Militärrebellion überschattet Neustart
In Venezuela tagt die Verfassungsversammlung / Aufstand in Valencia niedergeschlagen
Die Verfassunggebende Versammlung in Venezuela arbeitet seit Freitag auf vollen Touren. Derweil wurde aus Valencia ein gescheiterter Putschversuch in einer Militärbasis gemeldet. Sie ist Venezuelas derzeit mächtigste Frau: die ehemalige Außenministerin Delcy Rodríguez. Sie wurde am Freitag zur Präsidentin der Verfassunggebenden Versammlung (VV) gewählt, die das Land aus der tiefen Krise führen soll. Als erste Handlung wurde Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz entlassen. Die Entscheidung fiel einstimmig. Den Posten des Generalstaatsanwalts übernimmt nun Tarek William Saab, ein Unterstützer der Regierung, der bereits wenige Stunden später vereidigt wurde. Die 545 Mitglieder der Verfassungsversammlung beschlossen außerdem, »bis zu zwei Jahre« zu tagen.
Ortega hatte vor Polizeimaßnahmen gegen sie und ihre Behörde gewarnt. »Ich lehne diese Belagerung ab«, twitterte sie. »Ich klage diese Willkür vor der nationalen und internationalen Gemeinschaft an.« Ortega war 2007 als Generalstaatsanwältin berufen worden, ihre Amtszeit hätte planmäßig 2021 geendet. Sie war eine langjährige Unterstützerin von Maduros Vorgänger Hugo Chávez und stand bis zum Frühjahr dieses Jahres loyal zu Maduro. Erst ihre scharfe Kritik an der zeitweisen Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments durch den Obersten Gerichtshof sorgte für den Bruch. Auf Ortegas Druck hin wurde das Urteil wieder aufgehoben.
Am Sonntag (Ortszeit) wollte die VV eine Wahrheitskommission einsetzen, die unter anderem die Hintergründe der seit April andauernden Proteste aufdecken soll, die über 120 Menschen das Leben gekostet haben.
Aus Protest gegen die Verfassunggebende Versammlung haben die Außenminister von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay alle Rechte Venezuelas in dem Regionalbündnis Gemeinsamer Markt des Südens (Mercosur)
»auf unbestimmte Zeit« suspendiert. Die Entscheidung fiel aufgrund der sogenannten Demokratieklausel – in Venezuela sei ein »Bruch der demokratischen Ordnung« festzustellen, hieß es.
Unterdessen hat es in der Stadt Valencia offensichtlich einen Mi- litäraufstand und Aufrufe zum Putsch gegen den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro gegeben. Unklar ist, wie viele Soldaten an der Rebellion im Komplex Fuerte Paramacay 170 Kilometer westlich von Caracas beteiligt waren. Zuvor hatte eine kleine Gruppe in Militäruniformen ein Video veröffentlicht, in dem sie eine Rebellion im Bundesstaat Carabobo verkündete.
Ein Spitzenpolitiker der Regierungspartei und Mitglied der Verfassungsversammlung, Diosdado Cabello, teilte auf Twitter mit: »Ich unterstütze unsere Streitkräfte gegen diese Attacken von terroristischen Gruppen.« Im Rest des Landes gebe es keine Aufstände. »Absolute Ruhe bei den anderen Militäreinheiten im Land.« Volk und Streitkräfte würden das Vaterland gemeinsam verteidigen. Die Situation soll unter Kontrolle sein. Laut Regierungspartei gab es Festnahmen. mit Agenturen
»Ich klage diese Willkür vor der nationalen und internationalen Gemeinschaft an.« Ex-Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro wird sich bestätigt fühlen. Mit der umstrittenen Wahl der Verfassunggebenden Versammlung (VV) ist seine Regierung innenpolitisch in die Offensive gekommen. Die Opposition ist mit ihrem Vorhaben gescheitert, Wahl und Einberufung der VV zu verhindern – der Zuspruch zu ihrem Protestmarsch am Freitag war überschaubar. Seit dem 4. August tagt die Versammlung, von der sich Maduro einen Ausweg aus der Krise verspricht und sie geht in die Vollen: Einberufung einer Wahrheitskommission und Entlassung von Generalstaatsanwältin Luisa Ortega. Mit deren Entmachtung untergräbt die VV die Gewaltenteilung. Ortega lässt sich schwerlich mehr vorwerfen als Verfassungspatriotismus. Dass auch die Opposition des sogenannten Tisches der Demokratischen Einheit mit ihrem Versuch, einen Parallelstaat aufzubauen, sich nicht um die Verfassung schert, macht die Sache nicht besser.
Das Agieren der VV führt in die Sackgasse. Was Venezuela bräuchte, ist ein wirtschaftlicher Notfallplan, mit dem der Versorgungskrise begegnet wird, und ein Aussetzen des Schuldendienstes (2017 rund 20 Milliarden Dollar), um Mittel für lebensnotwendige Importe freizumachen. Antworten hierauf bleibt die Regierung schuldig, von der rechten Opposition sind sie erst gar nicht zu erwarten. Die Normalbevölkerung zahlt die Zeche.