Putzen in Berlin
Digitale Plattformen bieten miese Arbeitsbedingungen.
Ob Werbetexte schreiben, Baustellen fotografieren oder putzen: Onlineplattformen bieten oft schnell und einfach die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Häufig ohne soziale Absicherung.
Der Minijob bringt sechs Euro. Was zu tun ist? Der Werbeprospekt einer Supermarktfiliale am Ostbahnhof muss eingescannt werden, jede Seite einzeln. Mit der Handy-App »Appjobber« lässt sich »einfach nebenher Geld verdienen«, wie es auf der Homepage heißt. Hauptsächlich sollen Werbeprospekte eingescannt oder Fotos von und in Geschäften gemacht werden. Für einen Auftrag mit elf Fotos, der mit 20 bis 30 Minuten angegeben ist, gibt es fünf Euro. Für das Foto einer Baustelle nur einen. Wer die jeweiligen Auftraggeber sind, verschleiert die App.
Appjobber ist eine von vielen Plattformen für sogenannte Click- oder Crowdworker: Menschen, die über Onlineplattformen Geld verdienen. Manche Aufträge können sie direkt am Computer erledigen, beispielsweise Werbetexte schreiben. Andere Aufträge nehmen sie über eine Internetseite an, führen sie aber außerhalb der Plattform aus. Appjobber ist eine Mischung aus beidem: Der Auftrag wird über das Smartphone vergeben, im Supermarkt oder auf der Straße ausgeführt, die Fotos müssen dann wieder über das Smartphone an den Auftraggeber geschickt werden. Ähnlich funktioniert beispielsweise auch der Essenslieferservice Deliveroo: Die Lieferanten erhalten die Bestellungen über ihr Handy, fahren zum Restaurant, holen das Essen dort ab und bringen es dann zum Kunden. Anschließend geben sie per Klick auf ihrem Handy Bescheid: Auftrag erledigt.
Auch Putzjobs können mittlerweile per Onlineplattform gebucht werden. Größte Anbieter in Berlin sind »Book a tiger« und Helpling. »Book a tiger« arbeitet mittlerweile mit fest angestellten Mitarbeitern. Helpling greift auf sogenannte Solo-Selbständige zurück.
Maria Vargas, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet seit etwa einem Monat für Helpling. Sie bewarb sich per Mail, musste Gewerbeschein und polizeiliches Führungszeugnis einreichen und bekam den ersten Auftrag – ohne auch nur ein einziges Mal im Büro der Firma vorstellig gewesen zu sein, ohne einen Mitarbeiter des Unternehmens je gesprochen oder gesehen zu haben. Auch einen Vertrag hat sie nie unterschrieben. »Es war ganz einfach«, erzählt sie. Für sie ist es der perfekte Job: Sie kommt aus Chile, spricht nur Spanisch, ist Videokünstlerin und brauchte, um sich einen Künstleraufenthalt in Berlin zu finanzieren, schnell eine Arbeit, für die sie keine Sprachkenntnisse vorweisen musste. Was ihr auch wichtig ist: Sie muss nur so viele Angebote annehmen, wie sie will. Putzjobs, für die sie zu weit fahren müsste, die ihr zeitlich nicht passen oder deren Auftraggeber ihr unsympathisch sind, kann sie ablehnen. Finden Auftraggeber Maria Vargas unsympathisch oder meinen, dass sie schlecht geputzt hat, können sie ihr auf der Internetseite von Helpling eine schlechte Bewertung geben. Das findet Vargas unfair: Wenn, dann sollte die Beurteilung gegenseitig sein.
Helpling wurde 2014 gegründet und gehört zu der Start-up-Schmiede Rocket Internet. Nach eigenen Angaben sind deutschlandweit mehrere tausend Menschen als Reinigungskräfte auf der Plattform registriert, allein 1000 sind es in Berlin. In ganz Deutschland hat das Unternehmen an über 100 000 Haushalte Reinigungskräfte vermittelt. Zahlen für Berlin nennt das Unternehmen nicht, die Hauptstadt sei aber der größte Markt. Je nach Region erhalten die Reinigungskräfte 11 bis 15 Euro pro Stunde, teilt Helpling mit. Das Geld zahle nicht das Unternehmen, sondern der jeweilige Kunde, der zusätzlich eine Provision an die Vermittlungsplattform zahle, als welche sich Helpling versteht. Vargas berichtet, dass sie elf Euro pro Stunde verdient. Eine andere Putzkraft, die zwei Jahre lang für Helpling gearbeitet hat, bekam am Ende 12,50 Euro. Die Kunden zahlen 19,90 Euro pro Stunde, wenn sie einmalig eine Reinigungskraft buchen. Für wöchentliche Aufträge müssen sie 13,90 Euro pro Stunde zahlen. Helpling erhält also zwischen zehn und 45 Prozent Provision.
