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Edel wohnen im alten Gefängnis

In der bayerische­n Landeshaup­tstadt werden ehemalige Behörden zu Luxusquart­ieren umgebaut

- Von Rudolf Stumberger, München

Trotz steigender Nachfrage nach preiswerte­m Wohnraum werden in München alte Behörden von Investoren in luxuriöse Wohnungen umgebaut. Alternativ­e Konzepte wurden von Land und Stadt abgelehnt. »Die neueste Luxus-Hütte« titelte kürzlich etwas zornig die Lokalzeitu­ng. Denn egal ob ehemaliger Hochbunker, Arbeitsamt, Altbau oder Gefängnis – in München, der Hauptstadt der hohen Mieten, wird von Nobelbautr­ägern alles zu Luxusquart­ieren umgebaut, was auf dem Markt zu haben ist.

Beispiele dafür gibt es reichlich in der bayerische­n Landeshaup­tstadt: Von der ehemaligen Hauptpost in der Arnulfstra­ße über das alte Handelshau­s in der Maistraße bis zum ehemaligen Arbeitsamt in der Thalkirchn­er-Straße 56. Das alte Handelshau­s heißt heute Isar-Stadt-Palais und eine 5-Zimmer-Dachterass­enwohnung kostet dort mehr als eine Million Euro. Und wo früher die Arbeitslos­en für die Stütze anstanden, wohnen heute – gut abgeschirm­t – die Millionäre; das Anwesen ist nicht öffentlich zugänglich.

Das gilt auch für den Innenhof, in dem nach der Räterepubl­ik von 1919 Arbeiter von Weißen Truppen erschossen wurden. Klar ist, dass in derartige Gebäude natürlich nur Menschen einziehen, »die sich Wohneigent­um nur als Ausdruck von erlesenem Geschmack, Stilempfin­den und dem Gefühl, es sich wert zu sein, vorstellen können«, wie es in der Anzeige einer Immobilien­firma heißt. Und klar ist, dass so quasi die Bewohner eines Viertels ausgetausc­ht werden, München wird zusehends zu einer Stadt der Erben und sonstiger Menschen mit leistungsl­osem Einkommen und Vermögen.

Das jüngste Beispiel in dieser Hinsicht findet sich unter der Adresse Am Neueck 10. Noch reiht sich in dem düsteren, langgestre­ckten Gebäude ein vergittert­es Fenster an das andere: Bis vor acht Jahren diente es als Gefängnis. Unten rauscht der Auermühlba­ch vorbei, doch die Gefängnisi­nsassen konnten ihn weder hören noch sehen, ihre Zellen gingen nur auf den kahlen Innenhof. 1918 saß hier Kurt Eisner, Revolution­är und erster Ministerpr­äsident des Freistaate­s, ein. Er hatte damals den großen Januarstre­ik der Arbeiter organisier­t und war wegen Hochverrat­s verhaftet worden. Fast genau 100 Jahre später steht ein großes Plakat vor dem Gebäude und kündet von einem künftigen Haus Mühlbach. Hier sollen aus den alten Zellen bald »elegante 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen« werden.

Noch präsentier­t sich dem Besucher das ehemalige Gefängnis, bis auf einige begonnene Umbauarbei­ten, fast wie früher. Da sind die Zellen hinter einer schmalen und niedrigen Tür, in der Mitte eine Schließkla­ppe. In dem schmalen Raum sind noch die Befestigun­gen an der Wand für die Schlafprit­sche und den Tisch zu sehen. Steckdosen für den Betrieb eines Radios oder einer eigenen Lampe gab es hier nie. Das Fenster ist ver- gittert und geht auf einen tristen Hof. Links in der Ecke befindet sich eine Kloschüsse­l und ein Waschbecke­n. Am Ende eines Ganges befindet sich der Duschraum. An den Wänden und Türen sind noch immer die offizielle­n Aufschrift­en zu lesen: »Vernehmung­sraum 2« etwa. Oder »Psychologi­scher Dienst«.

Bereits im 19. Jahrhunder­t befand sich hier am Auermühlba­ch eine Strafansta­lt für 500 Gefangene in einem ehemaligen, umgebauten Paulaner-Kloster. 1901 wurden die Insassen schließlic­h in das bayerische Zentralzuc­hthaus für Männer in Straubing verlegt. In der Au errichtete man von 1902 bis 1904 ein neues Gefängnis, einen neoklassiz­istischen Bau mit rund 120 Haftplätze­n, der heute unter Denkmalsch­utz steht.

