Eine Woche Papa, eine Woche Mama
Erziehungsmodelle getrennt lebender Eltern verändern sich, müssen es auch die Gesetze?
In die Debatte um die paritätische Doppelresidenz kommt vor der Bundestagswahl Bewegung. Und auch beim Unterhaltsrecht wird die übliche Praxis des »Ganz oder gar nicht« hinterfragt. Die neue Bundesfamilienministerin Katarina Barley ist eine getrennt erziehende Mutter. Mit ihrem früheren Partner teilt sie sich die Betreuung der beiden gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Dieses Wechselmodell fordern Initiativen von Scheidungsvätern seit langem als Regelfall. »Paritätische Doppelresidenz« heißt es präzise, die Kinder haben ihr Zuhause nicht nur bei einem Elternteil. Die Väter übernehmen im Idealfall die Hälfte der Betreuungsaufgaben, dafür entfällt der Kindesunterhalt.
SPD-Politikerin Barley signalisiert mehr Offenheit für die Anliegen von Trennungsvätern als ihre Parteifreundin und Amtsvorgängerin Manuela Schwesig. Nicht nur, weil sie selbst gute Erfahrungen mit dem Arrangement »Eine Woche Papa, eine Woche Mama« gemacht hat. Sondern auch, weil immer mehr Studien und Befragungen die veränderten Wünsche bestätigen. Gerade erst zeigten Zahlen des Allensbach-Institutes, dass 51 Prozent von 605 repräsentativ ausgesuchten Vätern und Müttern die Doppelresidenz theoretisch befürworten. Doch nur 15 Prozent der getrennten Paare, so fanden die Demoskopen heraus, praktizieren tatsächlich die Halbe-halbe-Lösung.
Ganz überwiegend leben Jungen und Mädchen nach einer Scheidung bei der Mutter. Die große Mehrheit der Väter hat inzwischen zwar das gemeinsame Sorgerecht. Trotzdem sehen sie ihr Kind meist nur an jedem zweiten Wochenende, im Urlaub oder mal zwischendurch. Viele von ihnen haben extra eine geräumigere Wohnung angemietet, mit einem dann nur gelegentlich genutzten Kinderzimmer. So entstehen weitere Kosten, doch weder Steuer- noch Unterhaltsrecht bieten dafür bisher einen Ausgleich. Im traditionellen Residenzmodell müssen getrennt erziehende Väter voll für ihre Kinder zahlen – egal wie viel sie mit ihnen unternehmen und für was sie dabei finanziell aufkommen. Kompromisse sind gesetzlich schlicht nicht vorgesehen: Auch wenn ein geschiedener Mann zum Beispiel die ganzen Sommerferien mit seinem Sohn auf Reisen ist, bleibt es der Willkür seiner Ex-Partnerin überlassen, ob sie sich an den entstehenden Zusatzausgaben beteiligt.
Die paritätische Doppelresidenz würde solche Konflikte entschärfen, doch auch sie hat ihre Tücken, ist kein Allheilmittel. So pendeln manche Scheidungskinder nur ungern ständig zwischen zwei Wohnungen – vor allem dann nicht, wenn diese räumlich weit auseinander liegen. Einige Experten betonen die Bedeutung eines fixierten Lebensmittelpunktes für die kindliche Entwicklung. Dieses »Nest«Argument ist unter Fachleuten allerdings umstritten. Andere Kritiker halten das Wechselmodell nur unter Gutverdienenden in Großstädten für praktikabel. Einkommenschwache Eltern könnten sich schlicht nicht leisten, die komplette familiäre Infrastruktur doppelt vorzuhalten. Und auf dem Land seien die Entfernungen oft zu groß.
Das Thema wird äußerst kontrovers diskutiert, steht im Zentrum eines geschlechter- und familienpolitischen Minenfelds. Entsprechend unterschiedlich interpretieren die Beteiligten die wenigen vorliegenden Daten. Umfragen wie die von Allensbach sind mit Skepsis zu betrachten, schon wegen der kleinen Stichprobe. Fest steht lediglich, dass sich mehr El- tern als in der Vergangenheit für eine gemeinsame Betreuung der Kinder entscheiden oder sie zumindest positiv bewerten. Wissenschaftlich gestützte Erfahrungen mit dem Wechselmodell sind in Deutschland bislang kaum vorhanden. Derzeit läuft eine Studie an der Universität Bremen, wo ein Team unter Leitung des klinischen Psychologen Stefan Rücker im Auftrag des Familienministeriums über »Kindeswohl und Unterhaltsrecht« forscht. Die Auswertung soll 2018 vorliegen.
Katarina Barley nahm die Allensbach-Ergebnisse im Juli 2017 zum Anlass, die paritätische Doppelresidenz auf die politische Tagesordnung zu setzen. Dem Vorbild von Ländern wie Belgien oder Schweden folgend möchte sie zeitgemäßere und vor allem weniger holzschnittartige Regelungen einführen. Sie kann sich dabei auf eine Resolution im Europarat von 2015 und auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes (BGH) stützen. Dieser hat im Februar 2017 klargestellt, dass das Wechselmodell schon jetzt »im Sinne des Kindeswohls« angeordnet werden kann. Zwar gibt es seither noch keine Klagewelle, doch Trennungsväter und ihre Interessenverbände wie der »Väteraufbruch für Kinder« fühlen sich motiviert, alte Verfahren und vor allem die öffentliche Debatte neu aufzurollen.
Vor der Bundestagswahl zeigt sich die SPD entschlossen, die BGH-Entscheidung in Gesetzesform zu gießen. Die Doppelresidenz soll als Lösungsmöglichkeit ausdrücklich festgeschrieben werden. Die LINKE spricht von einer »durchaus guten Variante«, die aber voraussetze, dass »Mutter und Vater weiterhin miteinander kommunizieren«. Noch weiter geht das FDP-Wahlprogramm, das die paritätische Betreuung von Scheidungskindern in Streitfällen zur Regel erklären will. Die CDU möchte die empirischen Befunde im nächsten Jahr abwarten, die Grünen fordern zumindest Garantien für eine flexiblere und gerechtere Aufteilung beim Unterhalt. Die Zeiten des alternativlosen »Ganz oder gar nicht«, das Männer zu puren Zahlvätern degradierte, gehen offenbar zu Ende.