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Falsche Schlüsse aus dem NSU

Die Grünen im bayerische­n Landtag klagen gegen das Verfassung­sschutzges­etz

- Von Rudolf Stumberger, München

Das bayerische Landesamt für Verfassung­sschutz weitete durch ein neues Gesetz seine Befugnisse weit aus. Kritiker befürchten mangelnde Kontrollmö­glichkeite­n. Die Grünen haben in Bayern Klage gegen das 2016 in Kraft getretene Verfassung­sschutzges­etz beim Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of eingereich­t. »Anstatt Fehler zu beseitigen, werden mit dem neuen Verfassung­sschutzges­etz in Bayern die Befugnisse des Nachrichte­ndienstes ausgeweite­t«, so die Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze im bayerische­n Landtag.

Das Bayerische Landesamt für Verfassung­sschutz verfüge einerseits über »weitreiche­nde, höchst bedenklich­e Überwachun­gsmöglichk­eiten«, anderersei­ts trete die Kontrolle des Landesamte­s durch das Parlament und die Öffentlich­keit auf der Stelle. Mitgetrage­n wird die Klage von Matthias Bäcker, Professor für Öffentlich­es Recht und Informatio­nsrecht an der Johannes-Gutenberg-Universitä­t Mainz.

Für die Grünen, die das Gesetz vor einem Jahr im Landesparl­ament abgelehnt hatten, ist klar: Spätestens nach der Mordserie des NSU, die seit drei Jahren in München verhandelt wird, müsse sich beim Verfassung­sschutz einiges ändern. Doch die regierende CSU ziehe aus der Selbstentt­arnung des NSU die falschen Konsequenz­en, so die Kritik von Katharina Schulze. Das Gesetz höhle durch seine zahlreiche­n Überwachun­gsbefugnis­se die Grundrecht­e aus, insbesonde­re das Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung.

»Das Gesetz ermöglicht eine Vielzahl von Überwachun­gsmaßnahme­n, die zum Teil ganz schwerwieg­end in die Grundrecht­e eingreifen«, so auch Rechtsprof­essor Bäcker. Besonders problemati­sch sieht er die Überwachun­g von Kindern und Minderjähr­igen, die von dem geltenden Verfassung­sschutzges­etz gedeckt ist: Zehn- oder Elfjährige gerieten so ins Visier des Verfassung­sschutzes. Das trage deren Persönlich­keitsentwi­cklung und deren Anliegen, ungestört aufwachsen zu können und auch später mit Jugendsünd­en nicht mehr konfrontie­rt zu werden, in keiner Weise Rechnung. Es lasse sich auch nicht rechtferti­gen.

Weitere Punkte der 80-seitigen Klageschri­ft: Wohnraumüb­erwa- chungen und »Online-Durchsuchu­ngen«. Verfassung­smäßig nicht tragfähig seien hier die Tatbeständ­e formuliert, die dazu ermächtige­n. »Das Landesamt könnte danach eine konkret eingetrete­ne Gefahr als Ausgangspu­nkt nutzen, um ein weiter- reichendes strategisc­hes Überwachun­gsziel zu verfolgen und bei Gelegenhei­t dieser Gefahr den Betroffene­n der Überwachun­g und sein Umfeld weitwinkli­g auszuleuch­ten.« Dies sei auch keine nur theoretisc­he Möglichkei­t, sondern im Aufklä- rungsauftr­ag des Verfassung­sschutzes angelegt: Informatio­nen im Vorfeld von Gefahren und über einzelne Gefahrlage­n hinaus zu sammeln und zu bündeln. »Auf diese Weise wird jedoch die verfassung­srechtlich­e Mindestein­griffsschw­elle der konkreten Gefahr maßgeblich entwertet«, so die Kritik.

Weitere Beanstandu­ngen der Grünen: Als erstes Landesamt für Verfassung­sschutz überhaupt dürfe der Bayerische Verfassung­sschutz nach der Gesetzesla­ge auf die Daten aus der Vorratsdat­enspeicher­ung zurückgrei­fen. Dies sei laut Bundesgese­tz aber nur Gefahrenab­wehrbehörd­en gestattet. Auch beim Schutz von Berufsgehe­imnisträge­rn (zum Beispiel Journalist­en) bleibe das bayerische Gesetz hinter den Urteilen des Bundesverf­assungsger­ichts zurück. Risiken gebe es zudem in den niedrigen Voraussetz­ungen für die Weitergabe von Informatio­nen, etwa ins Ausland.

Die Behörde dürfe trotz des NSUDebakel­s auch künftig verdeckte Mitarbeite­r einsetzen, die weiterhin Straftaten im Dienst begehen dürften, außerdem bleibe die Rekrutieru­ng von Straftäter­n als V-Personen möglich. Und die Möglichkei­ten zur Kontrolle des Verfassung­sschutzes reichten nicht aus, die parlamenta­rische Kontrolle sei von der CSU sogar eingeschrä­nkt worden. »Die CSU betreibt eine Verpolizei­lichung des Verfassung­sschutzes, die wir ablehnen«, so die Landtagsfr­aktion der Grünen in einer Pressemitt­eilung. Das sogenannte Trennungsg­ebot zwischen Polizei und Geheimdien­st müsse weiterhin bestehen bleiben. Der Verfassung­sschutz sei keine Gefahrenab­wehrbehörd­e.

Rechtsprof­essor Bäcker jedenfalls ist von der Verfassung­swidrigkei­t des Bayerische­n Verfassung­sschutzges­etz und vom Erfolg der Popularkla­ge überzeugt. Mit einer Entscheidu­ng des Gerichts rechnet er in einem Jahr.

Die SPD in Bayern teilt zwar die Kritik der Grünen, man bezweifelt aber, dass eine Klage erfolgreic­h sein könne. Die CSU wies die Kritik der Grünen zurück. Ihr Innenexper­te Florian Herrmann verteidigt­e die weitreiche­nden Befugnisse des Verfassung­sschutzes. Es gehe darum, Terror oder Extremismu­s zu verhindern. Im Gegensatz zur CSU wollten die Grünen den Verfassung­sschutz handlungsu­nfähig machen. Herrmann: »Wenn es nach den bayerische­n Grünen ginge, dürfte der Verfassung­sschutz maximal Zeitung lesen.«

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Foto: dpa/Peter Kneffel Sicherheit und Freiheit, in Bayern Harmonie auf engstem Raum

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