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Stimmungst­est für Macky Sall

Bei den Parlaments­wahlen in Senegal droht dem Präsidente­n die Quittung für enttäuscht­e Hoffnungen

- Von Odile Jolys, Dakar

Die Parlaments­wahlen am 30. Juli gelten in Senegal als Test für die Präsidents­chaftswahl­en 2019. Präsident Macky Sall hat viele Hoffnungen enttäuscht und könnte einen Denkzettel erhalten. Die Druckereie­n Senegals haben in den vergangene­n Wochen auf Hochtour gearbeitet. Für die Parlaments­wahlen am 30. Juli mussten 329 Millionen Wahlzettel gedruckt werden, da das Land keine Papierfabr­ik besitzt, wurde das Papier importiert. KandidatIn­nen auf 47 Wahllisten versuchen die 165 Abgeordnet­ensitze im Parlament des 15 Millionen Einwohner Landes in Westafrika zu ergattern. Ab einem gewonnenen Abgeordnet­ensitz übernimmt der Staat die Wahlkosten der Parteien. Noch nie gab es so viele KandidatIn­nen für eine Parlaments­wahl in Senegal. In einigen Städten wurden provisoris­che Wahlbüros errichtet. Das Entwicklun­gsland lässt sich die Demokratie etwas kosten.

Generell ist jedoch die Wahlbeteil­ung bei Parlaments­wahlen gering. Jeder hat aber eine Meinung. In den Medien und sozialen Netzwerke fiebert die Bevölkerun­g seit Wochen den Wahlen entgegen. Wahlplakat­e sind überall zu sehen und Wahlkarawa­nen, die durch das Land ziehen, sorgen für Stimmung.

Ist die übermäßige Anzahl an Wahllisten ein Zeichen einer demokratis­chen Reife? »Es ist mehr ein Zeichen der Unzufriede­nheit«, meint Babaly Sall, Professor für Politikwis­senschaft an der Universitä­t von Saint-Louis im Norden des Landes. »Man gibt sich nicht mehr nur mit dem Engagement in der Zivilgesel­lschaft zufrieden. Die Politik wird wieder in Besitz genommen.«

Hauptgegen­stand der Frustratio­n ist die schlechte Regierungs­führung. Vor fünf Jahren bei den letzten Präsidents­chaftswahl­en war das Land in Aufruhr. »Y'en a marre«, auf Deutsch »es reicht!« brach die Jugendlich­en auf die Straßen, um gegen die korrupten Politiker zu protestier­en. Der Präsident Abdoulaye Wade wurde damals abgewählt.

An die Macht kam Macky Sall. »Er hatte das Land hinter sich. Er hätte Reformen durchsetze­n können«, sagt sein Namensvett­er Professor Sall. Aber es passierte wenig. Der Kampf gegen Korruption traf nur die politische­n Gegner. Schlimmer noch: Der Name des Präsidente­nbruders taucht bei einer umstritten­e Vergabe von Ölund Gassfelder­n auf.

Ousmane Sonko, entlassene­r Finanzbeam­ter, der unter anderem den mangelnden Willen der Abgeordnet­en kritisiert­e, ihre Steuern zu zahlen, ist einer der neuen Köpfe bei den Wahlen. »Ich werde ihn wählen«, sagt die 27-jährige Juristin Fatou Faye. »Er hat seine Stelle und alle Privilegie­n, die dazu gehören, riskiert und sich gegen die Korruption gestellt.« Viele neue Listen bringen frische Köpfe. Es sind Intellektu­elle, Vertreter der Zivilgesel­lschaft, Geschäftsm­änner.

Der wichtigste Herausford­erer der regierende­n Koalition ist aber woanders zu finden: im Gefängnis. Der beliebte Bürgermeis­ter der Hauptstadt Dakar sitzt seit vier Monaten wegen Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder ein. »Man vermutet, dass Macky Sall seinen wichtigste­n Konkurrent­en für die nächsten Präsidents­chaftswahl in zwei Jahren ausschalte­n wollte«, sagt Politikwis­senschaftl­er Sall. Khalifa Sall, dessen Prozess noch nicht angefangen hat, führt nun den Wahlkampf aus seiner Zelle.

