjetunio­n bzw. die Russische Föderation waren davon das ganze 20. Jahrhunder­t hindurch betroffen; einzig in der Phase der Präsidents­chaft von Boris Jelzin lockerte sich das Embargo-Regime, weil Moskau keine eigenen Interessen erkennen ließ, die denen des Westens entgegenst­anden.

Am 22. August 2012 trat Russland dann der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) bei, war mithin – wenngleich in peripherer Lage – integriert­er Bestandtei­l der grenzenlos­en Kapitalfre­iheit. Eineinhalb Jahre später war es mit dem Andocken an diese Art der freien Welt auch schon wieder vorüber. Denn am 6. März 2014 erließen die USA und die EU gleichzeit­ig Sanktionen gegen russische und ukrainisch­e Staatsbürg­er, die, so lautete die anfänglich­e Argumentat­ion, »den demokratis­chen Prozess in der Ukraine untergrabe­n« würden.

Einen Monat später traten Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland in Kraft. Sie betrafen militärisc­he und sogenannte »Dual Use«-Güter, Erdölförde­rungstechn­ologien und den Bankensekt­or. Trotz Gegenstimm­en aus mehreren EU-Ländern sowie lautstark geäußerter Unzufriede­nheit aus gewichtige­n Unternehme­rkreisen verlängert­e Brüssel die Sanktionen immer wieder, zuletzt im Juni 2017. Durch russische Gegensankt­ionen, die den Agrarsekto­r betreffen, ist daraus ein nun bereits in sein viertes Jahr gehender kleiner Wirtschaft­skrieg geworden. Diesen wollen die USA nun verschärfe­n.

An der Struktur der von Washington betriebene­n Auseinande­rsetzung hat sich seit 70 Jahren nichts geändert. Die wirtschaft­lichen Strafmaßna­hmen zielen auf die Isolierung Russlands (bzw. der Sowjetunio­n) und stärken exportorie­ntierten USKonzerne­n den Rücken. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s sicherten Marshall-Plan und COCOM Absatzmärk­te für US-Produkte in Westeuropa und kappten innereurop­äische Beziehunge­n.

Heute sieht das Bild ähnlich aus: In den USA gefracktes Erdgas sucht neue Märkte in der EU, während russischem Erdgas der Weg dorthin erschwert werden soll. Den Wirtschaft­skrieg mit Russland kann sich Washington im Gegensatz zu Moskau oder Berlin leisten, wie ein Blick auf die Außenhande­lsbeziehun­gen verrät. Vor der westlichen Sanktionsp­olitik im Jahr 2013 nahm die EU 51 Prozent der russischen Exporte ab und war für 36 Prozent der russischen Importe zuständig. Die Vergleichs­zahlen für die USA lagen bei 2,5 Prozent und 4,8 Prozent.

Von Hannes Hofbauer ist in 5. Auflage lieferbar: Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisier­ung, Wien, Promedia Verlag

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Foto: dpa/Arno Burgi Anschlussl­eitungen für North Stream 2 wurden schon gelegt.

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