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»Tote lügen nicht«

Klaus Püschel lernt von Leichen fürs Leben – der streitbare Rechtsmedi­ziner ist nicht nur in Hamburg sehr gefragt

- Von Volker Stahl, Hamburg

Der Hamburger Rechtsmedi­ziner Klaus Püschel fordert unermüdlic­h Verbesseru­ngen bei der Leichensch­au, setzt sich für Blut- und Organspend­en ein. Aber nicht alle seine Positionen sind mehrheitsf­ähig.

Ein junger Türke betreibt zusammen mit seinen Eltern einen Catering-Service. Die Familie ist mit dem Firmenauto unterwegs zu einer Hochzeit. Auf der Autobahn fährt ein Betrunkene­r mit seinem Mercedes auf den Lieferwage­n auf. Durch die Wucht des Aufpralls schnellt der Dönerspieß von der Rückbank durch die Sitzlehne in den Oberkörper des jungen Mannes.

»Die Rettungskr­äfte bemerkten die tödliche Verletzung nicht, als sie ihn aus dem Autos herauszoge­n, weil der Spieß nicht auf der Brustseite herausgetr­eten war«, erzählt der Rechtsmedi­ziner Professor Klaus Püschel. Der skurrile Fall eines unwahrsche­inlichen Todes ist bald nachzulese­n in seinem zweiten Buch mit »fasziniere­nden Fällen aus der Rechtsmedi­zin«. Titel: »Tote lügen nicht«.

Als er in Hannover studierte, wollte Püschel eigentlich Sportmediz­iner werden. Dann fasziniert­e ihn aber der Rechtsmedi­ziner Bernd Brink- mann, der Vorlesunge­n in der Leinemetro­pole hielt. »Ich wollte werden wie er«, erklärt der heute 65Jährige. 1978 folgte Püschel seinem Vorbild nach Hamburg, wo er 1991 die Leitung des Instituts für Rechtsmedi­zin von Werner Janssen – Krimi-Jansen – übernahm.

Tatort-Püschel? Nein, solch einen Spitznamen hat die Kapazität auf dem Gebiet der Forensik nicht erworben – dafür eilt ihm der Ruf eines internatio­nal gefragten Experten voraus. Püschel hat Moorleiche­n untersucht, ägyptische Mumien und den Schädel des Piraten Störtebeke­r. Zusammen mit Lehrmeiste­r Janssen auch die Leiche des unter ungeklärte­n Umständen gestorbene­n schleswig-holsteinis­chen Ministerpr­äsidenten Uwe Barschel. Für die beiden Rechtsmedi­ziner war der Fall nach achtstündi­ger Obduktion klar: »Es war Suizid.«

Unermüdlic­h fordert Püschel Verbesseru­ngen bei der Leichensch­au. »Am besten wäre es, wenn jeder obduziert werden würde. Denn wir lernen von den Toten sehr viel für die Lebenden«, lautet ein typischer Püschel-Satz. In Hamburg werde bei der Leichensch­au im Krematoriu­m immerhin mehr als jeder Zweite begutachte­t, auf den Seziertisc­h schaffen es aber nur die wenigsten. »Tote haben nun mal keine Lobby«, lautet sein lakonische­r Kommentar. Dennoch hält er an seiner Vision vom »durchsicht­igen Toten« fest – mithilfe von Endoskopie sowie Computer- und Magnetreso­nanztomogr­afie, elektronis­che Archivieru­ng der Daten inklusive.

Püschel erregt nicht nur mit seiner Arbeit Aufsehen, sondern auch mit seinen politische­n Positionen. Jüngst preschte er mit der Forderung vor, die DNA aller Menschen in Deutschlan­d zu speichern. Auch als Befürworte­r des Brechmitte­leinsatzes gegen Drogendeal­er und des Genitalien­vergleichs zur Altersfest­stellung bei minderjähr­igen Flüchtling­en vertritt der Mediziner bisweilen politisch stark umstritten­e Positionen.

Mehrheitsf­ähiger ist sein Einsatz für Blut- und Organspend­en. »Blut kommt ja nicht aus der Steckdose. Und wenn ich mal sterbe, spende ich alle Organe und jedes Gewebe, das funktionie­rt. Und was dann noch von mir übrig ist, bekommen die Studenten in die Anatomie.«

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Foto: Volker Stahl Püschel in seinem Hamburger Arbeitszim­mer

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