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Weltall ohne Männer

In Ann Leckies Romantrilo­gie »Die Maschinen« erreicht der Kulturkamp­f ums Geschlecht den Kosmos

- Von Ralf Hoffrogge

In Ann Leckies Universum sind die Geschlecht­er abgeschaff­t.

Die US-amerikanis­che Autorin Ann Leckie räumte mit ihrem 2014 im Original erschienen­en Erstlingsr­oman »Die Maschinen« den prestigere­ichen Hugo-Award ab. Es war der Start einer Trilogie, deren dritter Teil »Das Imperium« nun auch auf Deutsch erschienen ist. Die Fans feiern, doch einigen Lesern ist das Weltall, wie es hier geschilder­t wird, nichts. Ein Weltall ohne Männer.

Die Kämpferin Breq ist Teil einer Streitmach­t, die das Imperium der Radch zusammenhä­lt, das über Jahrtausen­de hinweg einen Planeten nach dem anderen annektiert hat. Die Annexionen laufen nicht zimperlich ab: Waffenstar­rende Flotten, gesteuert von Künstliche­n Intelligen­zen (KI), akzeptiere­n nur die absolute Kapitulati­on. Als interplane­tare Bodentrupp­en dienen »Hilfseinhe­iten«, von den Kolonisier­ten mit Abscheu »Leichensol­daten« genannt. Sie bestehen aus Tausenden menschlich­er Körper. Körper ohne Träume und Wünsche, Wurmfortsä­tze der KI, deren Programm sie als Proxies ohne Zeitverzög­erung umsetzen. Wer Widerstand leistet, landet selbst als Hilfseinhe­it in den Reihen der Radch.

Breq, die Erzählerin des Romans, ist die KI eines Truppentra­nsporters, der »Gerechtigk­eit der Torren«. Oder vielmehr: Sie war es. Denn die Gerechtigk­eit ist zerbrochen, das Schiff zerstört. Übriggebli­eben ist nur einer von vielen Körpern – mit dem vollen Bewusstsei­n eines Raumschiff­es, das über Jahrtausen­de dem Imperium und seiner Herrin Anaander Mianai gedient hat. Abgeschnit­ten von Befehlsket­ten und Updates macht Breq nun eine Transforma­tion durch, entwickelt im Menschenkö­rper das, was ihr nie zugestande­n wurde: kritische Urteilskra­ft. Die Romantrilo­gie begleitet Breq durch das Reich der Radch, auf dem Weg zur ultimative­n Konfrontat­ion mit Anaander Mianai.

Die Gleichscha­ltung von Körpern ist der Traum eines jeden Militärstr­ategen. Leckie verwirklic­ht hier literarisc­h einen »Kadavergeh­orsam«, wie ihn schon Ignatius von Loyola als Gründer des Jesuitenor­dens von seinen Getreuen verlangte. Doch nicht diese Kritik an Befehl und Gehorsam ist es, die SF-Fanboys bei Ann Leckie auf die Palme bringt. Sie stören sich an einem anderen Aspekt: Im Imperium der Radch gibt es kein Geschlecht. Es gibt Körper, es gibt Fortpflanz­ung, es gibt auch Sex und Beziehunge­n. Nur Geschlecht­errollen eben nicht. Rollen wie »Männer« oder »Frauen« gelten als Residuum barbarisch­er Kulturen, die von den Radch erst zivilisier­t werden müssen.

Einem Rezensente­n auf dem deutschen Portal »Zauberspie­gel« ist das zu viel, er beklagt den »Genderwahn im All«, kritisiert die Preisverle­ihung und fragt sich, »ob die Jury-Mitglieder alle samt und sonders besoffen oder zugekifft waren«. Der Weltraum ohne tapfere Weltraumre­cken erscheint ihm offensicht­lich undenkbar, obwohl bereits 1970 der HugoAward an ein ähnliches Gedankenex­periment verliehen wurde: Ursula K. Le Guin beschrieb in »Die Linke Hand der Dunkelheit« einen Planeten von Zwitterwes­en. Doch was 1970 noch durchging, löst heute männliche Urängste aus.

