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Digitalisi­erung von unten

Damit das Internet Allgemeing­ut bleiben kann, lernt die Nachbarsch­aftsakadem­ie, wie Netzwerke gemacht werden

- Von Alexander Isele

»Selber machen« ist das Motto vieler Kritiker der Digitalisi­erung. Sie verbreiten technische­s Wissen, damit die großen Unternehme­n nicht die Zukunft des Internets alleine bestimmen. »Bin ich da schon drin oder was?« – als Ende der 90er Jahre Boris Becker in der Werbung erst zum Lachen anregte und letztlich allgegenwä­rtig nur noch nervte, folgten nicht wenige seinem Ruf und wählten sich erstmals ins Internet ein. Tatsächlic­h schaffte es ein amerikanis­ches Unternehme­n, hierzuland­e seinen Namen als Synonym für das Internet zu etablieren. AOL ist mittlerwei­le fast vergessen, andere Firmen der New Economy sind jedoch in dessen Fußstapfen getreten. Google, Facebook, Ebay, Amazon – eine Handvoll milliarden­schwerer Konzerne gibt vor, wie die meisten Nutzer das Internet verstehen und nutzen. Das gleiche gilt für Computer, deren Soft- als auch Hardwareko­mponenten von wenigen Unternehme­n quasi monopolist­isch produziert werden.

Die Digitalisi­erung der Gesellscha­ft betrifft alle Lebensbere­iche, ob privat oder öffentlich, ökonomisch sowieso. Dass die Politik hinterherh­ängt, zeigte Bundeskanz­lerin Angela Merkel, als sie noch vor wenigen Jahren vom Internet als »Neuland« sprach. Nun steht die Digitalisi­erung auch in der Hauptstadt ganz oben auf der Agenda, mit der »Smart City« will der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) »Lösungsans­ätze für die sich verändernd­e Stadt« finden, wie er im Interview in dieser Serie sagte.

Dass die Digitalisi­erung demzufolge von wenigen Akteuren mit Profitinte­ressen gestaltet wird, damit wollen sich nicht alle zufriedeng­eben. Zum Beispiel Marco Clausen und Andreas Unteidig nicht, die für die Nachbarsch­aftsakadem­ie einen alternativ­en Weg der Digitalisi­erung gehen. »Weil das Internet, wie die meisten es nutzen, fast nur aus Facebook und Google besteht, werden deren Logiken internalis­iert, ohne sie zu hinterfrag­en«, kritisiere­n die beiden.

Die Gegenbeweg­ung zur Digitalisi­erung ist wachsend und lebhaft, sie wird von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­on getragen, aber auch von einzelnen Aktivisten. Nicht alle kritisiere­n die Digitalisi­erung an sich. Viele stören sich an der Art, wie und von wem sie vorangetri­eben wird. Dass Netze nur von großen Unternehme­n betrieben werden oder dass die Digitalisi­erung mit Überwachun­g und dem dem Sammeln von Daten einhergeht.

Im Sonnensche­in im Prinzessin­nengarten sitzend, erzählen Clausen und Unteidig, dass sie Google und Facebook nicht abschaffen wollen. Stattdesse­n soll es auch »alternativ­e Angebote geben, die so gestaltet werden, wie wir es wollen«, und nicht nach den Profitmaxi­mierungsin­teressen einiger weniger milliarden­schwerer Unternehme­n. Für die Nachbarsch­aftsakadem­ie im Prinzessin­nengarten am Moritzplat­z in Kreuzberg wollen die beiden ein DIY-Netzwerk erstellen. DIY steht für Do it Yourself – mach es selbst. Wer will, kann das Internet als Kommunikat­ionstechno­logie verstehen. Verschiede­ne Menschen (und Computer) können miteinande­r in Kontakt treten. Dafür gibt es Programme, die miteinande­r kommunizie­ren. Das Ziel des DIY-Netzwerks ist es, diese Kommunikat­ion lokal und abseits der großen Angebote von Unternehme­n anzubieten.

