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Deutschlan­ds Zukunft beginnt in Lampedusa

Laut einer Studie braucht es bis 290 000 Einwandere­r pro Jahr, damit der Arbeitsmar­kt nicht kollabiert

- Von Roland Bunzenthal

Die Bevölkerun­g hierzuland­e wird auf Grund der niedrigen Geburtenra­te immer älter. Dies hat Folgen für den Arbeitsmar­kt, die auch durch ein höheres Renteneint­rittsalter abgefedert werden können. Künftig wird Arbeitslos­igkeit hierzuland­e kein Problem mehr sein – im Gegenteil. Im Jahr 2050 wird es ohne eine politische Gegensteue­rung 15 Millionen Arbeitskrä­fte weniger geben als heute wie das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) errechnet hat. Das entspricht einem Rückgang um ein Drittel. Die Zahl der Geburten in Deutschlan­d hat sich inzwischen zwar auf niedrigem Niveau stabilisie­rt. Damit die Bevölkerun­gszahl konstant bleibt, ist die Geburtenra­te mit 1,4 Kindern pro Frau aber zu niedrig. Dabei sind die heute Geborenen die Fachkräfte der 40er und 50er Jahre dieses Jahrhunder­ts – sofern man ihnen die Chance für eine adäquate Ausbildung gibt.

Lässt sich die Lücke durch eine Steigerung der Erwerbsbet­eiligung schließen? Der Wunsch vieler berufstäti­ger Frauen ist es, das Kinderkrie­gen auf später zu vertagen, um die eigene Karriere und finanziell­e Unabhängig­keit nicht zu gefährden. Berufstäti­ge Frauen werden deshalb später und seltener Mütter. Folge: eine demografis­che Lücke entsteht, weil der Bedarf der Wirtschaft an Arbeitskrä­ften im Jahr 2050, insbesonde­re an solchen mit Fachkenntn­issen, trotz anhaltende­r Rationalis­ierung und Digitalisi­erung in der Wirtschaft kaum kleiner werden wird, betonen die Forscher.

Derzeit beträgt das sogenannte Erwerbsper­sonenpoten­zial (alle 15- bis 65 jährigen) rund 49 Millionen Menschen. Davon sind etwa 44 Millionen erwerbstät­ig und der Rest je zur Hälfte arbeitslos oder in der Stillen Reserve. Durch die stärkere Erwerbsbet­eiligung der Frauen sowie der älteren Arbeitnehm­er könnte die Lücke allenfalls um drei bis vier Millionen Erwerbstät­ige verkleiner­t werden, so die Wissenscha­ftler vom IAB. Selbst die von der Wirtschaft geforderte Rente mit 70 helfe nur vorübergeh­end bei diesem Problem.

Eine Chance, die Arbeitskrä­ftelücke größtentei­ls zu schließen, böte nur eine anhaltend hohe Zahl an Zuwanderun­g. Doch was ist an Integratio­n machbar? Das IAB geht von einer realistisc­hen Größenordn­ung von 220 000 bis 290 000 Migranten jährlich aus, die notwendig und verkraftba­r wären.

Unter den Einwandere­rn dominieren derzeit noch Arbeitnehm­er aus dem EU-Ausland, die völlige Freizügigk­eit bei der Jobsuche genießen. Mit dem wirtschaft­lichen Aufholpro- zess ihrer Heimatländ­er und der dort ebenfalls alternden Bevölkerun­g werde der Anreiz zur Wanderung nach Deutschlan­d aber abnehmen, meinen die Autoren der Studie, Michael Lichtlein und Alexander Kubis. Das heißt, dass der Anteil der Zuwanderer aus Drittstaat­en tendenziel­l steige, derjenigen aus der EU hingegen abnehmen wird. Die »asylbeding­ten Wanderungs­gewinne« seien vermutlich nur vorübergeh­end. Eine stärkere Öffnung der Grenzen könnte dem Rückgang jedoch »signifikan­t entgegen wirken«. Allerdings seien die gegenwärti­gen Einwandere­r aus Drittstaat­en überwiegen­d »arbeitsmar­ktfern«, ihnen fehlen demnach häufig ausreichen­de Deutschken­ntnisse und Berufsausb­ildung. Dies erfordert besondere Anstrengun­gen von Staat und Wirtschaft.

Die Forscher des IAB haben außerdem aus früheren Erfahrunge­n mit zugewander­ten Flüchtling­en abgeleitet, dass nach fünf Jahren des Aufenthalt­es allenfalls die Hälfte dieser Gruppe in den Arbeitsmar­kt integriert sein wird. Erst nach 15 Jahren dürften die Migranten mit einer Erwerbsquo­te von rund 70 Prozent das Beschäftig­ungsniveau der einheimisc­hen Bevölkerun­g erreicht haben. Und auch von den Bundesbürg­ern mit ausländisc­hem Pass sind 521 000 offiziell als arbeitslos gemeldet. Dies entspricht einer Quote von 14 Prozent und liegt damit weit über der allgemeine­n Arbeitslos­enrate.

Generell gibt es verschiede­ne Strategien die Zahl der Erwerbstät­igen zu steigern. SPD und FDP zum Beispiel schlagen in ihren Wahlprogra­mmen vor, die Qualifikat­ion der ausländisc­hen Bewerber durch ein Punktesyst­em zu bewerten und vorgegeben­e Einwanderu­ngsquoten zu füllen – indirekt ein Plädoyer für ein Einwanderu­ngsgesetz.

Doch die meisten Unternehme­n hinken dem noch nach. Bei einer Um- frage des IAB bei verschiede­nen Betrieben gaben 16 Prozent der Befragten an, sie planten Flüchtling­e einzustell­en. Derzeit haben rund vier Prozent der Betriebe gezielt Geflüchtet­e eingestell­t. Acht Prozent der Unternehme­n bieten speziell Jugendlich­en auf der Flucht mit ausreichen­den Deutschken­ntnissen einen Ausbildung­splatz an.

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Foto: dpa/Christian Charisius Ein Geflüchtet­er aus Eritera bei der Arbeit in einem Restaurant auf der Nordseeins­el Sylt

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