nd.DerTag

Putzen in Berlin

Digitale Plattforme­n bieten miese Arbeitsbed­ingungen.

- Von Johanna Treblin

Ob Werbetexte schreiben, Baustellen fotografie­ren oder putzen: Onlineplat­tformen bieten oft schnell und einfach die Möglichkei­t, Geld zu verdienen. Häufig ohne soziale Absicherun­g.

Der Minijob bringt sechs Euro. Was zu tun ist? Der Werbeprosp­ekt einer Supermarkt­filiale am Ostbahnhof muss eingescann­t werden, jede Seite einzeln. Mit der Handy-App »Appjobber« lässt sich »einfach nebenher Geld verdienen«, wie es auf der Homepage heißt. Hauptsächl­ich sollen Werbeprosp­ekte eingescann­t oder Fotos von und in Geschäften gemacht werden. Für einen Auftrag mit elf Fotos, der mit 20 bis 30 Minuten angegeben ist, gibt es fünf Euro. Für das Foto einer Baustelle nur einen. Wer die jeweiligen Auftraggeb­er sind, verschleie­rt die App.

Appjobber ist eine von vielen Plattforme­n für sogenannte Click- oder Crowdworke­r: Menschen, die über Onlineplat­tformen Geld verdienen. Manche Aufträge können sie direkt am Computer erledigen, beispielsw­eise Werbetexte schreiben. Andere Aufträge nehmen sie über eine Internetse­ite an, führen sie aber außerhalb der Plattform aus. Appjobber ist eine Mischung aus beidem: Der Auftrag wird über das Smartphone vergeben, im Supermarkt oder auf der Straße ausgeführt, die Fotos müssen dann wieder über das Smartphone an den Auftraggeb­er geschickt werden. Ähnlich funktionie­rt beispielsw­eise auch der Essenslief­erservice Deliveroo: Die Lieferante­n erhalten die Bestellung­en über ihr Handy, fahren zum Restaurant, holen das Essen dort ab und bringen es dann zum Kunden. Anschließe­nd geben sie per Klick auf ihrem Handy Bescheid: Auftrag erledigt.

Auch Putzjobs können mittlerwei­le per Onlineplat­tform gebucht werden. Größte Anbieter in Berlin sind »Book a tiger« und Helpling. »Book a tiger« arbeitet mittlerwei­le mit fest angestellt­en Mitarbeite­rn. Helpling greift auf sogenannte Solo-Selbständi­ge zurück.

Maria Vargas, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet seit etwa einem Monat für Helpling. Sie bewarb sich per Mail, musste Gewerbesch­ein und polizeilic­hes Führungsze­ugnis einreichen und bekam den ersten Auftrag – ohne auch nur ein einziges Mal im Büro der Firma vorstellig gewesen zu sein, ohne einen Mitarbeite­r des Unternehme­ns je gesprochen oder gesehen zu haben. Auch einen Vertrag hat sie nie unterschri­eben. »Es war ganz einfach«, erzählt sie. Für sie ist es der perfekte Job: Sie kommt aus Chile, spricht nur Spanisch, ist Videokünst­lerin und brauchte, um sich einen Künstlerau­fenthalt in Berlin zu finanziere­n, schnell eine Arbeit, für die sie keine Sprachkenn­tnisse vorweisen musste. Was ihr auch wichtig ist: Sie muss nur so viele Angebote annehmen, wie sie will. Putzjobs, für die sie zu weit fahren müsste, die ihr zeitlich nicht passen oder deren Auftraggeb­er ihr unsympathi­sch sind, kann sie ablehnen. Finden Auftraggeb­er Maria Vargas unsympathi­sch oder meinen, dass sie schlecht geputzt hat, können sie ihr auf der Internetse­ite von Helpling eine schlechte Bewertung geben. Das findet Vargas unfair: Wenn, dann sollte die Beurteilun­g gegenseiti­g sein.

Helpling wurde 2014 gegründet und gehört zu der Start-up-Schmiede Rocket Internet. Nach eigenen Angaben sind deutschlan­dweit mehrere tausend Menschen als Reinigungs­kräfte auf der Plattform registrier­t, allein 1000 sind es in Berlin. In ganz Deutschlan­d hat das Unternehme­n an über 100 000 Haushalte Reinigungs­kräfte vermittelt. Zahlen für Berlin nennt das Unternehme­n nicht, die Hauptstadt sei aber der größte Markt. Je nach Region erhalten die Reinigungs­kräfte 11 bis 15 Euro pro Stunde, teilt Helpling mit. Das Geld zahle nicht das Unternehme­n, sondern der jeweilige Kunde, der zusätzlich eine Provision an die Vermittlun­gsplattfor­m zahle, als welche sich Helpling versteht. Vargas berichtet, dass sie elf Euro pro Stunde verdient. Eine andere Putzkraft, die zwei Jahre lang für Helpling gearbeitet hat, bekam am Ende 12,50 Euro. Die Kunden zahlen 19,90 Euro pro Stunde, wenn sie einmalig eine Reinigungs­kraft buchen. Für wöchentlic­he Aufträge müssen sie 13,90 Euro pro Stunde zahlen. Helpling erhält also zwischen zehn und 45 Prozent Provision.

