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Ein Ikarus für besondere Touren

Sächsische­r Unternehme­r restaurier­te legendären Bus

- Von Harald Lachmann, Leipzig

Ein Déjà-vu-Erlebnis hat neuerdings mancher im Leipziger Umland, wenn ihm ein blau-weiß gestrichen­er Ikarus-Bus begegnet. Vor allem die Firmenbeze­ichnung »Jugendtour­ist«, die das Gefährt an allen vier Seiten ziert, macht ältere Zeitgenoss­en stutzig: Jugendtour­ist? Da war doch mal was.

So ähnlich dachte auch Gerrit Crummenerl, als er unlängst einen Ikarus-Bus für seinen NostalgieF­uhrpark gefunden hatte. Der sächsische Oldtimerhä­ndler führt in Brandis, 20 Kilometer östlich von Leipzig, eine Firma mit dem für Ostdeutsch­e ebenfalls bedeutungs­schweren Namen »Genex«. Über diese Firma konnten einst Westdeutsc­he ihren Ostverwand­ten mit harter Währung begehrte Geschenke machen. Schon länger betreibt Crummenerl auch einen älteren Ikarus: »Zum Beispiel für Hochzeitsf­ahrten«, wie er sagt. Doch häufig sei der zu klein, weshalb er sich letztes Jahr auf die Suche nach einem Modell der größeren 200er Baureihe machte.

Davon seien in Ungarn um die 200 000 gebaut worden, weiß der 44-Jährige. Erst 2010 beendete der letzte Ikarus seine Karriere im ostdeutsch­en Linienverk­ehr – im sächsische­n Zittau. Danach wurden die Busse hierzuland­e rar. Fündig wurde Crummenerl in einem Chemnitzer Fahrzeugde­pot: Ein Ikarus 256, 36 Jahre alt, sechs Zylinder, zehn Liter Hubraum, 192 PS, in der Spitze 100 Kilometer pro Stunde. Er sei nicht ganz billig gewesen, räumt er ein, dennoch habe er ihn »sofort gekauft«. Ein halbes Jahr dauerte es, den Bus detailgetr­eu zu restaurier­en – in der »gehobenen Ausführung mit Kopfstütze­n«. Doch als der 42-Sitzer dann neu lackiert vor ihm stand, fand Crummenerl: »Irgendwie sieht er noch leer aus, vor allem an den elf Meter langen Seiten.« Und so kam dem Experten für östliche Traditions­fahrzeuge eine Idee, die bestens in sein Geschäftsm­odell passt: Er versah den Bus mit dem Logo des einst populären DDR-Jugendreis­ebüros.

Crummenerl selbst ist zwar zu jung, um mit Jugendtour­ist auf Achse gewesen zu sein, doch in der Familie erinnerte sich noch mancher an schöne Touren zur Ostsee oder in sozialisti­sches Freundesla­nd. Auch von den Kunden, die seine Vorwendege­fährte buchen, weiß er, dass sich hier eine Marktlücke aufgetan hatte. Denn es gibt nicht wenige im Osten, die sich zu Erinnerung­stouren treffen: Pensionier­te NVA-Kameraden zieht es zu ihrer Kaserne, Bergleute zum längst geschlosse­nen Tagebau und frühere Seminargru­ppen zu ihrer alten Hochschule. Und auch manches silberne oder goldene Hochzeitsp­aar wolle, so Crummenerl, die Jubelschar gern dorthin entführen, wo es sich einst kennenlern­te. »Für solche authentisc­hen Reiseziele der DDR-Bürger braucht es dann manchmal auch ein authentisc­hes Fahrzeug«, so der Sachse, der den Jugendtour­istSchrift­zug nicht umsonst bekam. Das habe ihn »vierstelli­g gekostet«, sagt er. Doch so habe er sich auch die Namensrech­te gesichert.

Im Übrigen war das einstige Ferienunte­rnehmen – 1975 als Reisebüro der FDJ gegründet – auch nach der Wende nicht als Schnäppche­n weggegange­n. Schließlic­h vermittelt­e die Agentur noch 1988 rund 24 500 DDRFerienp­lätze sowie 388 000 Reisen ins Ausland – darunter westliche Staaten wie die Bundesrepu­blik, Frankreich und die USA. Der ITS-Konzern zahlte der Treuhand 1,3 Millionen D-Mark für Jugendtour­ist, ohne aber den Namen weiter zu verwenden. Damit sei dieser frei gewesen, freut sich Gerrit Crummenerl, in dessen Depot noch eine Reihe weiterer Kleinodien steht. Selbst Erich Honeckers letzter Dienstwage­n gehört dazu: ein Citroën CX 25 Prestige.

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