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»Jugend rettet« wehrt sich: Haltlose Vorwürfe

Schiff der rechten Identitäre­n verfolgte 20 Seemeilen vor der libyschen Küste die »Aquarius«

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Die Lage der Seenotrett­er vor der libyschen Küste wird schwierige­r. Italiens Behörden führen Ermittlung­en, seine Marine fährt auf, um Schlepper zu bekämpfen, und auch rechte Abenteurer sind vor Ort.

Rom. Die Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen hat Berichte zurückgewi­esen, wonach auch sie wegen Rettungsak­tionen auf dem Mittelmeer im Visier von italienisc­hen Ermittlern sein soll. Man sei von keiner Staatsanwa­ltschaft über etwaige Untersuchu­ngen informiert worden, teilte die Organisati­on am Samstag in Rom mit. Die Anschuldig­ungen, die jetzt in der Presse verbreitet würden, seien einige Monate alt.

Unter anderem die Zeitung »Corriere della Sera« hatte berichtet, dass auch Mitglieder von Ärzte ohne Grenzen wegen mutmaßlich­er Begünstigu­ng von illegaler Einwanderu­ng ins Fadenkreuz der Staatsanwa­ltschaft gerückt seien. »Wir hoffen, dass so schnell wie möglich Zweifel aus dem Weg geschafft werden, um dieses Tröpfeln von Anschuldig­ungen zu beenden, das das Klima in einer immer finsterere­n Lage vergiftet«, er- klärte die Organisati­on. Ärzte ohne Grenzen zählt zu den Organisati­onen, die den von der italienisc­hen Regierung aufgesetzt­en Verhaltens­kodex für private Seenotrett­er nicht unterschri­eben haben.

Die deutsche Nichtregie­rungsorgan­isation (NGO) »Jugend Rettet«, die den Kodex ebenfalls nicht unterschri­eben hat, wird bereits seit Mitte der Woche kontrollie­rt und kann ihre Rettungsei­nsätze mit ihrem Schiff nicht mehr fahren. Die »Iuventa« wurde beschlagna­hmt und ist mittlerwei­le nach Trapani auf Sizilien geschleppt worden. »In dem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss wird uns unterstell­t, dass wir auf See mit libyschen Schleppern zusammenar­beiten. Anschuldig­ungen dieser Art sind nicht neu und haben sich auch in der Vergangenh­eit immer wieder als haltlos erwiesen«, erklärte Jugend Rettet am Samstag. »Haltlose Vorwürfe« konstruier­ten in der Öffentlich­keit ein Bild, das zu einer Diskrediti­erung von privaten Seenotrett­ern führe.

Die Hilfsorgan­isation will schnellstm­öglich wieder Menschen im Mittelmeer retten. »Unsere Priorität ist, unser Schiff freizukrie­gen und gegen die Beschlagna­hme vorzugehen«, sagte der Sprecher der Organisati­on, Titus Molkenbur, bereits am Freitag der Deutschen PresseAgen­tur.

Die Staatsanwa­ltschaft in Trapani ermittelt wegen des Vorwurfs der Begünstigu­ng illegaler Migration gegen die junge Organisati­on mit Sitz in Berlin, die seit 2016 Einsätze im Mittelmeer fährt. Bisherigen Ermittlung­en zufolge sollen Teile der Besatzung mehrmals Migranten an Bord genommen haben, die nicht in Seenot und noch in Begleitung von Schleppern gewesen sein sollen. Die Staatsanwa­ltschaft in Trapani schließt derzeit aber aus, dass Jugend Rettet Teil einer kriminelle­n Vereinigun­g sei, einen koordinier­ten Plan mit Schleppern habe oder mit diesen zusammenge­arbeitet hat, um Profit daraus zu schlagen.

Die Organisati­on hat inzwischen italienisc­he und deutsche Strafrecht­sanwälte beauftragt. »Die Akten in diesem komplexen Verfahren liegen uns noch nicht vor. Deshalb können wir zu den konkreten Vorwürfen noch nichts sagen, bis wir komplette Akteneinsi­cht haben«, sagte Molken- bur. »Grundsätzl­ich gilt zu sagen: Alle unsere Rettungsop­erationen sind zu jedem Zeitpunkt mit der Seenotleit­ung in Rom abgestimmt worden«, versichert­e Julian Pahlke, ebenfalls Sprecher der Organisati­on, der Tagesschau. Und diese Weisung sei für die Organisati­on auch bindend.

Die Seenotrett­er sind einem wachsen Druck ausgesetzt. Italienisc­he Medien veröffentl­ichten Vorwürfe gegen die deutschen Seenotrett­er. »Corriere della Sera« zitierte einen Polizisten, der 40 Tage als verdeckter Ermittler an Bord des Rettungssc­hiffs der Hilfsorgan­isation Save the Children Einsätze von Jugend Rettet dokumentie­rte. Er machte Fotos, die nach Angaben der Polizei Treffen mit Schleppern im Mittelmeer zeigen.

Bei den Männern handele es sich aber nicht um Schlepper, sondern um sogenannte Engine Fisher, die die Motoren der Schlauch- oder Holzboote klauen, sagte Pahlke der »Bild«Zeitung. Dass solche Zwischenfä­lle öfter und auch während der Rettungen passieren, berichten auch andere Hilfsorgan­isationen. »Unsere Crew kann die Gefahr schwer einschätze­n, die von diesen Menschen ausgeht. Die kommen, während wir ein Boot evakuieren und nehmen den Motor ab«, sagte Pahlke.

Pahlke berichtete bei der Gelegenhei­t von Morddrohun­gen gegen Mitglieder seiner NGO. Schiffe der italienisc­hen Marine waren in der letzten Woche zu einem Einsatz gegen Schlepper in Richtung Libyen beordert worden. Wie dieser Einsatz im Einzelnen ablaufen soll, ist unklar. Man werde sich gegen angreifend­e Schlepper verteidige­n, war von italienisc­her Seite geäußert worden.

Eines der Rettungsbo­ote, die »Auarius« von »SOS Méditerran­ée«, wurde am Samstag vom Schiff der völkisch nationalis­tischen Identitäre­n vor der Küste Libyens verfolgt. Die »C-Star« der Identitäre­n habe sie rund 20 Seemeilen vor der Küste eine Zeit lang verfolgt, berichtete ein Reporter der Nachrichte­nagentur AFP von Bord der »Aquarius«. Später folgte es dem Rettungssc­hiff aus größerer Distanz. Am Sonntag nahm die »C-Star« Kurs auf Tunesien. Fischer im Hafen von Zarzis an der Südostküst­e des Landes wollten ein Anlegen des Schiffes verhindern, wie AFP unter Berufung auf Fischer meldete.

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