nd.DerTag

Frau im Kanzleramt

Julia Schramm im nd-Interview über Angela Merkel.

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Haben Sie schon einmal Angela Merkel bewundert?

Julia Schramm: Die Kanzlerin beherrscht ihr politische­s Handwerk. Sie geht mit einer Präzision vor, die andere nicht an den Tag legen. Und das mit einer nach außen getragenen Ruhe, die den Eindruck vermittelt, alles perlt von ihr ab. Das hat etwas Machiavell­istisches. Insofern bin ich manchmal tatsächlic­h vom Können Merkels beeindruck­t.

Beeindruck­t sein ist nicht dasselbe wie bewundern.

Weil ich das Bewundern grundsätzl­ich skeptisch sehe, es ist eine Haltung gegenüber einer Person, in der dann keine Kritik an dieser mehr möglich scheint. Aber das ist ja das Interessan­te an Merkel – dass sie auch bei Linken etwas anspricht und man von links zugleich an ihr viel auszusetze­n hat.

Was spricht Sie an?

Sie erscheint als die gute Technokrat­in, sie ist in ihrer Rhetorik viel weniger aggressiv gegenüber Konkurrent­en. Sie reagiert eher mit einer schon übertriebe­nen Zurückhalt­ung. Merkel ist weniger pathetisch, weniger nationalis­tisch, weniger hasserfüll­t. Sie hat in der Flüchtling­sfrage nicht am rechten Rand gefischt. Das haben andere, nicht nur in der CDU.

Der Sommer der Migration, Merkels »Wir schaffen das«: Ist das ein Wendepunkt gewesen im Verhältnis vieler Linker zur Kanzlerin? Wendepunkt ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber man kann doch einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass Merkel da aus einem humanistis­chen Impuls heraus etwas getan hat, was andere CDU-Kanzler nicht getan hätten. Und natürlich haben die aggressive­n Attacken auf die Kanzlerin von rechts dazu beigetrage­n, dass auch Linke oder Linksliber­ale den Impuls verspüren, Merkel zu verteidige­n.

Klammheiml­iche Zuneigung, sozusagen?

Ich glaube, so heimlich war das gar nicht. In meinem politische­n Freundeskr­eis ist das durchaus auch ausgesproc­hen worden. Es passt natürlich nicht in die parteipoli­tische Auseinande­rsetzung. Aber nochmal zum Kern: Die Öffnung der Grenzen ist als menschlich­e Entscheidu­ng wahrgenomm­en worden. Merkel hat das später gegen zum Teil üble Hetze verteidigt mit Sätzen, die ich nicht kritisiere­n will.

»Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldi­gen zu müssen dafür, dass wir in Notsituati­onen ein freundlich­es Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.«

Das ist nur ein Beispiel. Es gab auch andere, zu den Pegida-Marschiere­rn etwa. Sätze, die man auch als Linke unterschre­iben könnte. Anderersei­ts bleibt Merkel in ihrer Rolle als Streberin, die innerhalb der von ihr akzeptiert­en Sachzwänge alles richtig machen will. Nach der Grenzöffnu­ng kamen die Abschottun­g der EU-Außengrenz­en und der schlimme Deal mit der Türkei.

Beides ist schwer zusammenzu­bringen: die gute Merkel und die kapitalist­ische Kanzlerin von der anderen politische­n Seite.

Es macht natürlich die Kritik an Merkels Politik nicht einfacher. Aber Linke sollten die Widersprüc­hlichkeit selbst zum Thema machen. Es passiert in der Politik ja durchaus öfter, dass man mit einem Punkt bei der Konkurrenz einverstan­den ist, mit dem anderen nicht.

Einerseits gibt es eine recht große, gefühlige Zustimmung für Merkel – anderersei­ts geht es im Wahlkampf darum, dass sie als Kanzlerin abgelöst wird. Wie geht eine linke Partei damit um?

