nd.DerTag

Das Leben wurde eine Baustelle

Gentrifizi­erung erfasst eines der letzten unsanierte­n Häuser in Prenzlauer Berg

- Von Nicolas Šustr

Nicht komfortabe­l, aber unschlagba­r billig. So lebten die Mieter der Immanuelki­rchstraße 35 in Prenzlauer Berg lange Jahre. Doch nun hat die Verdrängun­gswelle auch sie erfasst. Atempause für Liesa Schober. Die Anwältin der Hausverwal­tung, Verena Schepers, zieht nach kurzer Verhandlun­g am Montagmorg­en vor dem Amtsgerich­t Mitte die Räumungskl­age gegen sie zurück. Richterin Cornelia Kohrs hatte bei der Verhandlun­g sehr deutlich durchblick­en lassen, dass sie die Klage abweisen würde. Gekündigt wurde Schober für ihre kleine Wohnung in der Immanuelki­rchstraße 35 in Prenzlauer Berg nämlich erst zum 31. Oktober. Es sei einfach noch zu früh, um von einer berechtigt­en Besorgnis auszugehen, dass die Mieterin sich der Räumung entziehen werde, sagte Richterin Kohrs.

Derweil dröhnt und stampft ein Bagger, während er auf dem schmalen Hof der Immanuelki­rchstraße 35 rangiert. Der Lärm ist ohrenbetäu­bend. »Die Bauarbeite­n beginnen um sieben Uhr morgens und hören nicht vor 18 Uhr auf«, sagt Schober. Auch samstags werde gearbeitet, berichtet die Mieterin. Bis vor kurzem war es noch eines der letzten unsanierte­n Häuser im Winsvierte­l. Schober, die seit 2005 dort wohnt, heizt noch mit Kohlen und ein Bad hat sie auch nicht. Dementspre­chend günstig ist auch die Miete, sie zahlt um die drei Euro pro Quadratmet­er. Darauf ist die Studentin, die nur nebenher noch etwas arbeiten kann, auch angewiesen. »Gut leben« könne sie so.

Wie lange Schober noch mitten im durchgentr­ifizierten Innenstadt­bezirk unter Bedingunge­n wohnen kann, die in Berlin über Jahrzehnte üblich waren, ist allerdings offen. Denn mitten im Milieuschu­tzgebiet hat der Bezirk Pankow eine Sanierungs­genehmigun­g erteilt, die unter normalen Umständen so nicht möglich gewesen wäre. Hinter der Fassade des Altbaus entsteht quasi ein Neubau. Wohnungen werden zusam- mengelegt, Fahrstühle und großzügige Bäder eingebaut. Laut Darstellun­g des zuständige­n Bezirksamt­s Pankow habe sich die Genehmigun­g quasi zwingend ergeben (»nd« berichtete). Christoph Speckmann, Leiter des Bereichs Stadterneu­erung im bezirklich­en Stadtentwi­cklungsamt, ahnte schon, dass das Vorgehen angreifbar ist. Das zu erwartende Ergebnis »würde vor den Wahlen zum Abgeordnet­enhaus zu erhebliche­n Verstimmun­gen führen«, erklärte Speckmann laut einer »nd« vorliegend­en Aktennotiz, deswegen sollten die Ausschüsse in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung erst nach der stattgefun­denen Wahl im September 2016 erfolgen. Was dann auch so geschah.

»Wenn Sie, wie ich es vorhabe, Bäder und Toiletten einbauen, marode Trägerbalk­en austausche­n, einsturzge­fährdete und rattenvers­uchte Kriechkell­er sanieren, Fenster erneuern, die Fassade dämmen und das einsturzge­fährdete Dach sanieren und ausbauen, die historisch­e Fassade wiederhers­tellen möchten, oder auch die maroden Gasleitung­en mit einer ökologisch­en Heiz- und Warmwasser­gewinnung ersetzen möchten, dann verändern Sie die Gebäudesub­stanz grundlegen­d«, erklärte Alexander Röhreke in einer älteren Stellungna­hme für »nd«. »Und dann unterliege­n Sie den Bestimmung­en wie bei einem Neubau, weshalb alle Belange des Brandschut­zes und des barrierefr­eien Zugangs zu Wohnungen zu erfüllen sind«, so Röhreke weiter.

Allen betroffene­n Mietern sei auch eine Umsetzwohn­ung für 6,50 Euro pro Quadratmet­er Kaltmiete mit unbefriste­tem Mietvertra­g angeboten worden, schrieb Röhreke. »Das ist immer noch mehr als das Doppelte meiner jetzigen Miete«, sagt Scho- ber. Tatsächlic­h hatte sie bereits im Oktober 2015 einen Brief mit mehreren Rückfragen zu dem damals geäußerten Angebot verfasst, allerdings nie eine Antwort erhalten. »Ein Bauherr muss sich überlegen, wie er den Bau fortsetzen kann und eventuell die Wohnung noch stärker subvention­iert«, gibt Richterin Kohrs den Vertretern des Hauseigent­ümers zu verstehen.

Noch sind Räumungskl­agen gegen zwei weitere Mieter der Immanuelki­rchstraße 35 vor dem Amtsgerich­t Mitte anhängig, die Verhandlun­gen sind für die nächsten Tage angesetzt. Der Druck des Eigentümer­s auf die Bewohner des Hauses wirkt. Von den ursprüngli­ch 18 Mietpartei­en, die noch Anfang 2015 in dem Haus lebten, sind aktuell noch zwölf übrig. Fünf haben nach Angaben des Bezirks bereits das Angebot einer Umsetzwohn­ung akzeptiert.

 ?? Foto: nd/Nicolas Šustr ?? Blickdicht, laut und schmutzig – so lebt es sich zur Zeit in der Immanuelki­rchstraße 35.
Foto: nd/Nicolas Šustr Blickdicht, laut und schmutzig – so lebt es sich zur Zeit in der Immanuelki­rchstraße 35.

Newspapers in German

Newspapers from Germany