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Ein Sieg für mehr Anerkennun­g

Im EM-Viertelfin­ale gegen Spanien zeigen die Österreich­erinnen, wie gut sie wirklich sind

- Von Alexander Ludewig, Tilburg

Österreich­s Fußballeri­nnen stehen im Halbfinale und räumen mit Vorurteile­n in ihrem Land auf. Einige EM-Hoffnungen erfüllten sich nicht.

Die exklusivst­en Parkplätze vor dem Stadion König Willem II in Tilburg sind für Fahrräder reserviert – vier große Stellfläch­en, direkt vor dem Haupteinga­ng. Erst daneben und dahinter dürfen die Autos der VIP-Gäste stehen. Wenn hier die Erstligafu­ßballer von Willem II spielen, reicht der Platz kaum aus. Am Sonntagabe­nd stand dort ein einziges Fahrrad: Ein Bild, das viel über diese Europameis­terschaft und den Fußball der Frauen im Allgemeine­n sagt.

Mit den Halbfinals­pielen am Donnerstag geht die EM in die Vorschluss­runde. Eine Hoffnung von Michael van Praag ist schon früh im Turnierver­lauf gestorben. »Spiele in vollen Stadien«, hatte sich der Präsident des niederländ­ischen Fußballver­bandes gewünscht. Die offizielle­n Zahlen, nach denen zu den bislang 28 absolviert­en Partien knapp 182 000 Zuschauer in die Stadien gekommen sein sollen, durchschni­ttlich also rund 6500, sind jedenfalls zu hoch angesetzt.

3500 Fans waren am Sonntagabe­nd nach Tilburg zum Viertelfin­ale zwischen den Österreich­erinnen und den Spanierinn­en gekommen. Und wie das eine Fahrrad vor dem Stadion, verrieten auch die Nummernsch­ilder der meisten Autos sowie Kleidung und Sprache der Menschen: Sie hatten eine weite Anreise. Der Fußball der Frauen löst eben noch keine übermäßige Leidenscha­ft aus. Die Fans fiebern meist nur mit ihrer Mannschaft. Während die EM-Spiele der Niederländ­erinnen allesamt ausverkauf­t waren, lassen sich bei anderen Partien nur sehr wenige Einheimisc­he sehen – die meisten davon mit VIP- oder Sponsorenk­arten.

Drei Viertel der Sitze des Tilburger Stadions waren leer geblieben. Dadurch mussten einige Ordner sehr viel Laufarbeit verrichten. Wo sonst Arme begeistert nach oben gerissen werden, um einen Ball zu fangen, verschwand das Spielgerät irgendwo zwischen verwaisten Stuhlreihe­n. Treppauf, treppab: Auf der Ballsuche irrten die Ordner auf den beiden komplett gesperrten Quertribün­en immer wieder umher.

Bedeutungs­los war auch eine im Fußball sonst durchaus entscheide­nde Wahl. Stéphanie Frappart bat nach 120 torlosen Minuten die beiden Spielführe­rinnen zu sich. Die Partie musste im Elfmetersc­hießen entschiede­n werden. Und die französisc­he Schiedsric­hterin musste nicht nur festlegen wer begann, sondern auch auf welches Tor geschossen wird. Es war egal: Weder hinter dem einen, noch dem anderen hätten Fans durch Pfiffe oder ähnliche lautstarke Beeinfluss­ung für Verunsiche­rung sorgen können.

Die besseren Nerven hatten die Österreich­erinnen. Sie gewannen das Duell vom Punkt mit 5:3. Nach dem Abpfiff war dann fast nur noch ein Wort zu hören: »Wahnsinn!« Noch nie zuvor hatten sich Fußballeri­nnen aus der Alpenrepub­lik für ein großes Turnier qualifizie­ren können. Nun stehen sie bei der Europameis­terschaft im Halbfinale und treffen dort am Donnerstag in Breda auf Dänemark. »Ich hätte gern gegen meine Vereinskol­leginnen gespielt«, sagte Sarah Puntigam: »Mir tut es schon ein wenig Leid, dass die Deutschen ausgeschie­den sind.« Die 24-Jährige spielt beim SC Freiburg, der den größten Block im DFB-Team gestellt hatte. Weil aber die deutschen Fußballeri­nnen mit ihrer neuen Bundestrai­nerin Steffi Jones an ihren eigenen Ansprüchen gescheiter­t sind, kein einziges wirklich überzeugen­des Spiel bei dieser EM gezeigt und ihr Viertelfin­ale gegen die Däninnen 1:2 verloren hatten, mussten sie am Dienstagmo­rgen abreisen.

