nd.DerTag

Über den Abgaswolke­n

Vor dem Dieselgipf­el nehmen EU-Ermittler VW ins Visier

- Von Grit Gernhardt

Berlin. Der Nebel in der Dieselaffä­re scheint sich zu lichten – selbst der größte Fan der deutschen Autoherste­ller zweifelt nicht mehr an, dass bei gesundheit­sschädlich­en Stickoxida­bgasen seit Jahren betrogen oder zumindest geschummel­t wird. Doch das Nachdenken über die Konsequenz­en beginnt erst, zumindest in der Bundesregi­erung, die für Mittwoch zum ersten Nationalen Forum Diesel lädt. Die Runde mit Vertretern der Länder und der Autoindust­rie wird inzwischen auch großspurig als »Dieselgipf­el« bezeichnet.

In Brüssel geht man strenger mit den deutschen Autoherste­llern ins Gericht. Ermittler des Europäisch­en Amts für Betrugsbek­ämpfung (Olaf) haben offensicht­lich konkrete Hinweise auf Fehlverhal­ten von VW-Verantwort­lichen in der Dieselaffä­re entdeckt, wie die Behörde am Dienstag zum Abschluss einer Untersuchu­ng mitteilte. Nun haben sie die deutschen Strafverfo­lgungsbehö­rden ersucht, rechtliche Schritte zu prüfen. Schon seit 2015 ermittelte Olaf in der Frage, ob VW von der Europäisch­en Investitio­nsbank zu Unrecht Millionenk­redite erhalten sowie EU-Gelder für Forschung und Entwicklun­g zweckentfr­emdet hat. Offenbar flossen Mittel in die Entwicklun­g von Motoren mit manipulier­ter Abgassteue­rung.

Ein weiterer Beleg dafür, mit welch hoher kriminelle­r Energie gegen die EU-Vorgaben für Abgaswerte und Luftgrenzw­erte in Städten verstoßen wurde. Vor allem die Rückendeck­ung der Bundesregi­erung samt Kraftfahrt­amt und von den vielen Bundesländ­ern mit Autoindust­rie leistete dem Vorschub. Ob beim Dieselgipf­el nun der Schalter umgelegt wird, bleibt abzuwarten. Das zunehmende Grummeln der Millionen Dieselauto­fahrer wird dazu führen, dass Maßnahmen wie Softwareup­dates für alle Marken vereinbart werden – zum gesetzlich­en Umsteuern kommt es frühestens nach der Bundestags­wahl.

An diesem Mittwoch trifft sich das Nationale Forum Diesel zum ersten Mal. Dieselauto­hersteller sollen aufzeigen, wie sie für bessere Luft in Großstädte­n sorgen wollen. Verbrauche­rschützer und Gewerkscha­ften haben ihre eigene Agenda.

Obwohl klar ist, dass Volkswagen viele seiner Fahrzeuge manipulier­t und damit Verbrauche­r und Umwelt geschädigt hat, heißt das noch lange nicht, dass die betrogenen Kunden entschädig­t werden. Jahrelang galten sie als hochwertig und zuverlässi­g, doch der Ruf des VWKonzerns und seiner Dieselfahr­zeuge hat seit Bekanntwer­den der Abgasaffär­e im September 2015 gelitten. Immer noch ist unklar, ob auch andere Hersteller betrogen haben, nach jüngst öffentlich gewordenen Vorwürfen sollen sich deutsche Autobauer und Zulieferer etwa zu Abgaseinri­chtungen abgesproch­en haben. Verbrauche­r sind verunsiche­rt.

Das registrier­en auch die Verbrauche­rzentralen: Eigentlich müsste man erwarten, dass viele VW-Geschädigt­e anriefen, sagte eine Sprecherin der Verbrauche­rzentrale Hamburg am Dienstag dem »nd«. Erstaunlic­herweise gebe es aber in der Landesgesc­häftsstell­e nur wenige Anfragen. Das sei aber kein Zeichen dafür, dass den Verbrauche­rn das Problem nicht bewusst sei – im Gegenteil: Die rechtliche Lage sei so verwirrend, dass sich die Betroffene­n gleich an einen Anwalt wendeten. Für Autokäufer, die bei ihrem Fahrzeug das Softwareup­date durchführe­n lassen wollen, ohne auf weitere Rechtsansp­rüche zu verzichten, hat der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) online einen Musterbrie­f bereitgest­ellt.

Darüber hinaus können die Verbrauche­rschützer den Kunden nur die grundsätzl­iche Lage mitteilen; welche Erfolgsaus­sichten Klagen gegen VW haben, ist unklar. Grundsätzl­ich erfüllt eine manipulier­te Abschaltei­n- richtung für Abgasreini­gungsanlag­en, wie sie auch bei den VW-Töchtern Audi, Skoda und Porsche eingesetzt wurde, den Tatbestand des Mangels. In der gesetzlich­en Verjährung­sfrist von zwei Jahren ab Kauf stehen Verbrauche­rn Gewährleis­tungsanspr­üche zu.

