Die Betonzentrale der Falken
Die Bundesbank wird 60 – noch immer wollen ihre Verantwortlichen nur für Geldwertstabilität sorgen
Während der letzten Sitzung vor der Sommerpause wich der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, nicht einmal einen Trippelschritt von ihrer lockeren Geldpolitik zurück. Aus der Deutschen Bundesbank war daraufhin wieder einmal ein Grummeln zu vernehmen. Seit langem kritisiert ihr Boss Jens Weidmann den »unorthodoxen« Kurs der Euro-Hüter.
In der Dauerfehde spiegeln sich zwei Denkschulen wider. Die »Tauben« um Draghi sehen die Rolle der Notenbank nicht allein darin, den Geldwert möglichst stabil zu halten. Sie beanspruchen darüber hinaus eine Rolle als Pate der Volkswirtschaft: Beschäftigung, Konjunktur und Außenhandel beeinflussen ihre Geldpolitik. Aktuell setzt Draghi auf Niedrigzinspolitik, flutet Banken und Börsen mit billigem Geld und kauft weiter in großem Stil Anleihen selbst von Unternehmen auf. Alles, um die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln.
Dagegen setzen die »Falken«, die im 25-köpfigen EZB-Rat deutlich in der Minderheit sind, auf eine Geldpolitik der reinen Lehre: »Unverrückbar«, wird Weidmann nicht müde zu betonen, stehe die Bundesbank für »Geldwertstabilität«. Stabile Preise seien die Basis jeden Wachstums – für die Wirtschaft- und Finanzpolitik seien die Regierungen zuständig. Ungeachtet der Probleme in Griechenland, Spanien oder Italien möchten die »Falken« den Geldhahn schnellstmöglich zudrehen und die Zinssätze erhöhen, um einer künftigen Inflation vorzubeugen.
Der Zwist hat mit einer institutionellen Besonderheit zu tun: Die Bun- desbank, deren Betonzentrale kaum fünf Kilometer vom neuen EZBHauptsitz entfernt liegt, arbeitet autonom. Sie ist – anders als die französische Zentralbank oder die Bank of England – traditionell unabhängig von Weisungen der Regierung oder des Parlaments. Die Bundesbank herrschte lange selbstständig über diesen wichtigen Politikbereich.
Die Autonomie geht auf Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Schon 1922 hatte die linksbürgerliche Weimarer Regierung für die Reichsbank ein Autonomiegesetz er- lassen, um eine Kriegsfinanzierung mit Hilfe der Notenbank künftig unmöglich zu machen. Diese hatte auch den Weg zur Großen Inflation von 1923 vorgezeichnet. Mit dieser Geldentwertung wird bis heute die harte Politik der Bundesbank begründet.
Nach 1945 errichteten die Westalliierten zunächst ein zweistufiges System nach US-Vorbild mit Landeszentralbanken und darüber der »Bank deutscher Länder«. In der jungen Bundesrepublik ging es aber bald in Richtung des zentralistischen Modells der Reichsbank. Am 1. August 1957 wurde die Bundesbank gegründet. Das von CDU/CSU und FDP getragene Bundesbankgesetz regelte ihre Aufgaben und machte sie im Tagesgeschäft unabhängig von politischen Einflüssen. Auch wenn der Präsident sowie die weiteren Mitglieder des Direktoriums fortan auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten bestellt wurden.
Die Zentralbank setzte, wenngleich schon damals umstritten, alles auf die Karte Inflationsbekämpfung – und damit auf eine »harte« D-Mark. Was durchaus den Vorstellungen der mächtigen Großbanken entsprach. Die Politik blieb nicht ohne Folgen. Zwar gelang es der Bundesbank nicht, eine permanente Inflation zu unterbinden. Doch sie konnte immerhin ein relativ stabiles Preisniveau organisieren – selbst in den 1970er und 1980er Jahren, als andere Länder Raten von bis zu 15 Prozent verzeichneten.
Hierauf beruht der Mythos Bundesbank, der sich in dem Spruch des französischen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors ausdrückte: »Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bun- desbank.« Gleichzeitig zwang die harte D-Mark die exportorientierte Industrie zu Innovationen und hochwertigen Produkten, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Kritiker wie der Ökonom Rudolf Hickel oder Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine werfen der Bundesbank vor, mit ihrer restriktiven Geldpolitik mehrfach Wirtschaftskrisen bewirkt oder verschärft zu haben. Auch 1992/93 in der tiefen Rezession hätte schnelles Handeln durch Zinssenkungen die wirtschaftliche Schwäche beheben können. Zeitweilig ging die Bundesbank auf Konfrontation zu den sozialdemokratischen Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt. Letzterer konnte sich nicht durchsetzen mit seiner legendären Forderung: »lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.«
Seit 1999 kann die einst so mächtige Bundesbank keine eigenständige Geldpolitik mehr machen. Die nationalen Zentralbanken der Eurozone sind nur noch ausführende Organe der neuen Macht am Main. Aber sie haben Mitspracherecht und können die Fahne der »Falken« weiter schwenken. Wie sagte doch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Gratulation zum 60.: »Die Aufgaben der Bundesbank sind im Eurosystem wichtig geblieben.« Die Notenbank leiste einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität der Gemeinschaftswährung.