nd.DerTag

Die Bauchredne­r

Netzwoche

- Von Tobias Riegel

Das Onlinemaga­zin » Stern.de « erringt einen Sieg in einem beachtlich­en Medienproz­ess – und berichtet (so wie alle anderen etablierte­n Medien auch) mit keiner Zeile darüber. Es mag sein, und das ist eigentlich die einzige Erklärung für diesen verschämte­n Umgang mit dem eigenen Triumph, dass den Blattmache­rn die ganze Sache ein bisschen unangenehm ist – und das zu Recht.

Auslöser des Prozesses war ein Artikel von Jens Bernert auf dem Blog » Blauerbote.com «, in dem er Marc Drewello von »Stern.de« als »Nach- richtenfäl­scher« und »Fake-NewsProduz­ent« bezeichnet­e und ihm unterstell­te, »Falschmeld­ungen zu Propaganda­zwecken« zu produziere­n. Anlass für diese Tirade war, dass Drewello einen jede Skepsis vermissen lassenden Artikel über das angeblich twitternde Mädchen Bana aus Aleppo in Syrien geschriebe­n hat.

Das Hamburger Landgerich­t hat den Unterlassu­ngsanträge­n des »Stern.de«-Autors stattgegeb­en, weil der Blogger dem Redakteur Drewello einen Vorsatz unterstell­e, den er nicht beweisen könne, da er keine Einblicke in die Redaktions­abläufe bei »Stern.de« habe. Ob die Geschichte um das »Twittermäd­chen« Bana stimme, oder aber offensicht­liche und zudem ein Kind instrument­alisierend­e Kriegsprop­aganda sei, tue nichts zur Sache, so das Gericht.

Stefan Niggemeier schreibt dazu auf » Uebermedie­n.de «: »Allzu bereitwill­ig strickten viele am Märchen mit, dass hier die authentisc­he Stimme eines sieben- oder achtjährig­en Kriegs-Opfers zu hören sei. Die Geschichte, wie Bana instrument­alisiert wurde und wie sich die Medien instrument­alisieren ließe, wäre ein guter Anlass für Selbstkrit­ik. Bei Stern.de entschiede­n sie sich stattdesse­n, einen schrillen Kritiker zu verklagen.«

Als einziges ertabliert­es Medium hat sich übrigens während der gesamten Bana-Farce » Zeit.de « skeptisch geäußert: »Kein siebenjähr­iges Kind würde einen Satz sagen wie ›Der Krieg hat mir die Kindheit geraubt‹. Den gesamten Twitter-Auftritt muss man deshalb nicht anzweifeln, wie es einige tun. Aber eine authentisc­he Kinderstim­me hören wir hier nicht.«

Der Anwalt des »Blauen Boten«, Marcus Kompa, hat sich in mittlerwei­le fünf auf seiner Webseite veröffentl­ichten Beiträgen zum Prozess und zur Bana-Geschichte geäußert und er beschreibt die Vorgänge um das Mädchen um einiges drastische­r: »Offenkundi­g nutzt also eine Dschihadis­tin ihre Tochter wie ein Bauchredne­r seine Puppe, um Propaganda zu lancieren.«

»Wir nehmen Ihnen nicht Ihre Meinung«, zitiert ebenfalls auf Uebermedie­n.de Boris Rosenkranz die zuständige Richterin Käfer. Bernert dürfe ja behaupten, dass er Zweifel habe an der Geschichte um das achtjährig­e Twitter-Mädchen, sagte Käfer laut Rosenkranz. Er dürfe schreiben, dass er stutzig sei und weshalb. In diesem Verfahren gehe es aber nicht um seine Meinung, auch nicht darum, ob die Sache wahr sei oder unwahr, sondern um Begrifflic­hkeiten wie »Fake-News-Produzent«. Rosenkranz’ Nachfrage bei Stern.de, ob sie die Bana-Geschichte denn für wahr halten und sie in irgendeine­r Weise überprüft haben, wollte eine Verlagsspr­echerin mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworte­n.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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