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Zschäpe könnte im Landtag aussagen

Sachsens NSU-Ausschuss nähert sich den entscheide­nden Fragen

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Im zweiten sächsische­n Untersuchu­ngsgremium zum NSU ist Halbzeit. Bis 2019 sind noch einige Kernfragen zur gescheiter­ten Suche nach der rechten Terrorgrup­pe zu klären. Beate Zschäpe könnte als Zeugin vor den Untersuchu­ngsausschu­ss im sächsische­n Landtag zum Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) geladen werden. »Ich kann mir das auf jeden Fall vorstellen«, sagte die Linkspolit­ikerin Kerstin Köditz bei ihrer Halbzeitbi­lanz des Gremiums, dem sie als Vizechefin vorsteht. Zschäpe habe im Münchner NSUProzess angedeutet, dass sie in einem parlamenta­rischen Ausschuss womöglich gesprächig­er wäre als vor Gericht. Zwar sehe sie Zschäpe nicht in jedem Fall als glaubwürdi­ge Zeugin, schränkte Köditz ein: »Ich will aber nichts unversucht lassen.«

Eine Anhörung der einzigen Überlebend­en des Trios, das im Zentrum der rechten Terrorgrup­pe stand, wäre in dem sächsische­n Ausschuss sinnvoll, sobald das Urteil im Münchner Prozess rechtskräf­tig ist. In wichtigen Fragen hätte Zschäpe dann kein Zeugnisver­weigerungs­recht mehr. Allerdings ist unklar, ob der juristisch­e Schlussstr­ich in dem Prozess so rechtzeiti­g gezogen wird, dass eine Vorladung der prominente­n Zeugin nach Dresden noch möglich ist. Das im April 2015 eingesetzt­e Gremium arbeitet nur bis zur nächsten sächsische­n Landtagswa­hl 2019. Köditz ist skeptisch, dass danach noch einmal ein Ausschuss eingesetzt wird: »Das wird sehr schwer.«

Schon jetzt ist der Aufklärung­seifer sichtlich erlahmt; Köditz merkt an, dass einige Abgeordnet­e in den Sitzungen lieber Zeitschrif­ten lesen als Zeugen zu befragen – selbst solche aus Zwickau, wo das NSU-Trio lange unerkannt lebte. Die Abgeordnet­e räumt auch ein, dass es sich mittlerwei­le um ein »sehr verwinkelt­es Thema« handle. Die Akten füllen allein beim zweiten sächsische­n Ausschuss rund 1500 Aktenordne­r: »Da hat keiner mehr alle Details parat.«

Sinnvoll ist die Arbeit des Gremiums dennoch, sagt Köditz – etwa, weil Verschwöru­ngstheorie­n um den NSU ausgeräumt werden konnten. Sie bezogen sich etwa auf den letzten Unterschlu­pf des Trios in der Zwickauer Frühlingss­traße 26, den Zschäpe am 4. November 2011 in Brand steckte. Im Brandschut­t wurde die Tatwaffe der rassistisc­hen Mordserie des NSU gefunden. Hartnäckig hielten sich allerdings Spekulatio­nen, die Pistole sei erst später dort platziert worden. Inzwischen ist laut Köditz erwiesen: »Das ist nachweisli­ch alles Quatsch.«

Befasst hat sich der sächsische Ausschuss auch mit einer Serie von Raubüberfä­llen in Chemnitz und Zwickau, bei denen der NSU zwischen 1998 und 2006 eine Viertelmil­lion Euro erbeutete – Geld, mit dem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe ihr Leben im Untergrund finanziert­en. Es sei »bedenklich«, dass keines der Verbrechen damals aufgeklärt wurde, sagt Köditz. Als »merkwürdig« empfindet sie es dabei, dass eine Fallanalys­e des sächsische­n Landeskrim­inalamtes (LKA) 2007 zwar Hinweise auf einen dritten Täter und eine Frau enthielt, diese Erkenntnis­se aber in den Akten der Polizei nie auftauchte­n.

Es war ein Versagen mit Folgen – trug es doch womöglich dazu bei, dass die Rechtsterr­oristen den Behörden durch die Lappen gingen. Nach deren Untertauch­en gab es eine bundesweit­e Fahndung. Im LKA Thüringen tippte man auf Chemnitz als möglichen Aufenthalt­sort. Auch das Netzwerk der Unterstütz­er war weitgehend bekannt; und ein V-Mann in Brandenbur­g gab Hinweise auf Überfälle. »Man hatte viele zutreffend­e Vermutunge­n«, sagt Köditz, »und trotzdem hat sie niemand gestoppt.« Warum das so war, sei der Kern der noch offenen Fragen, »und dieser Kern liegt hier in Sachsen«. Für mögliche Antworten bleiben zwei Jahre Zeit.

Sinnvoll ist die Arbeit des Gremiums dennoch, sagt Köditz – etwa, weil Verschwöru­ngstheorie­n um den NSU ausgeräumt werden konnten.

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