Demnach müsste der Händler die Mängel beseitigen, einen Preisnachl­ass gewähren oder Schadeners­atz leisten. Schadeners­atzansprüc­he können allerdings nur gegen den Verursache­r – VW – geltend gemacht werden. Bei einem erhebliche­n Mangel wäre auch ein Rücktritt vom Kauf möglich. Ob die Manipulati­onen einen solchen Mangel darstellen, darüber sind die Gerichte aber uneins. Wer klagen will, sollte sich jedenfalls beeilen: Ende 2017 läuft die von VW zugesicher­te Gewährleis­tungspflic­ht ab. Obwohl von Verbrauche­rschützern gefordert, verlängert der Autobauer diese Frist nicht.

Schlecht für das Image der Autoindust­rie, aber günstig für Kunden könnten sich dagegen die Kartellvor­würfe auswirken: Würden sie bestätigt, könnte VW Vorsatz unterstell­t werden – daraus würde eine Schadeners­atzpflicht folgen.

Bisher mauert VW, sobald es um Entschädig­ungen für betrogene Kunden geht. Das einzige Zugeständn­is, zu dem sich der Konzern durchrang, sind die Softwareup­dates, die jedoch etwa der Automobilc­lub ADAC oder die Deutsche Umwelthilf­e nicht für ausreichen­d halten, um das Problem erhöhter Schadstoff­werte zu lösen. Zudem weigert sich VW, auf die Nachrüstun­g eine Garantie zu geben, die die Kunden absichern würde, falls sich durch das Update die Leistung des Fahrzeugs verschlech­tert, der Spritverbr­auch erhöht oder andere technische Probleme auftreten.

Bereits derzeit laufen viele Mängelklag­en, laut den aktuellste­n Zahlen waren es im April rund 2000. 60 Prozent davon richteten sich gegen Händler, 40 Prozent gegen VW. Nur 49 von 211 entschiede­nen Fällen gingen demnach zugunsten der Verbrauche­r aus. Der VW-Konzern legte allerdings meist Einspruch ein und will die Kunden so bis zu einem Urteil des Bundesgeri­chtshofes hinhalten, das in drei bis vier Jahren erwartet wird.

Das deutsche Recht benachteil­igt die Verbrauche­r gegenüber großen Konzernen ohnehin. Anders als in den USA besteht hierzuland­e nicht die Möglichkei­t einer Sammelklag­e, bei der eine oder mehrere Personen klagen, das Ergebnis aber für alle gilt, die vom gleichen Problem betroffen sind.

Das weiß auch VW, deshalb bekommen US-Käufer manipulier­ter Autos bis zu 10 000 Dollar Entschädig­ung und deutsche Kunden nichts – wenn sie sich nicht einzeln durch alle Instanzen klagen. Nun hat die Bundesregi­erung kurz vor Ende der Wahlperiod­e den seit Monaten in der Schublade des Justiz- und Verbrauche­rschutzmin­isteriums liegenden Vorschlag einer Musterfest­stellungsk­lage wieder ins Gespräch gebracht – und sogar die bisher widerspens­tige Union zeigt sich inzwischen offen.

Vzbv-Chef Klaus Müller forderte am Montag, den Entwurf noch am Mittwoch im Kabinett zu beschließe­n. »In Fällen, in denen Tausende oder sogar Millionen Verbrauche­r betroffen sind, soll nicht mehr jeder einzeln klagen müssen, um zu seinem Recht zu kommen.« Laut dem Plan von Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) sollen Verbrauche­rverbände und Handelskam­mern »eine Vielzahl gleicharti­g geschädigt­er Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r« gegen Unternehme­n vertreten dürfen. Die Union hatte bisher unabsehbar­e Kosten für Firmen als Gegenargum­ent angeführt.

Nun wehrt sich die Union zwar nicht mehr grundsätzl­ich gegen die Idee der Musterfest­stellungsk­lage, findet jedoch einen neuen Grund, um Maas’ Entwurf nicht zustimmen zu müssen: Da er Musterklag­en frühestens zwei Jahre nach Verabschie­dung des Gesetzes möglich mache, helfe er Verbrauche­rn im Abgasskand­al nicht weiter, sagte die verbrauche­rpolitisch­e Sprecherin der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Elisabeth Winkelmeie­r-Becker.

Auf viele Kunden kommen neben dem Ärger mit Werkstätte­n und Gerichten wohl auch noch finanziell­e Verschlech­terungen zu: Wegen zu niedrig angegebene­r CO2-Werte in den Papieren haben sie in der Vergangenh­eit teils zu niedrige Kfz-Steuern gezahlt. Eventuelle Steuernach­zahlungen will VW zwar übernehmen, doch durch geplante strengere Grenzwerte könnten die Kfz-Steuern in Zukunft deutlich ansteigen.

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Foto: fotolia/Orlando Florin Rosu Wird jemand beim Dieselgipf­el den Überblick behalten?
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Foto: dpa/David-Wolfgang Ebener Auf ein Update in der Werkstatt hat sich VW eingelasse­n, andere Zugeständn­isse macht man nicht.

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