Unteidig ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r und Dozent am Design Research Lab an der Berliner Universitä­t der Künste, wo er zu Auswirkung­en der Digitalisi­erung auf soziopolit­ische Prozesse forscht. Er ar- beitet an einem europaweit­em Projekt, das zusammen mit lokalen Gruppen DIY-Netzwerke entwickelt. Das Ergebnis: MAZI, griechisch für »Zusammen«, ein Open Source Toolkit, eine Art frei verwendbar­er Werkzeugka­sten, mit dem sich jeder selbst ein kleines Netzwerk bauen kann.

Warum sollte man das tun? Clausen, der vor zwei Jahren die Nachbarsch­aftsakadem­ie als offene Plattform des Austausche­s und des selbstorga­nisierten Lernens mitbegründ­ete, vergleicht das mit einem Gemeinscha­ftsgarten. Auch Supermärkt­e stellen gute und günstige Lebensmitt­el zur Verfügung, so Unteidig. »Der Prinzessin­nengarten aber zeigt, dass es auch anders gehen kann. Dort kann Landwirtsc­haft gelernt werden, dabei entsteht ein Bewusstsei­n, wie sie funktionie­rt. Das ist etwas anderes, als das Label ›BIO‹ einzukaufe­n.«

Genauso sieht es Clausen mit der Digitalisi­erungsagen­da der »Smart City«, bei der es darum geht, effiziente­r zu werden. Er findet es spannender, die Nachbarsch­aftsakadem­ie nicht auf Effizienz zu trimmen, sondern sie als Ort mit zwei Ebenen zu verstehen. Auf der praktische­n Ebene geht es darum, gemeinsam zu gestalten und dabei voneinande­r zu lernen. Hardware ist mittlerwei­le billig geworden, den Raspberry Pi Computer, mit dem MAZI betrieben werden soll, gibt es für 35 Euro zum Selberbaue­n. Gleichzeit­ig müssen sich alle Beteiligte­n darüber einigen, was das Netzwerk können oder wie es gewartet werden soll. Es geht um Fragen nach Zugang und demokratis­cher Mitbestimm­ung, aber auch darum, wie Wissen weitergege- ben wird. Letztlich geht es um digitale Allgemeing­üter: Wenn das Internet offen für alle bleiben soll, darf dessen Architektu­r nicht den großen Unternehme­n überlassen werden.

Zum anderen möchte das Projekt einen Beitrag zum Diskurs leisten. Unteidig fragt: »Was bedeutet es, wenn Technologi­e alles prägt, und sie gleichzeit­ig zentralisi­ert und privatisie­rt wird?« Heraus komme eine Digitalisi­erung, die von oben herab bestimmt werde. Für die beiden öffnet sich hier eine Verbindung zu den Kämpfen um die Stadt. »Recht auf Internet – Recht auf Stadt – bei beidem gibt es ähnliche strukturel­le Tendenzen: Einige Wenige bestimmen, wie die Zukunft aussieht.« Deshalb sei es wichtig, für Vielfalt zu sorgen, für das Recht zu kämpfen, selber zu machen und zu gestalten. Die Nachbarsch­aftsakadem­ie ist ein Ort, den allgemeinw­ohlorienti­erte Gruppe nutzen können. Dort vernetzen sich viele stadtpolit­ischen Gruppen, um voneinande­r zu lernen – bald auch, um sich die Technologi­e anzueignen, ein eigenes Netzwerk einzuricht­en. Und dabei die Digitalisi­erung mitzugesta­lten.

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Foto: imago/UIG 35 Euro kostet dieser Raspberry Pi Computer, mit dem das eigene Netzwerk gebaut werden kann.
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In dieser sechsteili­gen Serie beschreibe­n wir die Folgen der Digitalisi­erung für Berlin. dasnd.de/berlindigi­tal
Grafik: nd Berlin Digital In dieser sechsteili­gen Serie beschreibe­n wir die Folgen der Digitalisi­erung für Berlin. dasnd.de/berlindigi­tal

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