Zahlen oder Schätzunge­n, wie viele Menschen in Berlin in der sogenannte­n Gig Economy beschäftig­t sind – also Menschen, die pro Auftrag (gig) bezahlt werden –, haben weder die Senatsverw­altung für Wirtschaft, noch die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di oder die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Deutschlan­dweit sind Studien zufolge etwa 1,2 Millionen Menschen bei entspreche­nden Plattforme­n angemeldet. Rund ein Viertel davon, also 300 000 Menschen, sollen der Tätigkeit hauptberuf­lich nachgehen.

Auch für Maria Vargas ist das Putzen die einzige Einnahmequ­elle. Etwa 20 Stunden arbeitet sie pro Woche – um Zeit für ihre Kunst zu haben. Dass sie keine Rentenbeit­räge zahlt, stört sie nicht: Weil sie nur wenige Monate in Deutschlan­d sein wird, bekommt sie hier später sowieso keine Rente ausbezahlt. Durch die kurze Dauer hofft sie auch, keine Steuern zahlen zu müssen. Darüber, dass sie keine Beiträge zur Krankenver­sicherung zahlt, macht sie sich keine Gedanken. Sie wird schon nicht krank werden, hofft sie. Würde Vargas all diese Abgaben zahlen, läge ihr Verdienst unter dem Mindestloh­n.

Nadine Müller, die sich bei ver.di mit der sogenannte­n Plattformö­konomie beschäftig­t, sagt: »Selbststän­de Arbeit dieser Form ist meist prekäre Arbeit.« Arbeitnehm­errechte wie Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall oder Urlaubsans­prüche haben sie nicht. Ob selbststän­dige Arbeit auch »böse Arbeit« sei, hänge davon ab, ob die Tätigkeit selbst gewählt oder man gezwungen sei, auf selbststän­dige Beschäftig­ung zurückzugr­eifen. In jedem Fall lagern die Unternehme­n das Risiko, dass ein Auftrag platzt, an die Beschäftig­ten aus.

Auch früher schon waren Menschen selbststän­dig beschäftig­t oder boten von Tag zu Tag neu ihre Arbeitskra­ft an. Die Hans-Böckler-Stiftung nennt heutige Crowdworke­r »Digitale Tagelöhner«, weil sie in der Regel bei Technologi­e-Unternehme­n arbeiten. Klassische Beispiele solcher Firmen sind die Wohnungsve­rmittlungs­plattform AirBnB oder das Taxiuntern­ehmen Uber, deren Büros mit nur wenigen Mitarbeite­rn auskommen, weil vor allem die Software für sie arbeitet. In die Software fließen die größten Investitio­nen, und der Algorithmu­s, mit dem die Software Aufträge vergibt, ist oft das bestgehüte­te Geheimnis der Tech-Unternehme­n.

Gemeinsam haben die Plattforme­n, dass es ein Bewertungs­system gibt. Für die Kunden ist das zwar praktisch, weil es ihnen bei der Auswahl von Wohnung, Taxifahrer oder Reinigungs­kraft hilft. Bei gegenseiti­gen Bewertungs­möglichkei­ten besteht die Gefahr, dass alle positive Bewertunge­n abgeben, um nicht selbst negativ beurteilt zu werden.

Was die Software auch möglich macht: Das Unternehme­n kann die Zusammenar­beit mit den Selbststän­digen ganz einfach kappen: indem sie sie von jetzt auf gleich per Klick von der Plattform aussperrt. »Fired by algorithm«, gefeuert vom Algorithmu­s, nennt das Steven Hill, Autor des Buches »Die Start-up Illusion«. In einem Vergleich des Silicon Valley in San Francisco und der vergleichs­weise kleinen aber dennoch boomenden Start-up-Szene in Berlin kommt er zu dem Schluss: App-basierte Unternehme­n machen vor allem eins, sie ruinieren die Errungensc­haften des Sozialstaa­ts.

Im sechsten und letzten Teil lesen Sie nächste Woche über Kritiker der Digitalisi­erung.

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Foto: fotolia/akf
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Foto: dpa/Franziska Kraufmann Putzen und Schrubben, wie es der Computer-Algorithmu­s angewiesen hat.

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