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Netanjahu in Nöten

Israels Ministerpr­äsident reagiert auf juristisch­e Bedrängnis mit einem Sprung nach rechts

- Von Oliver Eberhardt

Die Korruption­svorwürfe gegen Israels Regierungs­chef erhärten sich; eine Anklage wird immer wahrschein­licher. Doch Netanjahu gibt sich gelassen und legte den Grundstein für eine neue Siedlung. Die Ermittlung­en gegen Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu laufen noch. »Doch der Premier hat bereits damit begonnen, sein Plädoyer vor dem Gericht der öffentlich­en Meinung zu sprechen«, fasste ein Kommentato­r des israelisch­en Militärrun­dfunks Galei Zahal zusammen: In Beitar Illit, einer südwestlic­h von Jerusalem gelegenen Siedlung legte er am Donnerstag den Grundstein für ein komplett neues Stadtviert­el mit 1100 Wohnungen; auch eine neue Straße, die die Fahrtzeit nach Jerusalem verkürzt, soll gebaut werden.

Ursprüngli­ch hatte der erste Spatenstic­h ohne die Anwesenhei­t des Regierungs­chefs stattfinde­n sollen. Denn bislang war es Praxis, dass Netanjahu zwar Baumaßnahm­en in Siedlungen freien Lauf ließ, sich aber selbst öffentlich so weit davon fernhielt, dass ihm weder die internatio­nale Gemeinscha­ft noch potenziell­e Koalitions­partner aus der Linken oder dem Zentrum oder die dem Siedlungsb­au kritischer gegenüber stehenden Teile der eigenen Partei vorwerfen konnten, er habe sich endgültig dem Siedlerlag­er angeschlos­sen, von der Zweistaate­nlösung verabschie­det.

Doch in der vergangene­n Woche ist in der Ära Netanjahu eine neue Zeitrechnu­ng angebroche­n. Seit Monaten schon wird gegen »Bibi«, wie ihn seine Anhänger nennen, ermittelt. Die Liste der Vorwürfe ist lang, sie reicht von Geschenken US-amerikanis­cher Milliardär­e an ihn und seine Familie bis hin zu einem Gespräch mit Amnon Moses, Verleger der Zeitung »Jedioth Ahronoth«, in dem Netanjahu angeboten haben soll, der millionenf­ach verteilten Gratiszeit­ung »Jisrael HaJom« Restriktio­nen aufzuerleg­en, wenn »Jedioth Ahronoth« sich zu einer für Netanjahu freundlich­eren Berichters­tattung bereit erklären sollte.

In der vergangene­n Woche wurde nun bekannt, dass Ari Harow, Ex-Bürochef Netanjahus, einen Deal mit der Staatsanwa­ltschaft geschlosse­n hat: Um dem Gefängnis zu entgehen, sagte Harow gegen Netanjahu aus; unmittelba­r danach ließen die Ermittler eine gerichtlic­he Nachrichte­nsperre verhängen – und teilten auf diese Weise der Öffentlich­keit mit, dass die Vorwürfe gravierend sind und eine Anklage wohl bevor steht.

Zwar gibt sich Netanjahu nach außen hin gelassen, und folgt ganz dem Beispiel Donald Trumps. Eine »linke Verschwöru­ng« sei das, es würden bewusst »falsche Nachrichte­n« verbreitet, sagte er mehrmals, während sich unter den Abgeordnet­en seines Likuds gerade einmal zwei dazu be- Benjamin Netanjahu, Premier reit fanden, diese Ansagen öffentlich zu wiederhole­n. Mindestens zehn andere Likudnikim indes erklärten, sie würden das derzeit nicht so sagen. Mehrere erinnerten auch daran, dass die Führungen von Polizei und Staatsanwa­ltschaft, die nun die Ermittlung­en mit erhebliche­m Personalau­fwand vorantreib­en, von Netanjahu ernannt wurden.

Mit seinem Auftritt in Beitar Illit, einer Siedlung mit 46 000 Einwohnern, die überwiegen­d ultra-orthodox sind, ist Netanjahu nun rechts abgebogen, hat direkt vor der Tür von Siedlerbew­egung und religiösen Parteien angehalten. »Keine Regierung hat jemals mehr für die Besiedlung des Landes Israel getan«, sagte Netanjahu, und wählte dabei Begriffe mit starker nationalis­tischer und religiöser Konnotatio­n. Denn Netanjahu will auch im Falle einer Anklage nicht zurücktret­en und damit eine goldene Regel der israelisch­en Politik brechen. Ein Gericht werde wohl keinen amtierende­n Regierungs­chef verurteile­n, heißt es aus Netanjahus Umfeld, man strebe eine Vereinbaru­ng mit der Staatsanwa­ltschaft an, die eine Geldstrafe beinhaltet und es Netanjahu erlauben würde, im Amt zu bleiben. Dass der Regierungs­chef nun den Schultersc­hluss mit den rechten Koalitions­partnern sucht, sich als alternativ­los für das Siedlungsp­rojekt darstellt, soll zudem verhindern, dass ihn die eigenen Partner zu Fall bringen, indem sie das Bündnis verlassen und Neuwahlen forcieren. Der Likud selbst hat nur 23, 4 Prozent der Wählerstim­men und 30 von 120 Parlaments­sitzen.

»Keine Regierung hat jemals mehr für die Besiedlung des Landes Israel getan.«

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Foto: dpa/Gali Tibbon Das sei ferne von mir, dass ich euch recht gebe; bis ich sterbe, will ich von meiner Unschuld nicht lassen. (Hiob 27,5)

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