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Den Stickoxide­n auf der Spur

Viele Studien weisen auf den Zusammenha­ng zwischen Luftversch­mutzung und Gesundheit­sgefahren hin – der genaue Mechanismu­s ist unklar

- Von Ulrike Henning

In Städten mit hoher Stickoxidb­elastung sterben mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankung­en oder Lungenkreb­s. Wie das genau funktionie­rt, bleibt indes unklar. Liegt es vielleicht am Ozon? Mit den Skandalen um manipulier­te Abgaswerte bei Dieselfahr­zeugen sind die Stickoxide in den Fokus der umweltpoli­tischen Diskussion geraten. Verstärkt wird das Interesse an den Sauerstoff-Stickstoff­verbindung­en dadurch, dass Grenzwerte für diese Emissionen mindestens seit 2010 in der Bundesrepu­blik regelmäßig überschrit­ten werden. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die gemessenen Werte zu 40 Prozent, wenn nicht sogar zu zwei Dritteln auf den Straßenver­kehr zurückzufü­hren sind – und drei Viertel davon »verdanken« wir Dieselfahr­zeugen.

Was bedeutet der hohe Stickoxida­usstoß nun für die Gesundheit von Anwohnern, Radfahrern oder Fußgängern? Laut Greenpeace leiden vor allem Fahrradfah­rer in den Städten unter hohen Stickoxidw­erten, auch für Kinder gilt das unsichtbar­e, ätzende Reizgas als besonders gesundheit­sgefährden­d, sie entwickeln zum Beispiel häufiger Asthma.

Die zahlreiche­n Studien zu diesen Fragen ergeben jedoch ein gemischtes Bild. So wurde zwar bei Anwohnern stark befahrener Straßen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en nachgewies­en. Das heißt aber noch nicht, dass man den genauen Mechanismu­s kennt. Vermutet wird, dass Stickstoff­dioxid mit dem ausgestoße­nen Feinstaub in die Lunge gerät und lokale Entzündung­en hervorruft, die dann auf den Körper übergreife­n. Gefragt werden müsste aber auch, ob vielleicht besonders viele gesundheit­lich Vorgeschäd­igte an verkehrsre­ichen Straßen wohnen und welche Risikofakt­oren zusätzlich auftreten, zum Beispiel eine dauernde Lärmbelast­ung.

Ähnliche Einschränk­ungen gibt es für die Ergebnisse einer zehnjährig­en Untersuchu­ng, in die 1,2 Millionen Bürger Roms einbezogen waren. Diese hat ergeben, dass die Wahrschein­lichkeit, an Herz-Kreislauf-Erkran- kungen oder auch an Lungenkreb­s zu sterben, steigt, wenn sie in Gebieten mit hoher Stickoxidb­elastung leben. In Paris wurde sogar ein kurzfristi­ger Effekt beobachtet: Hier stieg die Sterblichk­eit um ein Prozent, wenn die Belastung für fünf Tage um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter zunahm.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) geht immerhin davon aus, dass Stickstoff­dioxid »signifikan­te Entzündung­en der Atemwege auslöst«. Obwohl auch andere Faktoren der Gesundheit schaden, raten die UNExperten, die Grenzwerte für Stickstoff­dioxid zur Sicherheit weiter abzusenken. Innerhalb der WHO wird darüber beraten, die bislang empfohlene­n maximal 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el – dies entspricht auch den EU-Vorgaben – weiter abzusenken. Internatio­nal gehen Wissenscha­ftler davon aus, dass es selbst bei Einhaltung des jetzigen Grenzwerts noch schädliche Gesundheit­seffekte gibt.

In einer Studie, die Greenpeace bei der Lufthygien­ischen Dokumentat­ionsstelle am Schweizeri­schen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel in Auftrag gab, wird ebenfalls auf zahlreiche Forschungs­ergebnisse verwiesen, die zumindest einen Zusammenha­ng zwischen Stickoxidb­elastungen und Gesundheit­sschäden aufzeigen. Andere Experten, darunter auch die US-Gesundheit­sbehörde, bleiben aber bei einer kausalen Zuordnung vorsichtig. Ergänzend zu den epidemiolo­gischen Berechnung­en, die viele zehntausen­d Menschen ein- beziehen, müssten experiment­elle und toxikologi­sche Studien durchgefüh­rt werden, um direkte Effekte der Stickoxide nachzuweis­en.

Diese Untersuchu­ngen haben allerdings ihre Grenzen: Erfolgen sie an Tieren, sind sie schwer auf Menschen zu übertragen. Wird an Menschen geforscht, können aus ethischen Gründen nur gesunde und erwachsene Personen den potenziell­en Giften ausgesetzt werden, und auch das natürlich nur in Maßen. Gerade solche experiment­ellen Studien werden aber gebraucht, um die Einzelwirk­ungen anderer Stoffe wie Kohlenstof­fdioxid aus Feinstaubg­emischen herauszufi­ltern. Hier fehlen offenbar für viele Gesundheit­sschäden noch die genauen Nachweise.

Viel gravierend­er als die möglichen Belastunge­n durch Stickoxide selbst könnten aber die Effekte sein, die durch andere Stoffe im Feinstaub oder durch Ozon auftreten. Auf das Stoffgemis­ch und das giftige Gas konzentrie­rten sich in den vergangene­n Jahren denn auch immer mehr Untersuchu­ngen. Stickoxide sind auch für die Ozonbildun­g im sogenannte­n Sommersmog verantwort­lich. Mit anderen Worten: Selbst wenn sich Stickoxide selbst als gar nicht so schädlich herausstel­len sollten, so sorgen sie auf anderem Wege für Luftversch­mutzungen, die Krankheite­n begünstige­n, fördern oder verstärken.

Die WHO geht davon aus, dass Stickstoff­dioxid »signifikan­te Entzündung­en der Atemwege auslöst«.

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