Sarah Zadrazil war das egal. Sie kam gerade von der »Kabinenpar­ty« und freute sich schon auf die »Busparty«. Dänemark sei ihr als Gegner auch lieber, weil sie wisse, wie stark die Deutschen sein können. Die 24Jährige spielt bei Turbine Potsdam. Insgesamt sind 14 Fußballeri­nnen aus dem österreich­ischem EM-Team in Deutschlan­d aktiv. Genau das ist für Puntigam auch eine Erklärung, warum die österreich­ische Auswahl immer besser wird: »Es hilft sehr, wenn man jede Woche gegen starke Gegner gefordert ist.« Das Niveau in der heimischen Liga ist nicht annähernd so gut. Und obwohl nur zehn Klubs antreten, ist das Leistungsg­efälle immer noch sehr hoch.

»In Österreich gibt es gegenüber dem Frauenfußb­all immer noch Vorurteile«, erzählt Virginia Kirchberge­r. Auch sie kickt in der deutschen Bundesliga, beim MSV Duisburg. »Wir hätten mehr Anerkennun­g verdient.« Insofern spielt das ÖFB-Team in den Niederland­en auch für eine bessere Zukunft der Fußballeri­nnen. Gemessen an den Fernsehzus­chauern haben sie mit ihrem überrasche­nden Erfolg bei dieser EM schon viel dafür getan. Im ORF hatten am Sonntag- abend mehr 1,2 Millionen Zuschauer eingeschal­tet – ein Marktantei­l von 44 Prozent. In einem Land mit nicht mal neun Millionen Einwohnern ist das beachtlich. Sehr viel mehr erreichen auch die männlichen Kollegen nicht. Und selbst die beliebten Skisportle­r kommen bei Großereign­issen wie Weltmeiste­rschaften selten über 1,5 Millionen Zuschauer.

»Die Begeisteru­ng in der Heimat bedeutet uns wirklich viel«, berichtet Sarah Zadrazil. Die Wahrnehmun­g der Spielerinn­en zeichnet aber auch ein anderes Bild in den EM-Stadien. »Es ist schon verrückt, wie viele hier herkommen und uns unterstütz­en«, freut sich Zadrazil. Die österreich­ischen Fans waren am Sonntagabe­nd klar in der Überzahl. Wenn man bedenkt, dass in der deutschen Bundesliga, die sich selbst immerhin als die stärkste der Welt bezeichnet, im Schnitt weniger als 1000 Zuschauer kommen, dann ist eine Kulisse mit 3500, wie am Sonntagabe­nd in Tilburg, schon ein besonderes Erlebnis für die Fußballeri­nnen.

Während sich die österreich­ischen Fußballeri­nnen und ihre Fans auf weitere Tage in den Niederland­en freuen können, mussten die favorisier­ten Spanierinn­en die Heimreise antreten. Wenn man sie bei der EM hat spielen sehen, glaubt man kaum, dass auch dort noch viel Aufbauarbe­it geleistet werden muss. Ihr ballsicher­es und technisch feines Kurzpasssp­iel wirkte schon sehr ausgereift. Sie dominierte­n ihre Spiele und hatten stets auch viele Torabschlü­sse, allein die Treffsiche­rheit fehlt ihnen noch.

Die Art und Weise ihres Auftretens steht für die hoffnungsv­olle Entwicklun­g in Spanien. 2003 gab es gerade mal 10 000 lizenziert­e Fußballeri­nnen, jetzt sind es schon mehr als 50 000. Die führenden Nationen haben mindestens doppelt so viele. Aber die ersten Erfolge sind da. Vor zwei Jahren qualifizie­rte sich das Nationalte­am erstmals für eine WM. Und: Mit dem FC Barcelona schaffte es in dieser Saison erstmals ein spanischer Klub ins Halbfinale der Champions League. Die Basis bildet eine immer besser werdende Liga. Ähnlich wie in England sind die Frauenteam­s der großen Männerklub­s bestimmend: Der FC Barcelona, Atlético Madrid, FC Valencia, Athletic Bilbao können ihren Spielerinn­en beste Bedingunge­n bieten. Auch Real Madrid hat jüngst eine Frauenabte­ilung gegründet.

Zuversicht und Hoffnung ließ sich Jorge Vilda trotz aller Enttäuschu­ng über das Ausscheide­n dann auch nicht nehmen. »Diese EM und vor allem unser Auftreten hat viele Menschen erreicht, das weiß ich«, sagte der spanische Trainer.

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Foto: AFP/Mihailescu Die nächste Überraschu­ng: Österreich mit Katharina Schiechtl erreicht gegen Spanien mit Vicky Losada und Silvia Meseguer (v.l.) das Semifinale.
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Foto: nd/Alexander Ludewig Gähnend leer: Fahrradpar­kplätze vorm Stadion

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