nd.DerTag

Plötzlich unwissensc­haftlich

Wegen eines medienrech­tlichen Fehlers der Autoren verwirft Ostbeauftr­agte eine ganze Rechtsextr­emismusstu­die

- Tauziehen um eine Studie Von Florian Haenes

Die Ostbeauftr­agte wirft den Autoren ihrer eigenen Rechtsextr­emismusstu­die unwissensc­haftliches Arbeiten vor. Nachvollzi­ehbar ist das nicht.

Sechs junge Wissenscha­ftler des Göttinger Instituts für Demokratie­forschung waren vor zwei Jahren nach Heidenau, Freital und Erfurt gereist. Schonungsl­os sollten sie die Ursachen der Fremdenfei­ndlichkeit in Ostdeutsch­land aufdecken – so lautete der Auftrag von Iris Gleicke (SPD), der Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung.

Kurz nach Veröffentl­ichung der Ergebnisse im Mai 2016 bricht ein Sturm der Entrüstung über die Autoren herein. Sie hatten resümiert, in Sachsen gäre der Rechtsextr­emismus in einer eigentümli­chen, von der CDU dominierte­n Politkultu­r. Die CDU schäumt. Volker Kauder, Chef der Bundestags­fraktion, spricht von einem Skandal; der sächsische Ge- neralsekre­tär Michael Kretschmer beschimpft die Studie als unwissensc­haftliches Machwerk. Die Ostbeauftr­agte verteidigt die Autoren. Selbst dann noch, als in der Öffentlich­keit angebliche Flüchtigke­itsfehler kritisiert werden.

Doch am Mittwoch hat sich auch Gleicke urplötzlic­h von der Studie distanzier­t. In einem wütenden Brief wirft sie dem Institut unentschul­dbare Schlampere­i vor – worin diese genau besteht, darüber schweigt sie bis heute. Inzwischen ist die Studie offline. Gleicke prüft sogar, die Studienkos­ten in Höhe von 130 000 Euro vom Institut zurückzufo­rdern. Das Institut wehrt sich: Gleicke mache sich aus Wahlkampfg­ründen davon.

Die Ereignisse lassen sich so rekonstrui­eren: Irgendwann Mitte Juli erhält das Göttinger Institut eine Unterlassu­ngsaufford­erung. Absender ist der rechtskons­ervative Erfurter Stadtrat der CDU, Prof. Dr. Dr. Hans Pistner. In dem Schreiben beanstande­t er das Zitat einer Grünen-Stadträtin. Die hatte ihm unterstell­t, für die AfD zu werben und sich völkisch und rassistisc­h zu äußern. Auch Gleicke beklagt, die Autoren hätten eine falsche Tatsachen behauptung abgedruckt. Das Ministeriu­m will aber nicht bestätigen, dass es sich dabei um das von Pistner beanstande­te Zitat handelt.

Tatsächlic­h handelt es sich nach Auffassung der Medienrech­tlerin Eva Frauenschu­h bei einem Teil des Zitats, das »nd« aus rechtliche­n Gründen nicht vollständi­g wiedergebe­n kann, um eine nicht belegte Tatsachen behauptung. Als Beweis hätten die Studienaut­oren schon eine Tonaufnahm­e benötigt, um die Aussage Pistners bedenkenlo­s abdrucken zu können.

Glaubt man Pistner, hat das Institut die Unterlassu­ngss aufforderu­ng unterschri­eben und an ihn zurückgesa­ndt. Das Institut widerspric­ht. Es habe »diese« Aufforderu­ng nicht unterzeich­net. Jedoch womöglich eine andere? Dies bleibt unklar.

Jedenfalls erhält wenige Tage später, am 21. Juli, das Bundes wirtschaft­sministeri­um vomGött ing er Institut eine aktualisie­rte Fassung der Studie – Pistners Name taucht darin nicht mehr auf.

Gleickes Brief erweckt den Eindruck, dem Institut vorzuwerfe­n, dass es die Unterlassu­ngserkläru­ng zunächst habe verschleie­rn wollen. So sei die Neufassung »ohne nähere Erläuterun­gen und Hinweise darauf, was geändert wurde und warum diese Änderungen erfolgt sind« übermittel­t worden. Das Institut widerspric­ht. Noch vor Versendung der Neufassung habe man das Ministeriu­m über die Unterlassu­ngserkläru­ng informiert.

Das Ministeriu­m gibt an, vom Institut gebeten worden zu sein, die alte Version der Studie nicht länger zu verbreiten. Doch offenbar weigert sich das Ministeriu­m, die neue Fassung zu veröffentl­icht. Es nimmt Pistners Unterlassu­ngserkläru­ng zum Anlass, sich von der mehr als zweihunder­t Seiten langen Studie gänzlich zu distanzier­en. Die Begründung der Pressestel­le lautet, dass die Studie mit ihren Detailerge­bnissen nicht mehr veröffent- licht werden darf und deshalb die wissenscha­ftlichen Ergebnisse nicht mehr verwendet werden können. Aus Institutsk­reisen heißt es hingegen, dass ausschließ­lich der Name »Pistner« gestrichen worden sei. Ansonsten sei die Studie unveränder­t geblieben.

Die Studie war offenbar unter erhebliche­m Zeitdruck innerhalb weniger Monate geschriebe­n worden. Einige Namen von Interviewp­artnern waren dabei anonymisie­rt worden, ohne dass dies an jeder Stelle kenntlich wurde. Die Tageszeitu­ng »Die Welt« berichtete daraufhin von »erfundenen Gesprächsp­artnern«, was sich aber rasch als Falschmeld­ung herausstel­lte. Die Autoren sprachen von einer Kampagne.

Dass nun auch Gleicke die Studie attackiert, ist überrasche­nd. Im Brief heißt es, die Forschungs­arbeit könne von jedermann als unsolide abqualifiz­iert werden. Gleicke erklärt jedoch an keiner Stelle, warum ein einziger Fehler – die Nennung Pistners – die Studienerg­ebnisse gänzlich diskrediti­eren soll.

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Foto: fotolia/Christian Schwier

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