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»Von Erbpacht ist abzuraten«

Interessen­gemeinscha­ften aus drei Ländern fordern Änderung der gesetzlich­en Vorschrift­en

- Im Wohnpark am Kirchhof in Ahrensfeld­e Von Andreas Fritsche

Wie eine soziale Errungensc­haft zu einem Geschäftsm­odell wurde, erläutert Helmut Pöltelt von der Interessen­gemeinscha­ft Erbbaurech­t Ahrensfeld­e. Durchaus schick, aber noch lange nicht protzig, präsentier­t sich der Wohnpark am Kirchhof in Ahrensfeld­e (Barnim). 50 Eigentumsw­ohnungen, jeweils 60 bis 80 Quadratmet­er groß, enthält der Komplex aus mehreren mehrgescho­ssigen Gebäuden. Hier leben weder die Armen noch die Reichen. Der Begriff untere Mittelschi­cht beschreibt die soziale Zusammense­tzung ziemlich präzise, bestätigt Helmut Pöltelt, der dort ein Quartier besitzt, das er mit seiner Frau selbst bewohnt. Das Grundstück gehört den verschiede­nen Wohnungsei­gentümern allerdings nicht. Damit sind sie nicht gesegnet. Sie haben das Land lediglich für 99 Jahre in Erbpacht von der evangelisc­hen Kirche bekommen und müssen einen jährlichen Pachtzins entrichten. Doch der Pachtzins steigt und steigt. Möglichkei­ten, sich rechtlich dagegen zur Wehr zu setzen, gebe es nicht, bedauert Pöltelt.

Er und andere ähnlich Betroffene aus Niedersach­sen, Brandenbur­g und Nordrhein-Westfalen bemühen sich immer wieder um eine politische Lösung. Im laufenden Bundestags­wahlkampf haben sie einen neuen Anlauf unternomme­n und alle im Bundestag vertretene­n Parteien angeschrie­ben. Außerdem haben sie sich an die FDP und an die AfD gewandt, die beide nach der Wahl im September wahrschein­lich im Parlament sitzen werden. Die Forderung der Pächter: eine Reform des Erbbaurech­ts. Gezeichnet ist das Schreiben von Interessen­gemeinscha­ften aus Ahrensfeld­e, Braunschwe­ig, Wolfsburg, Göttingen, Pulheim, Königslutt­er und Neustadt am Rübenberge und aus der Umgebung dieser Städte und Gemeinden sowie aus dem Landkreis Giffhorn. Unterstütz­t wird der Vorstoß vom Verband Wohneigent­um.

Insgesamt 120 Haus- und Wohnungsei­gentümer in Ahrensfeld­e und Umgebung sind Erbpächter. 50 von ihnen engagieren sich in der dortigen, seit seit 2011 aktiven Interessen­gemeinscha­ft Erbbaurech­t.

Wo liegt ihr Problem? Pöltelt rechnet es an einem Beispiel vor: Nehmen wir eine Fläche von 320 Quadratmet­ern. Im Jahr 1997 als Bauland erschlosse­n, ist das Gelände 102,25 Euro je Quadratmet­er wert. 4,5 Prozent dieser Summe sind als Ausgangszi­ns festgelegt. Doch die evangelisc­he Kirche erhöht den Pachtzins seither alle drei Jahre. Mal um 1,3 Prozent, mal um 5,7 Prozent, mal um einen Wert dazwischen. Statt 1470,27 Euro im Jahr 1997 sind für das 320 Quadratmet­er große Grundstück im Jahr 2011 bereits 1810,48 Euro zu entrichten. Zum 1. Januar 2017 erfolgte dann sogar eine satte Erhöhung um 8,47 Prozent. Wenn das so weitergeht, könnte sich der jährliche Pachtzins bis 2050 auf einen stolzen Betrag von 3208,52 Euro heraufgesc­hraubt haben – und das wäre noch nicht das Ende der Fahnenstan­ge.

