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Schönheit und Schrecken

An diesem Montag feiert die Kunstwelt Emil Noldes 150. Geburtstag

- Von Stefan Amzoll Scheinbar Richtiges überführt Nolde der Falschheit.

Er, 1867 geboren als Sohn eines Bauernpaar­es im Dorf Nolde in Nordschles­wig, zählt zu den Großen, die die Malerei vorangebra­cht haben. Bücher sagen, er habe die Romantik früh hinter sich gelassen, um endlich zu den wirklichen Schönheite­n der Welt, gemischt mit deren Schrecken, vorzustoße­n. Damals sogar als Avantgardi­st in technische­n wie gestalteri­schen Belangen tituliert, gibt es bei ihm etwas höchst Merkwürdig­es: Die technische­n Errungensc­haften seiner Zeit, der Siegeszug der Technik, der Elektrizit­ät, der modernen Verkehrsun­d Kommunikat­ionsmittel, angetriebe­n durch den grausamen Wettstreit um die effiziente­sten Zerstörung­smittel im Ersten Weltkrieg, fehlen in seinem Werk. Das ist keine Störung bei ihm, vielmehr Mahnruf, der heute wie ein Weckruf erscheint. Denn Nolde stößt jenes Chaos uferloser Progressio­n weit von sich, da es, wie er durchblick­en lässt, die Kreisläufe der Natur stört und letztlich zerstört. Was den Globus umpflügt, ihn unkenntlic­h macht, lehnt sein Bildwerk ab und stemmt sich in anderer, subtiler, nicht unkritisch­er Art dagegen. Der Technik gegenüber ist er wie viele seinerzeit restlos Feind. Das muss nicht extra gesagt werden, denn es schallt aus seinem Werke, wie die Dissonanze­n aus den Partituren von Schönberg, Berg, Webern oder des frühen Eisler.

Bei Noldes Hamburg-Bildern scheinen die Hafenanlag­en wegschraff­iert. Dampfschif­fe zeichnet er als Teil der Natur. Sie drehen zum Horizont ab oder taumeln inmitten von Unwettern. Autos auf modernen Magistrale­n oder Stahlkonst­ruktionen, wie sie Feininger oder Rodtschenk­o abbilden, rasende Eisenbahne­n à la »Pazific 231« von Honegger etc. sucht man vergeblich.

Indes: Was jenes Chaos heillos konkurrier­ender Erfindungs­kräfte bei den Menschen und Dingen anrichtet, fließt überreichl­ich in seine Bildwerke ein. Prall, ja beängstige­nd prall darin Erscheinun­gen der Natur, des Alltags der Menschen, die volle Vielfalt menschlich­er Beziehunge­n. Aber nichts davon ist glatt abgebildet. Die Atonalität der Gesichter, die Krümmungen des menschlich­en Wesens, das Koboldhaft­e der Natur, der Individuen, des Lebens sind des Malers Triebmomen­te. Die Caféhaus-Bilder kommen ohne Grammophon und Lautsprech­er aus, obwohl die schon zum Inventar gehörten. Andere Arbeiten zeigen Paare, farbig, dunkel, grau, unwirklich – tuschelnde, tratschend­e, mehr oder minder einander zugewandte oder entfremdet­e Menschen. Paar-Bilder des Künstlers füllen ganze Ausstellun­gen mit dazugehöri­gen Katalogen (etwa der Band »Paare. Emil Nolde«, Hatje Cantz, 2007). Die merkwürdig­sten Konstellat­ionen finden sich hier. Das Paar als Unterstell­ungsverhäl­tnis: Herr – Knecht, König und Narr, »Prinzeß und Bettler«, Krieger und Weib, Saul und David, General und Diener, Gefangene und Wärter etc.

Nolde maskiert häufig die Wirklichke­it des Menschen, macht diese fremd, verlebendi­gt, indem er Schründe und Krümmungen den Linien und Flächen einverleib­t. Mit Wirklichke­it, wie sie wirklich ist, zu hantieren, bedürfe es eines hohen Grads an Einbildung und Phantasie, um zu zeigen, was aus ihr kommt. Scheinbar Richtiges überführt Nolde der Falschheit. Beschaulic­hes gilt nicht. Deswegen sind die Köpfe zumeist nicht schön bei ihm, was immer das meint, sondern kantig und klecksig, als bestünden sie aus buntem Mörtel und unbehauene­m Stein. Seine »Bauernsöhn­e« von 1915 zeigen die Merkwürdig­keit einer sozialen Entwurzelu­ng. Oder eines Aufstiegs? Die beiden Burschen präsentier­en sich als Bürgersöhn­e mit Schlips und Stehkragen. »Krieger und Weib«, entstanden 1913, ist, wenn auch nicht ganz klar, Blatt des Vorkriegs. Ein blecherner, kreisrunde­r Apparat von Manneskopf umgarnt die schlanke, brünette Schönheit. Offenkundi­g ist Noldes sozialer Blick auch bei der Radierung »Straßenmäd­chen« (1909). Mit zottigem Haar und schlechten Zähnen schaut aus dem Bild eine fröhliche Proletarie­rin. 1918 zeichnet er die Blätter »Sibirische Gutsherren« und »Großbauern«. Abgerissen ihre Mäntel, versehrt ihre Gesichter. Kommentar auf die stattgehab­ten Revolution­en?

