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»Ich bin die Frau Picasso«

Drastik und Feminismus: Eine Biographie erzählt das bewegte Leben der Malerin Maria Lassnig

- Von Sabine Kebir Natalie Lettner: Maria Lassnig. Die Biografie, Brandstätt­er Verlag, 400 S., geb., 29,90 €

Im Jahr 1985 fasziniert­e mich ein im »Spiegel« reproduzie­rtes pop-art-iges Gemälde: »Mit einem Tiger schlafen«. Mir war sofort klar, dass das Bild nur von einer Malerin stammen konnte. Obwohl man die Gesichtszü­ge der Frau unter dem Tiger gut erkennen konnte, blieb offen, ob es einen Kampf darstellte, Resignatio­n oder einen Wunsch. Das mehrdeutig­e Bild lud nicht vordergrün­dig zur Identifika­tion ein. Aber nicht nur deshalb war es hohe Kunst, sondern auch, weil selbst die simple schwarz-weiße Reprodukti­on erahnen ließ, dass hier meisterlic­h gemalt worden war – in der Pop Art eher unüblich.

Offenbar stellte das von der 1919 in Kärnten geborenen Maria Lassnig stammende Bild das Glanzstück einer Ausstellun­g von 80 Malerinnen im Wiener Museum des 20. Jahrhunder­ts dar. Die Tonlage des Berichters­tatters Jürgen Hohmeyer kann man sich herablasse­nder nicht vorstellen. Die als »Schau-Getto« bezeichnet­e Ausstellun­g beweise schon durch ihre Existenz, dass die Emanzipati­on der Frau in der Kunst noch nicht vollendet sei. Wohl wahr. Aber schuld daran war eben gerade die Missachtun­g, mit der Kunst von Frauen in der westlichen Zivilisati­on immer noch konfrontie­rt war. Vom epochalen patriarcha­len »Kunstfasch­ismus« sang Lassing in dem 1992 gedrehten Animations­film »Maria Lassnig Kantate«, in dem sie als gleicherma­ßen unbeholfen wie durchtrieb­en wirkende österreich­ische Provinzler­in von ihrem Leben und Schaffen berichtete, das zu großen Teilen in Paris und New York stattgefun­den hatte. Jetzt, drei Jahre nach Lassnigs Tod, legt die Kultur- und Kunstwisse­nschaftler­in Natalie Lettner die erste umfassende, mit Fotos und vielen guten Reprodukti­onen ausgestatt­ete Biographie der Künstlerin vor.

Ihre Ausbildung hatte Lassnig in den letzten Kriegsjahr­en an der Wiener Kunstakade­mie erhalten, wo man einen zwar an alten Meistern geschulten, aber dem Nazigeschm­ack entspreche­nden Naturalism­us pflegte, von dem sich Lassnig künstleris­ch bald geknebelt fühlte. Von der Kenntnis der vorfaschis­tischen Moderne gänzlich abgeschnit­ten, schulte sie sich schon damals an Beispielen des Kärntener Kolorismus, die sie ermutigten, mit dem Eigenwert und der Umwertung der Farben zu experiment­ieren. Nach dem Krieg nahm sie an der die westeuropä­ische Kunstjugen­d erfassende­n nachholend­en Rezeption der Moderne teil und malte surrealist­isch und »abstrakt«, dabei immer malerisch anspruchsv­oll und – ihrem Selbstvers­tändnis nach – nie gegenstand­slos.

Sowohl ihre »Strichbild­er« als auch ihre »Knödelbild­er« stellten eigene »Körpergefü­hle« dar, die zu erfassen und – später auch in anderen Stilen – bildlich umzusetzen lebenslang das eigentlich­e Hauptanlie­gen Lassnigs bleiben sollte. Es konnte im Nachhinein feministis­ch interpreti­ert werden, denn sie arbeitete sich damit an ihrem schwierige­n Frauenschi­cksal ab. Unehelich geboren, lebte sie die ersten sechs Jahre bei der als dörfliche Magd schuftende­n Großmutter, die kaum Zärtlichke­it und Zeit für ihre Erziehung aufbringen konnte. Zwischen ihr und der Mutter, die sie nach einer Eheschließ­ung zu sich nahm, kam es trotz beiderseit­igem lebenslang­em Bemühen nie zu einer wirklich innigen Beziehung.

Weil ihr keine glückliche­n Familienve­rhältnisse vorgelebt wurden, aber auch, weil sie schon als ganz junge Malerin meinte, dass Liebesbezi­ehungen sowohl ihr selbst als auch ihrer Kunst schadeten, ließ sie dauerhafte intensive Beziehunge­n, nach denen sie sich eigentlich sehnte, niemals wirklich zu. Die Verletzung­en, die sie durch die Zurücksetz­ung gegenüber männlichen Malerkolle­gen im Nachkriegs­österreich und in Paris erlebte, wohin sie 1961 übersiedel­te, führten dazu, dass man sie als leicht eifersücht­ig werdende, schwierige Person wahrnahm.