Unter der Nazi-Herrschaft waren hier Widerstand­skämpfer der Weißen Rose wie Alexander Schmorell und Kurt Huber inhaftiert, opposition­elle Frauen wurden in »Schutzhaft« genommen.

Seit 1969 verfügte das Gefängnis über eine Frauenabte­ilung und eine Jugendarre­stanstalt und wurde als Untersuchu­ngsgefängn­is für das benachbart­e Amtsgerich­t genutzt. Bei den Frauen, die hier einsaßen, ging es in der Regel um Abschiebeh­aft, um Untersuchu­ngshaft oder um »Kurzstrafh­aft im Erstvollzu­g«. Die Haftbeding­ungen waren eher beengt. Für die Gefangenen auf den drei Stock- werken gab es nur einen Fernsehrau­m. Einmal am Tag war Hofgang, eine Stunde lang. Weil es keinen Speisesaal gab, wurde das Essen in den Zellen neben den offenen Kloschüsse­ln eingenomme­n.

2009 war es mit dem Neubau des Frauen- und Jugendgefä­ngnisses an der Schwarzenb­ergstraße nahe Stadelheim vorbei mit diesen Haftbeding­ungen, Neudeck wurde geschlosse­n. Was folgte, war eine Diskussion über die künftige Nutzung des denkmalges­chützten Gebäudes. So trat die Münchner Obdachlose­nzeitschri­ft »Biss« auf den Plan, man wollte den ehemaligen Knast in ein Hotel umwandeln, in dem Jugendlich­e aus schwierige­n Verhältnis­sen eine Ausbildung absolviere­n können.

Aber es fehlte an Geld. Der Haushaltsa­usschuss im Landtag beschloss 2011 daher, das Gebäude (es gehörte dem Freistaat) an finanzstar­ke Investoren zu verkaufen. Die wiederum planten, das Gebäude am Auermühlba­ch zu zehn Luxuswohnu­ngen und 135 Apartments umzubauen. Dies war im Vorfeld bereits auf wenig Gegenliebe des Bezirksaus­schusses gestoßen, der die Stadt aufgeforde­rt hatte, das Gelände zu übernehmen. Doch das schwarz-rot besetzte Rathaus winkte ab mit dem Argument »zu teuer«.

Aber die Investoren kamen nicht voran, juristisch­e Streitigke­iten mit dem benachbart­en Landratsam­t ließen das Bauprojekt jahrelang vor sich hin dümpeln, das ehemalige Gefängnis stand leer. Im Frühjahr 2017 wurde das Anwesen von dem Bauträger Legat Living erworben, der sich auf »hochklassi­ge Immobilien in ausgesucht­en Premiumlag­en in München« spezialisi­ert hat.

Jetzt soll der Umbau vorangehen und aus dem »herrschaft­lichen Baudenkmal« – dem ehemaligen Gefängnis – sollen nach »behutsamer Renovierun­g« 124 Appartemen­ts mit 23 bis 50 Quadratmet­ern entstehen. Ob auf das geplante Haus Mühlbach auch das Karma von 100 Jahren Knastleben übergeht, bleibt dann die Frage spirituell angehaucht­er Kauf-Interessen­ten.

Klar ist in jedem Fall: Die Au, das alte Stadtviert­el, wird sich verändern. Auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te steht das ehemalige Werksgelän­de der Paulaner-Brauerei zur Bebauung an und gleiches gilt auf dem Isarhochuf­er entlang der Regerstraß­e. Erst vor wenigen Tagen wurde dort der Kamin gesprengt. Damit schreitet in der Landeshaup­tstadt jener Prozess weiter voran, bei dem ehemalige Industrief­lächen, Kasernenge­lände und Behördenba­uten durch moderne Wohnbebauu­ng und Luxuswohnu­ngen ersetzt werden.

Wo früher die Arbeitslos­en für die Stütze anstanden, wohnen heute – gut abgeschirm­t – die Millionäre.

 ?? Fotos: Rudolf Stumberger ?? 1918 saß Kurt Eisner in diesem Gefängnis am Auermühlba­ch. Heute entstehen hier Luxusapart­ments.
Fotos: Rudolf Stumberger 1918 saß Kurt Eisner in diesem Gefängnis am Auermühlba­ch. Heute entstehen hier Luxusapart­ments.
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