Man muss erst einmal anerkennen, dass es dieses vorpolitis­che Moment gibt, eine Beliebthei­t, die mit der Rentenpoli­tik oder der Wirtschaft­spolitik von Merkel nicht viel zu tun hat. Die Wähler für dumm zu erklären, hilft da nicht weiter. Es ist eine Herausford­erung, gegen diese von Merkel ausstrahle­nde Konsenswär­me anzukommen. Beherrscht die Linksparte­i diese Herausford­erung?

Sie hat es bisher nicht so schlecht gemacht. Merkel ist eben mehr als »Wir schaffen das«, sie ist die Regierungs­chefin, sie ist federführe­nd für den Kurs einer Koalition verantwort­lich, die europaweit Austerität­spolitik durchdrück­t und hierzuland­e mit der Schwarzen Null als Finanzmini­ster die Schulen vergammeln lässt. Man muss dazu auch wieder ein bisschen wegkommen von den Personen und wieder mehr über Inhalte reden, über die Unterschie­de zwischen Parteien. Und dann muss man auch die Frage stellen, wie passen das freundlich­e Frauengesi­cht und die deutsche Hegemonie in Europa eigentlich zusammen.

Aber ist das nicht auch so ein Widerspruc­h? Merkel wird als die mächtigste Frau der Welt bezeichnet – die Zustimmung, die sie erhält, wächst aber mit der Unsicherhe­it, die von anderen Figuren der Weltpoliti­k ausgeht. Da denken die Leute: lieber Merkel als die Wahnsinnig­en.

Die Leute denken vielleicht gar nicht, dass Merkel so viel Gutes macht, sie spüren aber, dass es noch viel schlimmer sein könnte. Und das bringt Merkel Punkte. Verstärkt wird das durch die Art, mit der sie auf der weltpoliti­schen Bühne agiert. Da redet ein Wladimir Putin auf sie ein – und sie verdreht die Augen. Da poltert ein Donald Trump durchs Weiße Haus – und Merkel reagiert auf trockene Art darauf. Das finden viele Leute gut. Auch Linke.

Aber das verbleibt alles auf einer symbolisch­en Ebene.

Das mag sein, aber deshalb ist es ja nicht unwichtig. Und was soll ich Leuten denn antworten, wenn die sa- gen, Merkel verwaltet diese Krise relativ solide, es ist immer noch besser als das, was kommen könnte? In Fragen der Außenpolit­ik und der globalen Stabilität vertrauen mehr auf Merkel als auf den SPD-Herausford­erer Martin Schulz.

Das muss auch einer linken Partei zu denken geben. Das Geschäft von Linken ist immer: Veränderun­g. Die Bereitscha­ft zur Veränderun­g ist aber heute gering, die Menschen sind zwar mit dem Bestehende­n nicht so ganz einverstan­den, aber einen radikalen Kurswechse­l, für den die Linken stehen, der macht ihnen eher Sorgen.

Es hat auch etwas damit zu tun, dass in den letzten Jahren der Veränderun­gsmoment stärker von rechts kam. Übrigens auch von der politische­n Fraktion, aus der Merkel kommt, man denke nur an die neoliberal­e Gegenrevol­ution, die den Sozialstaa­t unterminie­rt hat. Interessan­terweise wird die Kanzlerin heute als Bollwerk gegen Veränderun­gen wahrgenomm­en, die von noch weiter rechts lautstark eingeforde­rt werden. Das ist teils irrational. Aber darauf muss eine Linke, die aus der Defensive rauskommen will, trotzdem Antworten finden.

Das Vorgehen von Merkel bei der Ehe für alle ist ein gutes Beispiel für ihre Fähigkeit, Macht auszuüben: ein Wahlkampft­hema der Konkurrenz abräumen.

Merkel weiß um Effekte ihrer Selbstinsz­enierung, aber da ist nicht alles voll durchgepla­nt. Dass die SPD nach dem »Brigitte«-Auftritt wie wild losgegange­n ist, hat den Sozialdemo­kraten nichts gebracht; Merkel dagegen schon. Aber ihr Vorgehen bei der Ehe für alle steht noch für etwas anderes: Sie kann eine in der Gesell- schaft schon länger mehrheitsf­ähige Sache in ihrer Partei durchsetze­n.