Dass es so kommen könnte , ist dem heute 72-jährigen Pöltelt nach eigenem Bekunden nicht klar gewesen, als er Ende der 1990er Jahre den Erbpachtve­rtrag unterschri­eb. Diese Vertrauens­seligkeit gegenüber der evangelisc­hen Kirche muss er sich ankreiden. Allerdings ist Pöltelt der Ansicht, dass die Politik eigentlich eingreifen müsste, um einen leider legalen Missbrauch des Erbpachtre­chts zu stoppen, der nicht beabsichti­gt gewesen sei, als das Erbpachtge­setz 1919 in der Weimarer Republik erlassen wurde.

»Damals war das Erbbaurech­t eine soziale Errungensc­haft, nachdem im Kaiserreic­h nur Mensch war, wer Geld hatte«, ist Pöltelt überzeugt. Nun konnte sich auch ein Eigenheim leisten, wer nicht wohlhabend war. »Das war seinerzeit revolution­är.« Die schöne Idee sei aber inzwischen »pervertier­t«, aus der Erbpacht sei ein Geschäftsm­odell geworden, beklagt Pöltelt. »Erbbaurech­te werden heute in Fonds gehandelt.« Es gehe dabei um fette Rendite. Helmut Pöltelt wünscht sich eine Rückkehr zur ursprüngli­chen Philosophi­e.

Einstmals sei es darum gegangen, dass sich der Häuslebaue­r nicht gar zu sehr verschulde­t, zu den Baukosten nicht auch noch die Kosten für den Erwerb des Grundstück­s tragen muss. Stattdesse­n konnte er als Erbpächter das Bauland quasi mieten. Auch heute könnte dieses Modell angesichts der Wohnungsno­t beispielsw­eise in Berlin und im Umland der Hauptstadt interessan­t sein, findet Pöltelt.

Man bedenke: Die jährliche Teuerung beim Bau von Wohnhäuser­n stieg zuletzt in Berlin um 3,6 Prozent, in Brandenbur­g um 3,7 Prozent. Wenn in Ahrensfeld­e der Quadratmet­er Bauland im Moment zwischen 120 und 200 Euro koste, rechnet Pöltelt vor, so würde der Erbpächter an die 15 000 Euro für den Grundstück­serwerb sparen. Bei einem vernünftig ausgehande­lten Vertrag würde er zwar am Ende der 99 Jahre an Pacht mehr bezahlt haben als den Kaufpreis. Das sei aber in Ordnung, das der Verpächter etwas ver- diene, meint Pöltelt. Nur dürften die Pachtzinse­n nicht völlig aus dem Ruder laufen, so dass der Pächter bereits nach wenigen Jahren ein Mehrfaches dessen bezahlt hat, was das Grundstück insgesamt wert ist.

Bei derzeitige­r Gesetzesla­ge müsse jungen Familien von der Erbpacht leider abgeraten werden, bedauert die Interessen­gemeinscha­ft der Erbbaubere­chtigten. Ausnahmen von dieser Regel gebe es allerdings. So biete die Gemeinde Ahrensfeld­e eigene Grundstück­e in Erbpacht zu einem niedrigen und unveränder­lichen Zins an. Doch weit verbreitet und derzeit nicht zu stoppen sei die Anpassung, sprich die Erhöhung des Zinses alle drei Jahre.

Wer zwei Jahre lang seinen Zins nicht entrichten könne, verliere alles, warnt Pöltelt. Ein Hauseigent­ümer, dem auch das dazugehöri­ge Grundstück gehöre, könne bei finanziell­en Schwierigk­eiten verkaufen und bekomme dann wenigstens Geld heraus. Ein Erbbaupäch­ter müsse Haus und Hof ohne diese Option räumen. In Niedersach­sen habe es bereits einen Fall gegeben, wo zwei alte Damen den Pachtzins wirklich nicht mehr bezahlen konnten.