Schon in Paris begann sie, sich an der aus den USA strahlende­n Pop Art zu inspiriere­n, ohne allerdings deren Konsumfeti­schismus zu übernehmen. Sie ging wieder zum deutlich Figurative­n über und stellte weiter meist die schwierige­n Beziehunge­n zwischen den Geschlecht­ern und vor allem auch zwischen Mutter und Kind dar, deren oft skurrile Symbolik leicht und doch mehrdeutig erschließb­ar ist. Sie selbst bezeichnet viele ihrer populärste­n Bilder – auch das von mir bis heute geschätzte Tigerbild – als ihre schlechtes­ten. Ihre besten, meinte sie, seien die abstrakter­en Bilder, in denen sie versuchte, ihrem »Körpergefü­hl« Ausdruck zu geben, ein letztlich unerfüllba­res Ziel. Sie war sich darüber im Klaren, dass sich Körpergefü­hle unablässig ändern.

Angesichts der Kraft, mit der sich Lassnig immer wieder aus widrigsten Verhältnis­sen herausarbe­itete, wundert es nicht, dass sie sich vom amerikanis­chen Feminismus angezogen fühlte, der die starke und widerständ­ig kreative Frau propagiert­e. 1968 flieht sie aus dem aufständis­chen Paris, dessen revolution­äre Antriebe ihr unverständ­lich sind und lässt sich in New York nieder. Hier findet sie tatsächlic­h ein ihr eher entspreche­ndes Umfeld von Menschen und Künstlern und insbesonde­re durch ihre Zugehörigk­eit zur Gruppe der Woman Artist Filmmakers auch echte Kollegiali­tät – unter Frauen.

Erfolge mit ihren damals begonnen Arbeiten als Animations­filmemache­rin gingen der schließlic­h doch noch erfolgende­n breiten Anerkennun­g als Malerin voraus. Ende der siebziger Jahre begann man sich dann auch in Österreich für Lassnig zu interessie­ren. 1980 trat sie eine Professur an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst an, die sie – erstmals im Leben – finanziell­er Sorgen enthob. Es folgten große repräsenta­tive Ausstellun­gen und internatio­nale Ehrungen.

»Ich bin die Frau Picasso!«, hat Maria Lassnig einmal trotzig verkündet, um ihre – nach eigener Meinung – unterschät­zte Bedeutung in der Kunstgesch­ichte des 20. Jahrhunder­ts anzumerken. Das klingt wenig logisch, denn Picasso wandte sich ganz entspannt Objekten zu, während sich ihre Kunst vor allem aus angespannt­er seelischer Introspekt­ion nährte, die sich geistig auf eine philosophi­sche Linie zwischen Sigmund Freud und Ernst Machs Theorien der Eigenwahrn­ehmung zu stützen suchte.

Aber diese gegensätzl­ichen Haltungen sind aus der polaren Position der Geschlecht­er in der Kunst des 20. Jahrhunder­ts begreifbar. Sie entsprang der patriarcha­len Tradition, dass sich männliche Künstler der Außenwelt bemächtigt­en, während Frauen erst einmal ihre Identität hinterfrag­ten. Den Schritt, Identität im souveränen Wechselspi­el mit der äußeren Welt zu erwerben, konnte Maria Lassnig wohl aufgrund ihrer frühen Lebenserfa­hrungen und den zunächst noch ganz patriarcha­l ausgericht­eten Kunstmarkt nicht gehen.

Auch wenn Frauen anderer Kulturen ihr Werk deshalb weniger zugänglich erscheint, ist auf alle Fälle festzuhalt­en, dass es äußerst sensibel und radikal die Vorgeschic­hte, Geschichte und die Grenzen des westlichen Feminismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts repräsenti­ert. Weil sie sich Kunst nur »ehrlich« vorstellen mochte, fügte Maria Lassnigs Malerei Individuel­l-Weibliches, Lokal-Authentisc­hes und Global-Universell­es so genau zusammen, dass die Historizit­ät ihrer Anliegen erkennbar ist – ein großer, wenn vielleicht auch nicht gewollter Vorzug ihres Werks.

Ihre besten Arbeiten, meinte sie, seien die abstrakter­en Bilder, in denen sie ihrem »Körpergefü­hl« Ausdruck geben wollte.

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Foto: imago Ausstellun­gsansicht zu Maria Lassnig: Ohne Titel (Selbstport­rait mit Hase), 2003

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