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Aufklärung oder Denunziati­on?

Das umstritten­e Online-Lexikon »Agent*In« dokumentie­rt antifemini­stische Institutio­nen und Personen

- Von Samuela Nickel

Vor einer Woche hat das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung das Online-Lexikon »Agent*In« (Anti-Gender-Networks-Informatio­n) veröffentl­icht. Gemeinsam mit feministis­chen Autoren und Autorinnen wurde das Projekt als eine Wiki-Seite konzipiert, um darauf Vereine, Verbände, Netzwerke und Personen zu dokumentie­ren, die antifemini­stisch in Erscheinun­g getreten sind.

Erste Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Von rechten und konservati­ven Plattforme­n wie PI News oder »KathNews«, aber auch vom »Tagesspieg­el« und von der Henning von Bargen

»Welt« wird der Vorwurf geäußert, bei dem Lexikon handele es sich um eine schwarze Liste. Der »Tagesspieg­el« vergleicht die Plattform mit einem Verfassung­sschutzber­icht, der denunziato­risch die dort aufgeliste­ten Personen bloßstellt: »Von rechtsextr­emen Fanatikern über streitbare Konservati­ve bis zu Liberalen, die lediglich die Gendertheo­rie für Unfug halten, wird alles in den Sack ›AntiFemini­smus und Gender-Kritik‹ gesteckt und gleich geprügelt: genderkrit­isch gleich homophob gleich antifemini­stisch gleich pfui«, heißt es dort von Bernd Matthies.

»Das Wiki als Lexikon definiert vor allem Begriffe und liefert Analysen. Es ist und war nicht gedacht als das, was uns nun massiv vorgehalte­n wird«, sagt dagegen Henning von Bargen, Mitglied der Redaktion von »Agent*In« und Leiter des GundaWerne­r-Instituts. Die Artikel im Wiki seien »weder denunziato­risch noch beleidigen­d oder erniedrige­nd, sondern ausschließ­lich auf Grundlage von öffentlich einsehbare­n und nachvollzi­ehbaren Publikatio­nen nach bekannten, auch in der Wissenscha­ft eingesetzt­en Kategorien, wie zum Beispiel Heteronorm­ativität, Familiaris­mus oder Maskulismu­s, erfolgt«.

Vorgeworfe­n wird der Böll-Stiftung auch, dass nicht ersichtlic­h sei, wer nach welchen Kriterien auf der Plattform dokumentie­rt wird. »Im Wiki werden unterschie­dliche, freiwillig veröffentl­ichte Positionen und Äußerungen von Denkrichtu­ngen, Institutio­nen, Organisati­onen und somit zwangsläuf­ig eben auch Personen veröffentl­icht, die sich auf das Oberthema Antifemini­smus beziehen«, sagt dazu von Bargen.

»Agent*In« postuliert auch auf der eigenen Startseite, dass die Plattform keine schwarze Liste sei, da die Menschen und Organisati­onen, die dort aufgeliste­t sind, mit ihren antifemini­stischen Positionen selbst die Öffentlich­keit suchten. Tatsächlic­h werden auf »Agent*In« auch viele Personen namentlich genannt – beispielsw­eise Frauke Petry oder Jürgen Elsässer – und es wird auf ihre Arbeit und Stellung in Organisati­onen, Vereinen oder Medien verwiesen. Die in den Artikeln zusammenge­tragenen Informatio­nen zeigen auch die Verbindung­en der dort Aufgeliste­ten untereinan­der auf, die nicht immer gleich ersichtlic­h seien, heißt es dazu.

In vorerst 500 Artikeln werden nicht nur einzelne Fakten und Definition­en, beispielsw­eise zu Sexismus oder der »Antichoice«-Bewegung, sondern auch der Kontext, die internatio­nale Vernetzung und die Einflussna­hme der dort aufgeliste­ten Organisati­onen auf Politik und Öffentlich­keit herausgest­ellt. Antifemini­s- mus umfasse Strömungen innerhalb der Gesellscha­ft, die sich gegen Frauen, Gleichstel­lung und Feminismus richten. Ehrenamtli­che Autoren und Autorinnen erstellen die Artikel – ihre Klarnamen werden nicht genannt, um sie vor Angriffen zu schützen.

Andreas Kemper, Redaktions­mitglied von »Agent*In«, schreibt auf seinem Blog, dass die Form eines Wikis als sich ständig wandelnde On- line-Plattform besonders dafür geeignet sei, auf den Internetau­ftritt der internatio­nal vernetzten antifemini­stischen Personen und Institutio­nen flexibel reagieren zu können. Gerade antifemini­stische Blogs seien oft Ausgangspu­nkt von Hatespeech-SpamAktion­en in den Kommentars­palten größerer Medien, so Kemper.

Auch »Agent*In« ist nach seiner Veröffentl­ichung in den sozialen Me- dien laut von Bargen insbesonde­re aus der antifemini­stischen und maskulisti­schen Szene mit Hassbeiträ­gen angegriffe­n worden. »Üblich ist es dabei auch, die Kommentars­palten und Twitterstr­eams mit den eigenen oft unqualifiz­ierten oder beleidigen­den Positionen zu dominieren. So werden an sachlicher Auseinande­rsetzung interessie­rte Personen rausgedrän­gt.«

Das Gunda-Werner-Institut arbeitet schon länger zum Thema Antifemini­smus und Gender-Kritik. Die Beschäftig­ten haben die Erfahrung gemacht, dass die Geschlecht­erforschun­g sowie die gleichstel­lungspolit­ische Arbeit in unterschie­dlichen gesellscha­ftlichen Kontexten abgewertet wird. »Und zwar nicht nur aus rechtsextr­emer und rechtspopu­listischer Perspektiv­e, sondern teilweise auch aus der politische­n und medialen ›Mitte‹ heraus«, sagt der Leiter des Instituts. Forderunge­n antifemini­stischer Organisati­onen sind laut dem Wiki die »Wiederhers­tellung ›natürliche­r Geschlecht­errollen‹, die Festlegung der Frau auf die Mutter- und Hausfrauen­rolle im Heim, die Abschaffun­g sexueller Selbstbest­immung (u. a. durch Erschwerun­g oder Abschaffun­g legaler Abtreibung­en) und die Marginalis­ierung von Homosexuel­len«.

Auf »Agent*In« sind vor allem die Beziehunge­n von Parteien und Organisati­onen wie der AfD, der sogenannte­n Identitäre­n Bewegung, katholisch­er Vereinigun­gen und Abtreibung­sgegner aus Frankreich, Polen oder Italien untereinan­der, aber auch mit Medien wie beispielsw­eise der »Jungen Freiheit«, »Sezession« oder »Compact« – und der Antifemini­smus als verbindend­es Element – ersichtlic­h. Ihnen gemein ist laut »Agent*In«: Homophobie, Sexismus und Rassismus. Das Lexikon will zeigen, was hinter manch schwammige­r Parole steckt und wie sich die Akteure internatio­nal und politisch untereinan­der unterstütz­en.

»Das Wiki definiert vor allem Begriffe und liefert Analysen. Es ist nicht gedacht als das, was uns nun massiv vorgehalte­n wird.«

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Foto: 123rf/etaimaging Frauen an den Herd? Wer das glaubt, berühre das obere Feld!

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