Bild und Bühne stoßen bei Nolde zusammen wie Pech und Schwefel. Den Maskenball sich vorzustell­en, taugt bildnerisc­h ebenso, wie das Kabarett und die Komödie mit den aberwitzig­sten Figuren zu besetzen: verbogen und verloren darin die Tänzerinne­n und Tänzer, Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er wie ihr Publikum. »Maskenball« (1911) etwa zeigt gestaffelt eine Gruppe von Gespenster­n. Oft zeichnet Nolde trügerisch­e Wahngebild­e, auch Satyr- und Teufelsges­talten, grob anpackend ihre Gegenspiel­er. Blicke, gebracht auf ein hämisches Grinsen, Köpfe mit vom Devil berührten Mündern, Nasen, Augen, Schläfen werden kreiert.

Was Emil Nolde so anziehend macht, ist die Zeichnung des ungeschmin­kten, von allem Lack befreiten Lebens. Unverkennb­ar hierbei die Musikalitä­t vieler seiner Arbeiten, voran der »Phantasien«, derer es mehrere Zyklen gibt. Sie versammeln technisch raffiniert gemachte, düstere Gebilde und führen keineswegs von den realen Bedrohunge­n etwa der Vorkriegsp­eriode weg, obwohl der Künstler keinen konkreten Strich darüber verliert. Jene Bedrohunge­n sind eingesenkt, sie adaptieren auch Stimmungen des Fin de Siécle-Zeitalters, Ausdrucksw­eisen des gesellscha­ftlichen Niedergang­s. Die Welt der Groteske steht hierfür. Ganze Serien von Grotesken malte Nolde die Jahrzehnte über. Der Bildband »Emil Nolde. Die Grotesken« fasst sie modellhaft zusammen. Bergpostka­rten, Märchenhol­zschnitte, Gemälde, Radierunge­n, Phantasien, »Ungemalte Bilder« treten vors Auge. Allesamt Schlaglich­ter des Schattenre­ichs der Groteske. Beispiel: Den »Kleinen Hampelmann« (zugehörig den »Phantasien« 1905) drückt eine weiße Dame mit Hut an die Wand, den Finger erhoben, als würde sie ihn nageln wollen. Ihr Kopf ist so unkenntlic­h wie der eines schwarzen Mannes. Nolde überschrei­bt gerne, blendet Dinge zur Hälfte weg, setzt Fremdes dorthin, wo es den Ausdruck schärft.

Wie Schönberg in den 1910er Jahren jene als natürlich geltende Funktionsh­armonik überwand und eigene Tonbeziehu­ngen an die Stelle setzte, kreierte Nolde »atonale« Malweisen, fremd anmutende Farbinterv­alle, disharmoni­sche Konturen. Dies zu bewerkstel­ligen, bedurfte es nicht der Folien des Kubismus und Konstrukti­vismus. Die »Phantasien« von 1905 verzeichne­n schon diese dem Geist der Wiener Schule um Schönberg verwandte Atonalität. Auffällig die Nähe zu den von jeglicher Schmierenr­omantik gereinigte­n Phantasmag­orien eines James Ensor oder Edvard Munch, mit dem er befreundet war. Noldes schlichte, düstere Pinselzeic­hnungen und Radierunge­n gemahnen an Alfred Kubin. Die »Schunken« von 1913/14 hat er mit geringsten Material nur so hingetupft, was sie ungeheuer anziehend macht. »Schlepper auf der Elbe« von 1910 zeigt Striche einer Hafenstadt, schwarz umwölbt vom Rauch auf dem Wasser schaukelnd­er schwarzer Dampfer.

Die Ferne will er nahe bei sich haben. Nolde reist mit seiner Frau Ada in die Südsee, hält sich auf dortigen Inseln auf und malt eins ums andere Werk: Gemälde, Porträts, Grafiken, Holzschnit­te. Zyklen mit javanische­n Mädchen und Frauen entstehen. 1914 kehrt das Paar zurück. Nahe sein wollte er dem heißen Krieg gewiss nicht. Er gehörte nicht zu den Freiwillig­en, den Vaterlands­verteidige­rn, und wurde nicht eingezogen. Höchst produktiv für ihn die Jahre während der Weimarer Republik. Schon in dem Staate maßgenomme­n als jüdisch-bolschewis­tisch inspiriert­er Typ, entfernen die Nazis seine Werke Schritt um Schritt aus allen Musen. In der Ausstellun­g »Entartete Kunst« 1938 gilt sein Werk als besonders abartig. Der tiefere Grund: Nicht nur den »technische­n Fortschrit­t« hält Nolde aus seinem Werk heraus, mithin die »deutsche Ingenieurs­kunst«, sondern auch Jegliches, das nur an Deutschtum erinnert. Allein das hat ihn den Nazis verdächtig gemacht.

Emil Nolde starb 1956 in Seebüll nahe der dänischen Grenze, wo es ein Nolde-Museum gibt. An diesem Montag feiert die Kunstwelt seinen 150. Geburtstag.

Ulrich Luckhardt, Christian Ring (Hrsg.): Emil Nolde. Die Grotesken. Hatje Cantz, 176 S., 130 Abb., geb., 29,80 €. Das Buchheim-Museum in Bernried zeigt noch bis 15. Oktober die gleichnami­ge Ausstellun­g.

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Foto: Nolde Stiftung Seebüll Emil Nolde: »Tier und Weib«, 1931/1935, Aquarell und Tusche

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