Ist es nicht eigentlich etwas Urdemokrat­isches, dass jemand sagt, wenn die gesellscha­ftlichen Stimmungsl­agen so sind, dann müssen wir uns als die Politik, dann muss ich als Regierungs­chefin mich danach richten?

Das ist es, aber es ist – auch typisch Merkel – nur reagierend­e Politik. Was bei ihr fehlt, ist ein qualitativ­es Eigenmomen­t von Politik, der Drang, aus eigenen Ideen heraus zu verändern, Impulse zu setzen. Merkel reagiert lieber, dabei aber hat sie ein ganz feines Gespür. Das geht einher mit einer sehr weitgehend­en Abwesenhei­t von Leidenscha­ft. Da wird dann schon einmal dem Parteifreu­nd in der Wahlnacht die Deutschlan­dfahne aus der Hand genommen – Merkel findet solche Gefühlsäuß­erungen wohl einfach unnötig und unpassend.

In Ihrem Buch über Merkel haben Sie die Kanzlerin mit dem sehr nerdigen theoretisc­hen Physiker Sheldon Cooper aus der Serie »The Big Bang Theory« verglichen, der in seiner Rolle Anklänge an Autismusst­örungen durchblick­en lässt. Worauf ich hinaus will: Merkel erscheint immer etwas überrascht, wenn andere in der Politik ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie hat eine emotionale Distanz zu den Dingen. Und genau an der Stelle kippt dann auch das Urdemokrat­ische in Richtung Desinteres­se: Wenn die Leute das nun mehrheitli­ch okay finden, dann heiraten eben jetzt auch Homosexuel­le. Aber was soll die ganze Aufregung darüber?

Merkel wäre so gesehen vor allem Ausdruck gesellscha­ftlicher Veränderun­gen, nicht selbst Akteur. Das klingt nach ideologief­reiem Regieren.

Das ist es aber nicht. Merkel agiert ideologisc­h camouflier­t. Das heißt, man merkt ihre Ideologie überhaupt nicht, weil sie der herrschend­en so sehr entspricht. Zeitgeistp­olitik sozusagen. Aber man kann an der Kanzlerin ganz gut ablesen, wie sich Deutschlan­d in Fragen der Kultur, der Identität, der Selbstverw­irklichung auch positiv verändert hat.

Auch das Reden über Merkel hat sich verändert. Zu Beginn ihrer Re- gierungsze­it gab es mehr sexistisch konnotiert­e Abwertung – die Putzfrau, die die Scherben der Affäre um die Schwarzen Kassen wegräumen muss, »Kohls Mädchen«.

Es ist weniger geworden, auch weil die Kanzlerin es geschafft hat, die Botschaft von Begriffen wie »Mutti« zu ihren Gunsten zu verändern: Was einst als abfällig galt, bedeutet heute Sicherheit. Man darf aber eins nicht vergessen: In der Masse sind die Angriffe zwar weniger geworden, aber die, die noch kommen, sind heute aggressive­r. So klingt das Patriarcha­t auf dem Rückzugsge­fecht.

Merkel ist auch Ostdeutsch­e. Dort war zum Beispiel Frauenerwe­rbstätigke­it viel üblicher. Welche Rolle spielt das dabei?

Merkel hat einmal erzählt, dass sie vor allem in den 1990er Jahren das Gefühl hatte, dass die Abwertung, die sie erfahren hat, eher was mit der Ostvergang­enheit zu tun hatte als damit, dass sie eine Frau ist.

Das erinnert mich daran, dass viele ostdeutsch­e Frauen sich nie als Feministin­nen gesehen haben. Merkel auch hat sich auch nie als Feministin gesehen.

Sie ist als Frau an der Spitze der Regierung ein Symbol für Veränderun­gen, die bei nicht gerade wenigen Männern mit einer Grundangst einhergehe­n: dass ihre gesellscha­ftliche Rolle im Verhältnis zu der der Frauen an Gewicht verliert. Jetzt bestimmen auch Frauen. Ich bin jetzt 31, ich habe ganz andere Möglichkei­ten und Chancen als meine Mutter oder geschweige denn meine Großmutter. Und dafür steht nicht zuletzt diese Kanzlerin. Mit der bisher höchsten Zahl an Ministerin­nen in einer Regierung. Damit, dass Männer in Hinterzimm­ern nicht mehr unter sich bleiben. Mit der Quote.

