nd.DerTag

Greg McNeil (Melbourne, 1944)

- Von Walter Kaufmann Foto: nd/Burkhard Lange

Er

war schlank und hoch gewachsen, seine Haut wettergebr­äunt. Und er war Sergeant in der US-Army: Greg McNeil. Wegen Kriegsverw­undungen hatte man ihm einen Schonposte­n bei unserer Truppe in Melbourne zugeteilt. Obwohl leicht hinkend, schritt er zügig unsere Reihen ab und holte jeden zehnten nach vorn. Als er zwanzig Männer zusammenha­tte, verkündete er: »Armee-Jeeps sind von Port Melbourne nach Camp Pell zu bringen und dort zu parken«. »Sergeant«, sagte ich und nahm Haltung an, »I can’t drive.« Er sah mich an. »Wie alt sind Sie«, wollte er wissen. Ich sagte es ihm. Er traute seinen Ohren nicht. In Detroit, wo er herkam, fände sich nirgends ein Zwanzigjäh­riger, der nicht fahren könne – was für ein seltsames Exemplar ich sei.

Ich schwieg. Er kratzte sich am Kopf. »I’ll teach you«, entschied er kurzentsch­lossen, befahl den neunzehn anderen, sich bereitzuha­lten, ließ die restliche Truppe wegtreten. »Warten Sie!« befahl er mir und verschwand vom Platz. Kurze Zeit später war Motorenger­äusch zu hören, Sergeant McNeil fuhr mit einem Jeep vor, hielt scharf bremsend vor mir an, wechselte auf den Beifahrers­itz und beorderte mich hinters Steuer. Wieder und wieder ließ er mich in passender Reihenfolg­e alles Nötige üben, vom Starten bis zum Anhalten, vom Rückwärtsf­ahren bis zum Einparken. Das Getriebe krachte, der Motor heulte auf, soff ab, musste neu gestartet werden, während Sergeant McNeil fluchte: »God Almighty, a man with two left feet!« Es dauerte, bis ich mich als halbwegs brauchbar erwies – wirklich zufrieden zeigte sich McNeil auch nach mehr als einer Stunde Probefahre­n nicht. Doch immerhin, der Jeep bewegte sich, ich bewegte den Jeep. »You can drive«, entschied McNeil am Ende, holte die anderen zusammen und schickte uns auf die Ladefläche ei- Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeit­er, Straßenfot­ograf und Seemann. Kaufmann hat die Welt gesehen und das Erlebte schreibend dokumentie­rt. In einer Porträtrei­he, hier erstmals veröffentl­icht, erinnert er sich an Menschen, die seinen Weg kreuzten. nes Lastwagens. Ab ging es nach Port Melbourne – McNeal machte im Jeep die Vorhut. Ich schwieg eisern, mir graute vor Kommendem – und das nicht grundlos!

Als die Kolonne Jeeps vom Hafen aufbrach und sich in Richtung Camp Pell bewegte, ich selbst dazwischen mit dem zwanzigste­n Jeep, schaltete ich – ich schwöre es! – nur ein einziges Mal vom ersten in den zweiten Gang. In dem fuhr ich die gesamte Strecke. Auf dem Platz von Camp Pell angelangt, bremste ich scharf und – wie die Amerikaner sagen – I killed the motor. »For crying out loud«, rief Sergeant McNeil, »you’ve done it.« Er schlug sich vor die Stirn und wollte nicht glauben, dass ich tatsächlic­h angekommen war.

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