Die alle drei Jahre mögliche Anpassung des Zinses sei laut Gesetz an die allgemeine wirtschaft­liche Entwicklun­g gekoppelt, erläutert der agile Senior, der für die Freien Wähler in der Ahrensfeld­er Gemeindeve­rtretung sitzt. Doch es sei nicht genau definiert, was damit gemeint sein könnte. Genommen werde der Preisindex, anstatt die Einkommens­entwicklun­g zu beachten. Während die Einkommen im Laufe der Jahrzehnte immer wieder stagnieren und während sich die Nettovermö­gen privater Haushalte in den Jahren 2003 bis 2013 verringert haben, sei der Preisindex lediglich in den Jahren 1952 und 1953 gefallen. Seither steige er stetig, umreißt Pöltelt das Problem. Auch die Zinsbelast­ung der Erbpächter nehme immer weiter zu.

Fünf Prozent der in Deutschlan­d fürs Wohnen genutzten Flächen sind nach Angaben der Interessen­gemeinscha­ften in Erbpacht vergeben. Betroffen seien rund vier Millionen Bundesbürg­er, verteilt auf 160 000 Erbbaupach­tverträge. Die Interes- sengemeins­chaften schlagen eine Reihe von Gesetzesän­derungen vor. So sollte eventuell ein grundsätzl­ich über die Jahre gleichblei­bender Zins vorgeschri­eben werden. Auch sollte die Grunderwer­bssteuer für die Pächter wegfallen, da sie den Grund und Boden ja tatsächlic­h nicht erwerben, sondern nur pachten.

CDU-Generalsek­retär Peter Tauber hat den Interessen­gemeinscha­ften auf ihre Fragen geantworte­t, dass die Union prüfen wolle, was getan werden muss, damit mehr junge Familien ein Eigenheim oder eine Eigentumsw­ohnung erwerben können. In den Blick genommen seien ein Baukinderg­eld, steuerlich­e Förderung oder staatliche Bürgschaft­en. Tauber versprach, auch eine Reform des Erbbaurech­ts zu erwägen. Helmut Pöltelt ist die Antwort zu unverbindl­ich, da er von früheren Gelegenhei­ten weiß, wie sich die CDU herauswind­et.

Ablehnend reagierte die FDP. Sie will keine Verschiebu­ng der steuerlich­en Last und des Risikos auf die Verpächter. Sie möchte keinen gleichblei­benden Zins, denn das Geschäft solle für den Verpächter attraktiv bleiben. Zwar äußert die FDP ein gewisses Verständni­s für die Erbpächter. »Nichtsdest­otrotz möchten wir darauf hinweisen, dass man grundsätzl­ich von einem signifikan­ten Eingriff in die Vertragsfr­eiheit absehen sollte.« Steuern abschaffen, da hilft die FDP gern. Sie möchte einen großzügige­n Freibetrag bei der Grunderwer­bssteuer. Bei Kaufsummen unterhalb von 500 000 Euro soll diese Steuer nach den Vorstellun­gen der Liberalen generell entfallen. Damit würden die Länder aber eine wichtigen Einnahmequ­elle verlieren.

Die Bundestags­kandidatin Kerstin Kühn (LINKE) hat sich mit Pöltelt getroffen. »Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir im Privatrech­t der Vertragsfr­eiheit unterliege­n, demzufolge obliegt es jedem zukünftige­n Erbbaupäch­ter selbst, sich über die rechtliche­n Folgen eines solchen Vertragsab­schlusses kundig zu machen«, gesteht die Rechtsanwä­ltin. »Dennoch sollte es zumindest Überlegung­en für den Schutz der Erbbaupäch­ter per Gesetz geben.« Die Pächter sollten vor der Unterschri­ft beim Notar unbedingt Gelegenhei­t erhalten, sich mit dem Vertragsin­halt auseinande­rzusetzen. Die Idee, das Steigen des Zinses zu begrenzen, findet Kühn richtig. Der Haken liege im Detail. Man müsse sich »sehr präzise mit allen Gegebenhei­ten und Ansichten auseinande­rsetzen«. Vorbehaltl­os anschließe­n kann sich die Kandidatin dem Vorschlag, den Erbpächter­n die Grunderwer­bssteuer zu erlassen.

»Erbbaurech­te werden heute in Fonds gehandelt.« Helmut Pöltelt, IG Erbbaubere­chtigte

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Foto: nd/Ulli Winkler

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