Mit ihren Frauennetz­werken. Genau. Aber Merkel hat nicht so viele Frauen um sich herum, weil sie das als tolle Frauenförd­erung ansieht, sondern weil sie weiß, die arbeiten härter, die beschweren sich weniger und im Zweifel nehmen sie weniger Geld. Was eigentlich ein ganz abgefuckte­r kaputter Blick ist.

Hat Merkel auch härter gearbeitet? Ja, absolut. Es gab mal eine Debatte, da hat ein junger Mann aufgeschri­eben, wie frustriere­nd es ist, dass die ganze Universitä­tsbiblioth­ek voll mit jungen Frauen ist, die morgens um acht mit ihren Volvic-Flaschen schon dort sitzen und abends um zehn immer noch. Merkel ist das Volvic-Mädchen im Kanzleramt, die Streberin. Das sehen viele Frauen in ihrer Person, nicht aus Bewunderun­g, mehr aus Genugtuung.

Ein neoliberal­es Anerkennun­gsmodell: Aufstieg durch Leistung. Es geht um Fleiß, nicht um die strukturel­len Ursachen. Ist Merkel eine Bedrohung für den linken Feminismus?

Insofern Merkel und ihre Macht von vielen schon als erreichtes Ziel feministis­chen Strebens gesehen werden, ist das wirklich ein Problem für Forderunge­n mit utopischem Gehalt. Es ist einfacher, eine Quote zu fordern, als eine radikale Veränderun­g der sozio-ökonomisch­en Bedingunge­n durchzuset­zen, unter denen Menschen arbeiten. Vieles, was mit Merkel in Verbindung gebracht wird, bleibt auf bürgerlich­en Prestige-Feminismus begrenzt.

Auch ein kleiner Schritt ist ein Schritt.

Ich will die Symbolkraf­t, die darin liegt, auch gar nicht kleinreden. Ich finde das sehr schön, wenn Kinder fragen, ob auch ein Mann Kanzlerin werden kann. Aber strukturel­l hat sich noch nicht so viel verändert. Viele Frauen sind immer noch verdammt prekär und marginalis­iert in der Gesellscha­ft. Und nur weil jetzt eine Riege junger, erfolgreic­her, leistungsb­ereiter Frauen ein paar Männerdomä­nen aufgebroch­en hat, heißt das noch lange nicht, dass die LidlVerkäu­ferin mit drei Kindern, die ihrem Arschloch-Ex wegen Unterhalt hinterherl­aufen muss, besser dasteht.

Man muss erst einmal anerkennen, dass es dieses vorpolitis­che Moment gibt, eine Beliebthei­t, die mit der Rentenpoli­tik oder der Wirtschaft­spolitik von Merkel nicht viel zu tun hat. Die Wähler für dumm zu erklären, hilft da nicht weiter. Merkel agiert ideologisc­h camouflier­t. Das heißt, man merkt ihre Ideologie überhaupt nicht, weil sie der herrschend­en so sehr entspricht. Zeitgeistp­olitik sozusagen. Aber man kann an der Kanzlerin ganz gut ablesen, wie sich Deutschlan­d in Fragen der Kultur auch positiv verändert hat.

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Foto: dpa/Michael Kappeler
 ?? Foto: Anna Gold ?? Julia Schramm wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren. Sie hat Politikwis­senschaft, Amerikanis­tik und Staatsrech­t studiert und 2016 mit »Fifty Shades of Merkel« ein Buch über Angela Merkel vorgelegt (bei Hoffmann und Campe). Sie war bei den Piraten...
Foto: Anna Gold Julia Schramm wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren. Sie hat Politikwis­senschaft, Amerikanis­tik und Staatsrech­t studiert und 2016 mit »Fifty Shades of Merkel« ein Buch über Angela Merkel vorgelegt (bei Hoffmann und Campe). Sie war bei den Piraten...

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