Aufklärung oder Denunziation?
Das umstrittene Online-Lexikon »Agent*In« dokumentiert antifeministische Institutionen und Personen
Vor einer Woche hat das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung das Online-Lexikon »Agent*In« (Anti-Gender-Networks-Information) veröffentlicht. Gemeinsam mit feministischen Autoren und Autorinnen wurde das Projekt als eine Wiki-Seite konzipiert, um darauf Vereine, Verbände, Netzwerke und Personen zu dokumentieren, die antifeministisch in Erscheinung getreten sind.
Erste Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Von rechten und konservativen Plattformen wie PI News oder »KathNews«, aber auch vom »Tagesspiegel« und von der Henning von Bargen
»Welt« wird der Vorwurf geäußert, bei dem Lexikon handele es sich um eine schwarze Liste. Der »Tagesspiegel« vergleicht die Plattform mit einem Verfassungsschutzbericht, der denunziatorisch die dort aufgelisteten Personen bloßstellt: »Von rechtsextremen Fanatikern über streitbare Konservative bis zu Liberalen, die lediglich die Gendertheorie für Unfug halten, wird alles in den Sack ›AntiFeminismus und Gender-Kritik‹ gesteckt und gleich geprügelt: genderkritisch gleich homophob gleich antifeministisch gleich pfui«, heißt es dort von Bernd Matthies.
»Das Wiki als Lexikon definiert vor allem Begriffe und liefert Analysen. Es ist und war nicht gedacht als das, was uns nun massiv vorgehalten wird«, sagt dagegen Henning von Bargen, Mitglied der Redaktion von »Agent*In« und Leiter des GundaWerner-Instituts. Die Artikel im Wiki seien »weder denunziatorisch noch beleidigend oder erniedrigend, sondern ausschließlich auf Grundlage von öffentlich einsehbaren und nachvollziehbaren Publikationen nach bekannten, auch in der Wissenschaft eingesetzten Kategorien, wie zum Beispiel Heteronormativität, Familiarismus oder Maskulismus, erfolgt«.
Vorgeworfen wird der Böll-Stiftung auch, dass nicht ersichtlich sei, wer nach welchen Kriterien auf der Plattform dokumentiert wird. »Im Wiki werden unterschiedliche, freiwillig veröffentlichte Positionen und Äußerungen von Denkrichtungen, Institutionen, Organisationen und somit zwangsläufig eben auch Personen veröffentlicht, die sich auf das Oberthema Antifeminismus beziehen«, sagt dazu von Bargen.
»Agent*In« postuliert auch auf der eigenen Startseite, dass die Plattform keine schwarze Liste sei, da die Menschen und Organisationen, die dort aufgelistet sind, mit ihren antifeministischen Positionen selbst die Öffentlichkeit suchten. Tatsächlich werden auf »Agent*In« auch viele Personen namentlich genannt – beispielsweise Frauke Petry oder Jürgen Elsässer – und es wird auf ihre Arbeit und Stellung in Organisationen, Vereinen oder Medien verwiesen. Die in den Artikeln zusammengetragenen Informationen zeigen auch die Verbindungen der dort Aufgelisteten untereinander auf, die nicht immer gleich ersichtlich seien, heißt es dazu.
In vorerst 500 Artikeln werden nicht nur einzelne Fakten und Definitionen, beispielsweise zu Sexismus oder der »Antichoice«-Bewegung, sondern auch der Kontext, die internationale Vernetzung und die Einflussnahme der dort aufgelisteten Organisationen auf Politik und Öffentlichkeit herausgestellt. Antifeminis- mus umfasse Strömungen innerhalb der Gesellschaft, die sich gegen Frauen, Gleichstellung und Feminismus richten. Ehrenamtliche Autoren und Autorinnen erstellen die Artikel – ihre Klarnamen werden nicht genannt, um sie vor Angriffen zu schützen.
Andreas Kemper, Redaktionsmitglied von »Agent*In«, schreibt auf seinem Blog, dass die Form eines Wikis als sich ständig wandelnde On- line-Plattform besonders dafür geeignet sei, auf den Internetauftritt der international vernetzten antifeministischen Personen und Institutionen flexibel reagieren zu können. Gerade antifeministische Blogs seien oft Ausgangspunkt von Hatespeech-SpamAktionen in den Kommentarspalten größerer Medien, so Kemper.
Auch »Agent*In« ist nach seiner Veröffentlichung in den sozialen Me- dien laut von Bargen insbesondere aus der antifeministischen und maskulistischen Szene mit Hassbeiträgen angegriffen worden. »Üblich ist es dabei auch, die Kommentarspalten und Twitterstreams mit den eigenen oft unqualifizierten oder beleidigenden Positionen zu dominieren. So werden an sachlicher Auseinandersetzung interessierte Personen rausgedrängt.«
Das Gunda-Werner-Institut arbeitet schon länger zum Thema Antifeminismus und Gender-Kritik. Die Beschäftigten haben die Erfahrung gemacht, dass die Geschlechterforschung sowie die gleichstellungspolitische Arbeit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten abgewertet wird. »Und zwar nicht nur aus rechtsextremer und rechtspopulistischer Perspektive, sondern teilweise auch aus der politischen und medialen ›Mitte‹ heraus«, sagt der Leiter des Instituts. Forderungen antifeministischer Organisationen sind laut dem Wiki die »Wiederherstellung ›natürlicher Geschlechterrollen‹, die Festlegung der Frau auf die Mutter- und Hausfrauenrolle im Heim, die Abschaffung sexueller Selbstbestimmung (u. a. durch Erschwerung oder Abschaffung legaler Abtreibungen) und die Marginalisierung von Homosexuellen«.
Auf »Agent*In« sind vor allem die Beziehungen von Parteien und Organisationen wie der AfD, der sogenannten Identitären Bewegung, katholischer Vereinigungen und Abtreibungsgegner aus Frankreich, Polen oder Italien untereinander, aber auch mit Medien wie beispielsweise der »Jungen Freiheit«, »Sezession« oder »Compact« – und der Antifeminismus als verbindendes Element – ersichtlich. Ihnen gemein ist laut »Agent*In«: Homophobie, Sexismus und Rassismus. Das Lexikon will zeigen, was hinter manch schwammiger Parole steckt und wie sich die Akteure international und politisch untereinander unterstützen.
»Das Wiki definiert vor allem Begriffe und liefert Analysen. Es ist nicht gedacht als das, was uns nun massiv vorgehalten wird.«