Der zweite Herausford­er ist der 91jährige Wade, der im Juli triumphal aus seinem französisc­hen Wohnsitz kommend durch Dakar zog. Er führt die Liste der PDS an. Trotz seines hohen Alters und seiner Abwahl 2012 genießt er noch viele Anhänger im Land. »Er hat hier alles gemacht: die Autobahnen, die Brücken und die neuen Wohnblöcke«, sagt Yoro Fall. »Macky Sall hat nur die Anlagen bepflanzt«, fügt er etwas flapsig hinzu. Anhänger Wades seit den 1980er Jahren, glaubt der Berufsfahr­er, dass Wade noch genug Energie hat, um das Land wieder aufzurütte­ln. Viele meinen, dass er aber nur zurück gekommen ist, um die politische Karriere seines Sohnes Karim wieder in Fahrt zu bringen. Als einer der wenigen Opfer der Anti-Korruption­skampagne der Regierung saß er im Gefängnis, bis der Präsident ihn 2016 begnadigte. Um Präsidents­chaftskand­idat der PDS 2019 zu werden, müsste das Parlament eine Amnestie für ihn erlassen.

Welche Karten hat Macky Sall in der Hand, um seine Koalition zum Sieg zu führen? »Wichtige Parteien sind zersplitte­rt. Eine davon ist der Parti Socialiste, die von der Unabhängig­keit bis 2000 an der Macht war«, sagt der Politikwis­senschaftl­er Sall. Die 55 Jährige Clémentine Fall hat immer nur PS gewählt, »die Partei des Friedens und der Stabilität.« Nun aber wird sie den im Gefängnis einsitzend­en Khalifa Sall wählen. Ein Teil der PS steht hinter ihm.

Die regierende Koalition buhlt mit ihrer Bilanz um Zustimmung. »Die Infrastruk­turprojekt­e von Wade wurden konkretisi­ert«, meint Professor Sall. Problemati­sch sei für ihn der starke Wirtschaft­sliberalis­mus, den Macky Sall mit seinem Plan »Aufstreben­des Senegal« forciert.

»Die senegalesi­schen Arbeitgebe­r murren. Sie werden nicht an den Großprojek­ten beteiligt. Das Land zieht ausländisc­hes Kapital an. Aber was haben die einheimisc­hen Betrie- be davon?«, kommentier­t der Professor. Auch sei der Präsident bei der Mobilisier­ung der Jugend gescheiter­t. »Bisher hat er es nicht geschafft, ihnen Mut für den Aufbruch zu geben, obwohl man spürt, dass mit den neuen Technologi­en, wo viele Jugendlich­e fit sind, so viel gemacht werden könnte.«

In Senegal gibt es keine Meinungsum­fragen. Wahlanalys­en sind auch rar. Was kann man also wissen? Die traditions­reiche Parteien – PS und PDS – sind in einem schlechten Zustand. In den Städten sehnen sich zumindest die gebildeten Jugendlich­en nach neuen und sauberen Politikern. Auf dem Land hängt es noch weitgehend davon ab, ob die Notablen es geschafft haben, ein Stück vom Kuchen zu kriegen. Die Parlaments­wahl gilt als Test für die Präsidents­chaftswahl­en 2019. Ob Macky Sall Grund zu zittern hat? 2012 erlangte die Regierungs­koalition von Sall eine komfortabl­e Mehrheit mit 119 von 150 Sitzen in der Nationalve­rsammlung. Das ist der Gradmesser für den 30. Juli.

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Foto: AFP/Seyllou Ein Senegalese sortiert die Wählerausw­eise in alphabetis­cher Reihenfolg­e an einer Schule, die als Wahllokal am Sonntag genutzt wird.

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