Zahlen oder Schätzungen, wie viele Menschen in Berlin in der sogenannten Gig Economy beschäftigt sind – also Menschen, die pro Auftrag (gig) bezahlt werden –, haben weder die Senatsverwaltung für Wirtschaft, noch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di oder die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Deutschlandweit sind Studien zufolge etwa 1,2 Millionen Menschen bei entsprechenden Plattformen angemeldet. Rund ein Viertel davon, also 300 000 Menschen, sollen der Tätigkeit hauptberuflich nachgehen.
Auch für Maria Vargas ist das Putzen die einzige Einnahmequelle. Etwa 20 Stunden arbeitet sie pro Woche – um Zeit für ihre Kunst zu haben. Dass sie keine Rentenbeiträge zahlt, stört sie nicht: Weil sie nur wenige Monate in Deutschland sein wird, bekommt sie hier später sowieso keine Rente ausbezahlt. Durch die kurze Dauer hofft sie auch, keine Steuern zahlen zu müssen. Darüber, dass sie keine Beiträge zur Krankenversicherung zahlt, macht sie sich keine Gedanken. Sie wird schon nicht krank werden, hofft sie. Würde Vargas all diese Abgaben zahlen, läge ihr Verdienst unter dem Mindestlohn.
Nadine Müller, die sich bei ver.di mit der sogenannten Plattformökonomie beschäftigt, sagt: »Selbststände Arbeit dieser Form ist meist prekäre Arbeit.« Arbeitnehmerrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsansprüche haben sie nicht. Ob selbstständige Arbeit auch »böse Arbeit« sei, hänge davon ab, ob die Tätigkeit selbst gewählt oder man gezwungen sei, auf selbstständige Beschäftigung zurückzugreifen. In jedem Fall lagern die Unternehmen das Risiko, dass ein Auftrag platzt, an die Beschäftigten aus.
Auch früher schon waren Menschen selbstständig beschäftigt oder boten von Tag zu Tag neu ihre Arbeitskraft an. Die Hans-Böckler-Stiftung nennt heutige Crowdworker »Digitale Tagelöhner«, weil sie in der Regel bei Technologie-Unternehmen arbeiten. Klassische Beispiele solcher Firmen sind die Wohnungsvermittlungsplattform AirBnB oder das Taxiunternehmen Uber, deren Büros mit nur wenigen Mitarbeitern auskommen, weil vor allem die Software für sie arbeitet. In die Software fließen die größten Investitionen, und der Algorithmus, mit dem die Software Aufträge vergibt, ist oft das bestgehütete Geheimnis der Tech-Unternehmen.
Gemeinsam haben die Plattformen, dass es ein Bewertungssystem gibt. Für die Kunden ist das zwar praktisch, weil es ihnen bei der Auswahl von Wohnung, Taxifahrer oder Reinigungskraft hilft. Bei gegenseitigen Bewertungsmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass alle positive Bewertungen abgeben, um nicht selbst negativ beurteilt zu werden.
Was die Software auch möglich macht: Das Unternehmen kann die Zusammenarbeit mit den Selbstständigen ganz einfach kappen: indem sie sie von jetzt auf gleich per Klick von der Plattform aussperrt. »Fired by algorithm«, gefeuert vom Algorithmus, nennt das Steven Hill, Autor des Buches »Die Start-up Illusion«. In einem Vergleich des Silicon Valley in San Francisco und der vergleichsweise kleinen aber dennoch boomenden Start-up-Szene in Berlin kommt er zu dem Schluss: App-basierte Unternehmen machen vor allem eins, sie ruinieren die Errungenschaften des Sozialstaats.
Im sechsten und letzten Teil lesen Sie nächste Woche über Kritiker der Digitalisierung.