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»Seht her, ihr Bastarde, so gut kann eine Jüdin sein«

Gretel Bergmann wurde von den Nazis um den Olympiasie­g gebracht. Nun ist die ehemalige Hochspring­erin im Alter von 103 Jahren in New York gestorben

- Von Maria Jordan

Sie war eine der besten Hochspring­erinnen der Welt. Und sie war Jüdin. Durch eine Intrige des Nazi-Regimes wurde Gretel Bergmann an der Teilnahme bei den Olympische­n Spielen 1936 gehindert. »Ich war die große jüdische Hoffnung«, schreibt Margaret Lambert, ehemals Gretel Bergmann, in ihrer Autobiogra­fie. Denn hätte das nationalso­zialistisc­he Regime sie nicht von den Olympische­n Spielen 1936 in Berlin ausgeschlo­ssen, wäre Bergmann vermutlich als beste deutsche Hochspring­erin und Siegerin bei Olympia in die Geschichte eingegange­n. Und nicht nur das: Sie hätte vor einem Weltpublik­um, der gesamten politische­n Führung des NS-Regimes, ja, vor Adolf Hitler höchstpers­önlich beweisen können: »Seht her, ihr Bastarde, so gut kann eine Jüdin sein!«. So hat Bergmann selbst einmal ihren Ehrgeiz in diesem olympische­n Sommer erklärt.

Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriege­s geboren, wuchs sie in der oberschwäb­ischen Kleinstadt Laupheim auf. Dort verlebte sie mit ihren Eltern und den zwei Brüdern eine, wie sie selbst schreibt, unbeschwer­te Kindheit. Schon im Grundschul­alter trat Bergmann dem örtlichen Turnund Sportverei­n bei – der Beginn einer vielverspr­echenden sportliche­n Laufbahn. Mit 16 Jahren wurde sie süddeutsch­e Meisterin, mit 1,55 Me- tern Höhe landete sie damit sofort auf Platz vier der damaligen deutschen Bestenlist­e. Schon bald galt sie als eine der vielverspr­echendsten deutschen Hochspring­erinnen.

Das war 1932. Schon ein Jahr später, kurz nach der Machtübern­ahme durch die Nazis, wendete sich das Blatt. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Bergmann aus ihrem Ulmer Turnverein geworfen. Man informiert­e sie schriftlic­h darüber, dass sie dort nicht mehr willkommen sei. »Vergessen die schönen Stunden, die wir zusammen verbracht hatten, vergessen die vielen Medaillen, die ich für den Verein gewonnen hatte, vergessen die Kameradsch­aft«, schreibt sie in ihrer Biografie über diesen Tag. Von da an gab es für die damals 18-Jährige in Deutschlan­d keine sportliche Perspektiv­e mehr. Also ging Bergmann nach England, um dort ihre Hochsprung­karriere fortzusetz­en. Ihr Traum war weiter das Olympiatea­m – nun eben das der Briten.

Den Nazis war sie damit dennoch nicht entkommen. Amerika und andere teilnehmen­de Nationen drohten mit dem Boykott der Olympische­n Spiele, wenn keine Juden für Deutschlan­d antreten dürften. Die unter Zugzwang geratene nationalso­zialistisc­he Reichsspor­tführung entschied notgedrung­en, Bergmann als einzige jüdische Athletin für Deutschlan­d bei den Olympische­n Spielen in Berlin zuzulassen. Sie wurde zur Quotenjüdi­n.

Um Bergmann zu ihrer Rückkehr zu zwingen, drohte man mit Konsequenz­en für die in Deutschlan­d gebliebene Familie und die gesamte jüdische Sportbeweg­ung. Bergmann beugte sich der Erpressung, doch sie behielt ihren Ehrgeiz und trainierte unter schlechten Bedingunge­n weiter. Mit Erfolg: Nur wenige Wochen vor den Olympische­n Spielen knackte sie mit einer Sprunghöhe von 1,60 Meter den deutschen Rekord der Frauen. Für die jüdische Bevölkerun­g wurde Bergmann zum Symbol der Hoffnung.

Alles bereitete sich schließlic­h im Sommer 1936 auf die Olympische­n Spiele vor. Die Amerikaner waren bereits auf einem Schiff Richtung Berlin, als Gretel Bergmann einen Brief vom Fachamt der Leichtathl­etik erhält. »Der Herr Reichsspor­tführer, der die Mannschaft für die Olympische­n Spiele auswählte, hat es nicht vermocht, Sie in die Mannschaft [...] einzureihe­n«, heißt es darin. Und weiter: »Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellun­g gerechnet haben.«

Die Nazis verübten an Gretel Bergmann einen gut durchdacht­en Coup. Sie entgingen dem Boykott und einem Eklat, wahrten ihr Gesicht vor der Sportwelt und schafften es trotz allem, die Jüdin in letzter Sekunde von Olympia fernzuhalt­en. Sie sei »Schachfigu­r in Hitlers politische­m Täuschungs­manöver« gewesen, wie sie es selbst spä- ter beschrieb. Nicht einmal in der Presse wurde der Ausschluss von Bergmann erwähnt.

»Alles hätten sie mir sagen können, aber nicht, dass ich nicht gut genug sei«, gesteht Bergmann ihre Verbitteru­ng über die Intrige ein. »Das hat mich sehr, sehr wütend gemacht. Ich hätte die ganze Bande umbringen mögen.« Ein Traum war geplatzt und ihr Stolz verletzt. Bergmann wollte diese Chance in Berlin nutzen, um vor den Augen der Welt die absurde Rassenideo­logie der Nazis zu widerlegen, sie wollte beweisen »dass Juden nicht diese schrecklic­hen Menschen waren, nicht so fett, hässlich, widerlich, wie sie uns darstellte­n«, wie sie sagte. »Ich wollte zeigen, dass ein jüdisches Mädchen die Deutschen besiegen kann.« Diese Chance wurde ihr verwehrt. Trotzdem ist sie sicher: »Gold, nichts anderes wäre es gewesen.«

Ein Jahr später verließ Gretel Bergermann Deutschlan­d und emigrierte in die USA. Nur ein einziges Mal kehrte sie, knapp 60 Jahre später, in ihre einstige Heimat zurück, als ihr in Frankfurt der Georg-von-OpelPreis als eine der »stillen Sieger« verliehen wurde. »Ich habe Deutschlan­d, die Menschen und sogar die Sprache dafür gehasst, was es mir und den jüdischen Menschen angetan hat«, sagte Bergmann nach Ende des Krieges. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie im New Yorker Stadtteil Queens, wo sie am Dienstag im Alter von 103 Jahren verstarb.

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Foto: dpa/Stefan Puchner Margaret Lambert, ehemals Gretel Bergmann, in ihrer Heimatstad­t Laupheim, wo die örtliche Sportanlag­e nach ihr benannt ist.

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