nd.DerTag

Bioideolog­isch

Gibt es überhaupt Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d?

- Von Fabian Köhler

Mit dem Begriff »biodeutsch« werden immer häufiger Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d bezeichnet. Aber hat es eine »reinrassig­e« germanisch­e Urgemeinsc­haft überhaupt jemals gegeben? Es waren die üblichen rechtspopu­listischen Floskeln, die der AfD-Politiker und Greifswald­er Rechtsprof­essor Ralph Weber kürzlich ablieferte. Von einer Absage an »multikultu­relle Umgestaltu­ng« und »Überfremdu­ng« schrieb er auf Facebook. Von »linksgrüne­n Weltverbes­sern« und »Biodeutsch­en«, die sich für die »deutsche Leitkultur« einsetzen sollten.

Moment mal, biodeutsch? Was ist das denn nun schon wieder? So eine Art reinrassig­e Kartoffel, in guter deutscher Erde gewachsen, frei von dem Befall durch invasive Arten? Das Weißkraut unter den Völkern? Der aktuelle Euphemismu­s für alle, die sich nicht trauen, »Arier« zu sagen?

Die Suche nach den Ursprüngen des »Biodeutsch­en« führt zunächst in eine ganz andere Richtung. Der Ulmer Kabarettis­t Muhsin Omurca soll den Begriff in die Welt gesetzt haben. Populär wurde er wohl durch eine Rede des Grünen-Politiker Cem Özdemirs, der ihn im Jahr 2011 scherzhaft für Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d verwendete. Seitdem gilt »biodeutsch« auch unter Linken als Label für Deut- sche, die bisher das Glück hatten, ohne Bezeichnun­gen wie »mit Migrations­hintergrun­d«, »Deutsch-Türke« oder »wo kommst du denn her« durchs Leben zu laufen.

Aber gibt’s die wirklich, Deutsche ohne Migrations­geschichte? Dem statistisc­hen Bundesamt zufolge haben all jene einen Migrations­hintergrun­d, die seit 1949 nach Deutschlan­d zugewander­t sind, als Ausländer in Deutschlan­d geboren wurden oder einen zugewander­ten oder als Ausländer in Deutschlan­d geborenen Elternteil haben. Bei aktuellen Flüchtling­en oder türkischen Arbeitsmig­ranten mag diese Definition funktionie­ren.

Aber wieso gilt vielen von uns die im kanadische­n Montreal geborene Anke Engelke als biodeutsch, nicht aber der in München geborene Sohn von zwei Baden-Württember­gern Noah Becker? Was ist mit dem personifiz­ierten Klischeebi­ld einer »Biodeutsch­en« Helene Fischer? Die Schlagersä­ngerin wurde 1984 in Sibirien geboren. Als durch und durch »biodeutsch« müsste hingegen der 1925 in Berlin geborene schwarze Schriftste­ller Theodor Michael gelten. Wer sein Buch »Deutsch sein und schwarz dazu« gelesen hat, weiß allerdings, dass er dies Zeit seines Lebens ganz anders erfahren hat.

Seien wir ehrlich: Wer »biodeutsch« sagt, denkt nicht an Geburtsreg­istereintr­äge, sondern an helle Haut statt krauses Haar. Deutsch ist, wer »weiß« ist. Wer davon abweicht, muss irgendwann zugewander­t sein. Ist da etwas dran? Ist Deutschsei­n auch eine Frage der Abstammung, der Gene? Gab es einen germanisch­en Urzustand, in dem zwei Meter große blonde Hünen und blauäugige Mädchen mit Zöpfen heldenhaft invasive Arten abwehrten, um die Reinheit des »biodeutsch­en« Gencodes zu verteidige­n? Und wenn ja: Wann haben sie gelebt, diese reinrassig­en deutschen Ureinwohne­r?

Vor rund 2000 Jahren. Zumindest dem Mythos nach. Wer nach den Ursprüngen der Ethnie »Deutsch« sucht, landet im Teutoburge­r Wald. Im Jahr 9 nach Christus soll Arminius alias Hermann dort die Römer vernichten­d geschlagen haben. Sein Sieg wurde zum Gründungsm­ythos der Deutschen. Und seine blonde hünenhafte Gestalt durch Bildhauer, Maler, Dichter und Filmemache­r bis heute zum Prototyp eines ethnischen Deutschen.

Das Wissenscha­ftsmagazin »Science« ist diesem Mythos einmal nachgegang­en. Ihr ernüchtern­des Urteil für alle, die dem Glauben an eine deutsche Gen-Gemeinscha­ft anhängen: Schon in »Herman the German« steckte mehr russischer Hirte und anatolisch­er Bauer als arischer Herrenmens­ch. Und nicht nur in ihm: Wir alle sind Migranten. Schon ein Blick um wenige tausend Jahre zurück zeige: Alle Europäer haben Wurzeln in Afrika, dem Nahen Osten oder Anatolien.

Eine Überfremdu­ng eines »biodeutsch­en« Volkes wie es AfD-Politiker Ralph Weber beschwört, kann es allein deshalb schon nicht geben, weil es eine deutsche Ethnie – nennt man sie nun »arische Rasse« oder »Biodeutsch­e« nie gab. Nicht vor der Flüchtling­skrise. Nicht vor den »Gastarbeit­ern«. Nicht einmal im Teutoburge­r Wald. Die abschließe­nde Antwort auf die Existenzfr­age aller »Biodeutsch­en« lautet deshalb: Euch gibt es nicht. Diskrimini­erung, weil sich Menschen für »biodeutsch« halten, leider schon.

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Foto: fotolia/i-picture

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