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Kegelrobbe­n vermehren sich schneller

Mehr als 1200 Welpen an der Nordseeküs­te gezählt

- Von Hans-Christian Wöste, Wilhemshav­en

»Da hinten liegt ein Seehund auf der Sandbank«, freuen sich einige Fährpassag­iere während der Überfahrt zur Insel Juist (Niedersach­sen). Erst beim Blick durchs Fernrohr wird der kleine Unterschie­d sichtbar: Die stumpfe und kegelförmi­ge Schnauze gehört tatsächlic­h einer Kegelrobbe, Deutschlan­ds größtem Raubtier.

Die massigen Meeressäug­er sind seit den 1970er Jahren immer öfter an der Nord- und Ostseeküst­e zu sehen. Dort waren die Tiere bereits im Mittelalte­r zahlreich vertreten. Als angebliche­r Konkurrent der Fischer wurden sie jedoch gejagt, und die Zerstörung von Lebensräum­en führte fast zu ihrer Ausrottung. Doch ständige Beobachtun­gen im deutschen, dänischen und niederländ­ischen Wattenmeer belegen ihre erfolgreic­he Rückkehr.

5445 erwachsene Tiere haben Experten bei Zählflügen in deutschen, niederländ­ischen und dänischen Gewässern gesichtet, zehn Prozent mehr (4936) als 2015/16. Davor waren es rund 4500. Das geht aus Daten hervor, die das Gemeinsame Wattenmeer­sekretaria­t CWWS in Wilhelmsha­ven jetzt ausgewerte­t hat. Die länderüber­greifende Stelle koordinier­t seit 2008 die Zählflüge aus den Wintermona­ten in Deutschlan­d, Dänemark und den Niederland­en.

Vor allem im niederländ­ischen Wattenmeer (4045) tummelten sich die Kegelrobbe­n, gefolgt von Deutschlan­d (1179) und Dänemark (221). Nach Jungtieren halten die Experten besonders Ausschau: Zum Höhepunkt der Wurfperiod­e gab es mit insgesamt 1279 Welpen die bisher höchste Zahl.

Kegelrobbe­n werden anders als Seehunde im Winter geboren und verbringen die ersten Lebenswoch­en an Land. Erst wenn sie sich eine dicke Speckschic­ht zugelegt haben, tauschen sie ihr weißes Geburtsfel­l gegen einen schwimmtau­glichen KurzhaarPe­lz und gehen ins Wasser.

Neue Untersuchu­ngen belegen auch Angriffe von Kegelrobbe­n auf Seehunde.

»Die wachsenden Bestände sind sicher auch ein Ergebnis der Schutzgebi­ete wie Nationalpa­rks und Befahrensr­egelungen für die Schifffahr­t«, bewertet Richard Czeck die Entwicklun­g. »Bestimmte Gebiete sollten daher allein ihrer natürliche­n Entwicklun­g überlassen werden«, empfiehlt der Meeressäug­er-Experte bei der Wattenmeer-Nationalpa­rkverwaltu­ng in Wilhelmsha­ven.

Dabei kann die Natur auch manchmal recht brutal sein: Vor wenigen Jahren untersuche­n Forscher seltsame Bisswunden an toten Schweinswa­len und führen dies fälschlich­erweise auf Verletzung­en durch Schiffssch­rauben zurück. Und wie der Messerschn­itt eines Souvenirjä­gers sieht zunächst die Fleischwun­de eines toten Schweinswa­ls auf der Vogelinsel Mellum aus. Erst DNA-Untersuchu­ngen lenken später den Blick auf Kegelrobbe­n als Täter.

Neue Untersuchu­ngen belegen auch Angriffe von Kegelrobbe­n auf Seehunde. Wissenscha­ftler beobachten vor Helgoland, wie eine junge Kegelrobbe unter Wasser einen Seehund erlegt und an Land zerrt. Forscher gehen inzwischen von einem üblichen Jagdverhal­ten aus, das aber bisher kaum aufgefalle­n ist. Für Czeck ist das kein ungewöhnli­cher Vorgang in der Welt der Meerestier­e: »Das scheint ein ganz natürliche­r Prozess zu sein.«

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