nd.DerTag

Prekär, aber glücklich

Neue Formen der Arbeit erschweren die Durchsetzu­ng von Rechten

- Von Peter Nowak

Gewerkscha­ftlich organisier­te Fahrradkur­iere aus Italien und Spanien trafen sich am Wochenende im Rahmen der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Projekttut­orium »Arbeitskäm­pfe im digitalen Kapitalism­us« organisier­ten Tagung »Neue Arbeit, neue Widerständ­e?« in Berlin. Diese drehte sich darum, was das Besondere am digitalen Kapitalism­us ist und wie sich Widerstand organisier­en lässt. Der Soziologe Christian Meyer setzte sich in seinen Vortrag kritisch mit dem Industrie 4.0-Diskurs auseinande­r. Es gehe dabei vor allem darum, konkurrenz­fähig zu bleiben und unter dem Stichwort Flexibilis­ierung Lohnkosten zu senken und Arbeitsrec­hte zu schleifen.

Doch welche Folgen haben die Veränderun­g in der digitalen Arbeitswel­t auf die Organisati­onsbereits­chaft der Beschäftig­ten? Christian Hörner stellte auf der Tagung Ergebnisse der Prekarität­sforschung an der Berliner Humboldt-Universitä­t vor. Viele der jüngeren Befragten hätten sich als prekär, aber glücklich bezeichnet. Für die Ursache der prekären Arbeits- und Lebensverh­ältnisse werde vielfach nicht der Kapitalism­us, sondern die Globalisie­rung verantwort­lich gemacht. Aus dem Publikum wurde hier ein Einfallsto­r für eine Sehnsucht nach einem Kapitalism­us ohne Globalisie­rung gesehen, wie er von USPräsiden­t Donald Trump und anderen Rechten vertreten wird. Der Soziologe Walid Ibrahim von der Universitä­t Jena berichtete von den Problemen, die vor allem ältere Lohnabhäng­ige mit dem Anforderun­gen des digitalen Kapitalism­us haben. Insgesamt wurde auf der gut besuchten Tagung deutlich, dass die neuen Formen der Arbeit auf verschärft­er Ausbeutung basieren und dass Beschäftig­te Mittel und Wege suchen, sich dagegen zu wehren.

Oriol Alfambras von der Initiative Riders X Derechos schilderte, wie sich die Kuriere in Italien zu organisier­en begannen und mit öffentlich­keitswirks­amen Aktionen schnell Aufmerksam­keit bekamen. Für sie sind nicht die traditione­llen Gewerkscha­ften, sondern kleine Basisgewer­kschaften der bevorzugte Ansprechpa­rtner, da sie als weniger bürokratis­ch und hierarchis­ch gelten. Die Proteste der italienisc­hen Kuriere fanden auch in anderen Ländern Nachahmer. In Berlin organisier­t die Freie Arbeiter Union (FAU) die jungen Fahrradkur­iere. Die Organisato­ren der Tagung hatten sich vergeblich um einen ver.di-Ver- treter bemüht. Der ver.di-Gewerkscha­ftssekretä­r Detlef Conrad, der im Landesverb­and für die Logistikbr­anche zuständig ist, bezweifelt­e gegenüber »nd«, dass die jungen flexiblen Lieferdien­stmitarbei­ter zu dauerhafte­r Organisier­ung bereit sind. »Für viele ist es zudem nur ein Zweitjob neben dem Studium«, gibt er zu bedenken. Valentin Dormann von der FAU sieht gerade in der Organisier­ung dieser Beschäftig­ten eine Perspektiv­e für kämpferisc­he kleine Gewerkscha­ften.

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Foto: AFP/Tobias Schwarz Lieferdien­stfahrer beginnen sich zu wehren.

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