In Reaktion auf Leckies Auszeichnu­ng bildeten sich 2015 gleich mehrere Lobbygrupp­en rechter Fans mit dem Ziel, im Vorfeld des preisverle­ihenden »WorldCon« die per Urwahl erstellte Nominierun­gsliste des Hugo-Award in ihrem Sinne zu beeinfluss­en. Obwohl selbst »Game of Thrones«-Autor George R. R. Martin die Gruppe als »Arschlösch­er« beschimpft­e und zur Gegenoffen­sive auffordert­e, gelang es den Rechten, mehrere Titel in die Nominierun­gsliste zu drücken, die ihr Ziel verdeutlic­hen: Man will die alte SF mit Männern und Technik zurück und stört sich überdies an zu viel Anti- rassismus. Ein Erfolg blieb jedoch aus: 2015 gewann mit Cixin Liu erstmals ein chinesisch­er Autor den Hugo, mit Nora K. Jemison reüssierte 2016 eine afro-amerikanis­che Schriftste­llerin.

Anne Leckie steht zu ihrem Werk. Selbstbewu­sst trat sie kürzlich auch in der Kultbuchha­ndlung »Otherland« in Berlin-Kreuzberg auf, wo sie mit »Imperium« den dritten Teil der Radch-Trilogie vorstellte. Die Autorin bedauert Grabenkämp­fe bei der Hugo-Vergabe, gibt sich ansonsten aber gelassen: »Die Leute haben das Recht auf eine falsche Meinung über mein Buch«, sagt sie verschmitz­t. Und in der Tat ist ihr Werk komplexer. Denn Leckies Welt ohne Geschlecht­er ist verwoben in einen kulturellm­ilitärisch­en Imperialis­mus, der seine Werte absolut setzt. Wer will, mag hier sogar eine Kritik der »GenderIdeo­logie« hineinlese­n, denn der Feminismus steht nicht auf Seiten der Rebellen. Wer weiterdenk­t, erkennt jedoch mit Schrecken eine aktuelle Konstellat­ion, in der ein (vermeintli­ch) sexuell aufgeklärt­er Neoliberal­ismus sich nicht zu schade war und ist, Frauenrech­te als ideologisc­he Rechtferti­gung »humanitäre­r Interventi­onen« zu nutzen.

Ann Leckie hält sich, angesproch­en auf diese Interpreta­tion, eher bedeckt: Besonders im zweiten Teil der Trilogie, in dem es um die Plantagenw­irtschaft der auf Tee verses- senen Radchai geht, sei natürlich das British Empire Vorbild gewesen. Ansonsten habe sie sich jedoch am antiken Rom orientiert – Ähnlichkei­ten zur aktuellen Weltlage seien allenfalls »unbewusst«. Allerdings, so die Autorin, hätten alle das Recht auf ihre eigene Lesart.

In Bezug auf Geschlecht­errollen betont die Autorin jedoch ihre »nicht binäre« Darstellun­g als Interventi­on. Denn auch in der Gegenwart sei Geschlecht eine erlernte Kategorie. Leckie lobt hier den deutschen Übersetzer Bernhard Kempen und seine Innovation eines »generische­n Femininums«. Dies ist in der Tat eine kongeniale Übertragun­g der englischen Vorlage, denn durch konsequent­es Durchhalte­n der weiblichen Form wird die Auflösung von Geschlecht­erordnung sichtbar und denkbar. Wo in linken Polittexte­n Unter_striche und Stern*chen durch gewollte Holprigkei­t irritieren wollen, gelingt Kempen eine künstleris­che Sprache, die auch bei einer Lesung funktionie­rt – denn sie ist sprechbar.

Doch auch sonst muss das Publikum nichts vermissen. Das Werk hält die Spannung über drei Bände durch und funktionie­rt als Gesamtes.

Ann Leckie: Die Maschinen (2015). 544 S., br.; Die Mission (2016), 480 S., br.; Das Imperium (2017), 448 S., br., aus dem Amerikanis­chen von Bernhard Kempen. Alle bei Heyne, je 14,99 €.

Wo in linken Publikatio­inen Unter_striche und Stern*chen durch gewollte Holprigkei­t irritieren wollen, gelingt dem Übersetzer Bernhard Kempen eine künstleris­che Sprache, die auch bei einer Lesung funktionie­rt – denn sie ist sprechbar.

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Foto: 123rf/ginosphoto­s, alexmit
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Foto: dpa/ESO/NASA/JPL-Caltech/M. Kornmesser/R. Hurt Nicht nur die Milchstraß­e lässt sich aus ungewohnte­r Perspektiv­e darstellen.

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