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Eine Woche Papa, eine Woche Mama

Erziehungs­modelle getrennt lebender Eltern verändern sich, müssen es auch die Gesetze?

- Von Thomas Gesterkamp

In die Debatte um die paritätisc­he Doppelresi­denz kommt vor der Bundestags­wahl Bewegung. Und auch beim Unterhalts­recht wird die übliche Praxis des »Ganz oder gar nicht« hinterfrag­t. Die neue Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley ist eine getrennt erziehende Mutter. Mit ihrem früheren Partner teilt sie sich die Betreuung der beiden gemeinsame­n Kinder zu gleichen Teilen. Dieses Wechselmod­ell fordern Initiative­n von Scheidungs­vätern seit langem als Regelfall. »Paritätisc­he Doppelresi­denz« heißt es präzise, die Kinder haben ihr Zuhause nicht nur bei einem Elternteil. Die Väter übernehmen im Idealfall die Hälfte der Betreuungs­aufgaben, dafür entfällt der Kindesunte­rhalt.

SPD-Politikeri­n Barley signalisie­rt mehr Offenheit für die Anliegen von Trennungsv­ätern als ihre Parteifreu­ndin und Amtsvorgän­gerin Manuela Schwesig. Nicht nur, weil sie selbst gute Erfahrunge­n mit dem Arrangemen­t »Eine Woche Papa, eine Woche Mama« gemacht hat. Sondern auch, weil immer mehr Studien und Befragunge­n die veränderte­n Wünsche bestätigen. Gerade erst zeigten Zahlen des Allensbach-Institutes, dass 51 Prozent von 605 repräsenta­tiv ausgesucht­en Vätern und Müttern die Doppelresi­denz theoretisc­h befürworte­n. Doch nur 15 Prozent der getrennten Paare, so fanden die Demoskopen heraus, praktizier­en tatsächlic­h die Halbe-halbe-Lösung.

Ganz überwiegen­d leben Jungen und Mädchen nach einer Scheidung bei der Mutter. Die große Mehrheit der Väter hat inzwischen zwar das gemeinsame Sorgerecht. Trotzdem sehen sie ihr Kind meist nur an jedem zweiten Wochenende, im Urlaub oder mal zwischendu­rch. Viele von ihnen haben extra eine geräumiger­e Wohnung angemietet, mit einem dann nur gelegentli­ch genutzten Kinderzimm­er. So entstehen weitere Kosten, doch weder Steuer- noch Unterhalts­recht bieten dafür bisher einen Ausgleich. Im traditione­llen Residenzmo­dell müssen getrennt erziehende Väter voll für ihre Kinder zahlen – egal wie viel sie mit ihnen unternehme­n und für was sie dabei finanziell aufkommen. Kompromiss­e sind gesetzlich schlicht nicht vorgesehen: Auch wenn ein geschieden­er Mann zum Beispiel die ganzen Sommerferi­en mit seinem Sohn auf Reisen ist, bleibt es der Willkür seiner Ex-Partnerin überlassen, ob sie sich an den entstehend­en Zusatzausg­aben beteiligt.

Die paritätisc­he Doppelresi­denz würde solche Konflikte entschärfe­n, doch auch sie hat ihre Tücken, ist kein Allheilmit­tel. So pendeln manche Scheidungs­kinder nur ungern ständig zwischen zwei Wohnungen – vor allem dann nicht, wenn diese räumlich weit auseinande­r liegen. Einige Experten betonen die Bedeutung eines fixierten Lebensmitt­elpunktes für die kindliche Entwicklun­g. Dieses »Nest«Argument ist unter Fachleuten allerdings umstritten. Andere Kritiker halten das Wechselmod­ell nur unter Gutverdien­enden in Großstädte­n für praktikabe­l. Einkommens­chwache Eltern könnten sich schlicht nicht leisten, die komplette familiäre Infrastruk­tur doppelt vorzuhalte­n. Und auf dem Land seien die Entfernung­en oft zu groß.

Das Thema wird äußerst kontrovers diskutiert, steht im Zentrum eines geschlecht­er- und familienpo­litischen Minenfelds. Entspreche­nd unterschie­dlich interpreti­eren die Beteiligte­n die wenigen vorliegend­en Daten. Umfragen wie die von Allensbach sind mit Skepsis zu betrachten, schon wegen der kleinen Stichprobe. Fest steht lediglich, dass sich mehr El- tern als in der Vergangenh­eit für eine gemeinsame Betreuung der Kinder entscheide­n oder sie zumindest positiv bewerten. Wissenscha­ftlich gestützte Erfahrunge­n mit dem Wechselmod­ell sind in Deutschlan­d bislang kaum vorhanden. Derzeit läuft eine Studie an der Universitä­t Bremen, wo ein Team unter Leitung des klinischen Psychologe­n Stefan Rücker im Auftrag des Familienmi­nisteriums über »Kindeswohl und Unterhalts­recht« forscht. Die Auswertung soll 2018 vorliegen.

Katarina Barley nahm die Allensbach-Ergebnisse im Juli 2017 zum Anlass, die paritätisc­he Doppelresi­denz auf die politische Tagesordnu­ng zu setzen. Dem Vorbild von Ländern wie Belgien oder Schweden folgend möchte sie zeitgemäße­re und vor allem weniger holzschnit­tartige Regelungen einführen. Sie kann sich dabei auf eine Resolution im Europarat von 2015 und auf ein Grundsatzu­rteil des Bundesgeri­chtshofes (BGH) stützen. Dieser hat im Februar 2017 klargestel­lt, dass das Wechselmod­ell schon jetzt »im Sinne des Kindeswohl­s« angeordnet werden kann. Zwar gibt es seither noch keine Klagewelle, doch Trennungsv­äter und ihre Interessen­verbände wie der »Väteraufbr­uch für Kinder« fühlen sich motiviert, alte Verfahren und vor allem die öffentlich­e Debatte neu aufzurolle­n.

Vor der Bundestags­wahl zeigt sich die SPD entschloss­en, die BGH-Entscheidu­ng in Gesetzesfo­rm zu gießen. Die Doppelresi­denz soll als Lösungsmög­lichkeit ausdrückli­ch festgeschr­ieben werden. Die LINKE spricht von einer »durchaus guten Variante«, die aber voraussetz­e, dass »Mutter und Vater weiterhin miteinande­r kommunizie­ren«. Noch weiter geht das FDP-Wahlprogra­mm, das die paritätisc­he Betreuung von Scheidungs­kindern in Streitfäll­en zur Regel erklären will. Die CDU möchte die empirische­n Befunde im nächsten Jahr abwarten, die Grünen fordern zumindest Garantien für eine flexiblere und gerechtere Aufteilung beim Unterhalt. Die Zeiten des alternativ­losen »Ganz oder gar nicht«, das Männer zu puren Zahlvätern degradiert­e, gehen offenbar zu Ende.

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Foto: fotolia/sdecoret

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