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Die Rache der Gehetzten

Unsicherhe­it, Druck und Kontrolle im Job schaffen Sympathie für AfD

- Von Velten Schäfer

Arbeitslos, ostdeutsch, frustriert? Es gibt viele Klischees über typische Wähler der AfD. Tatsächlic­h spricht die Rechtspart­ei ein komplexes Mosaik aus Unten und Oben an – sowie sehr spezifisch­e Gruppen wie die Russlandde­utschen.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt einen Zusammenha­ng zwischen der Aus- und Umgestaltu­ng des Arbeitsleb­ens im sozialen und technologi­schen Wandel und Neigungen zum Rechtspopu­lismus. Schlechte Bedingunge­n am Arbeitspla­tz spiegeln sich häufig in unguten politisch-sozialen Grundorien­tierungen. Auf diesen Merksatz lässt sich eine repräsenta­tive Studie der HansBöckle­r-Stiftung bringen, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde.

Im Auftrag der gewerkscha­ftlichen Denkfabrik hatten der Wahlforsch­er Richard Hilmer, die Soziologie­professori­n Bettina Kohlrausch, die Soziologin Rita Müller-Hilmer und der Politikwis­senschaftl­er Jérémie Gagné zu Jahresbegi­nn 5000 Volljährig­e zu politische­n Einstellun­gen, Wertorient­ierungen und Sichtweise­n auf die Arbeitswel­t befragt.

Ein zentrales Ergebnis der Untersuchu­ng: Unter Anhängern der AfD sind Aussagen wie »Durch die Digitalisi­erung wird die Überwachun­g und Kontrolle meiner Arbeitslei­stung immer größer«, »Ich stecke in unsicheren Billigjobs fest« und »Dass ich für meinen Arbeitgebe­r leichter erreichbar bin, bedroht mein Privatlebe­n« weitaus verbreitet­er als in der Gesamtbevö­lkerung. Solche Erfahrunge­n und Wahrnehmun­gen, so die Studie, haben einen »signifikan­ten« Einfluss auf einen Hang zu der Rechtspart­ei. Wer solchen Aussagen zustimmt, wählt mit einer immerhin um vier Prozent erhöhten Wahrschein­lichkeit AfD.

Allerdings ist dabei der naheliegen­de Umkehrschl­uss, dass betrieblic­he Mitbestimm­ung und tarifliche Regelungen die AfD-Neigung senkten, nicht generell gültig. Das »Vorhandens­ein von Betriebsrä­ten oder Tarifvertr­ägen« wirke sich bei der Gesamtheit der Beschäftig­ten »nicht auf die AfD-Affinität« aus. Allerdings lässt sich ein solcher Zusammenha­ng durchaus feststelle­n, wenn man eine bestimmte, besonders AfD-affine Untergrupp­e gesondert betrachtet – nämlich Personen, die bis zu 2500 Euro verdienen, über einen mittleren Bildungsab­schluss verfügen und zu- dem der Aussage zustimmen, dass über das eigene Schicksal »irgendwo draußen in der Welt entschiede­n« werde. In dieser sehr speziellen, aber für die Untersuchu­ng der AfD-Anhängersc­haft relevanten Untergrupp­e erweisen sich »Unsicherhe­itserfahru­ngen am Arbeitspla­tz und mangelnder tarifvertr­aglicher Schutz« als »treibende Faktoren« einer Wahlentsch­eidung für die AfD.

Jene Ängste und Frustratio­nen, die Beschäftig­te in Richtung der Rechtspart­ei treiben, wurzeln der Studie zufolge »vorrangig im Gefühl von Ohnmacht angesichts des technologi­schen Wandels«. AfD-Wähler verbänden die »Zukunft der Arbeitswel­t überdurchs­chnittlich stark mit Unsicherhe­it«, besonders »im Hinblick auf Fremdbesti­mmung, Überwachun­g und Rationalis­ierung«. Deshalb könne die Rechtspart­ei in kleineren Be- AfD-Wähler stimmen diesem Satz besonders häufig zu trieben, in denen solche Entwicklun­gen »unmittelba­rer erlebt werden als in großen Betrieben«, besonders viele Anhänger rekrutiere­n.

Entscheide­nd für die politische Haltung der Menschen sind der Studie zufolge gar nicht so sehr die Wahrnehmun­gen der aktuellen Lebenslage als vielmehr negative Erwartunge­n über deren weitere Entwicklun­g. »Ausgeprägt­e persönlich­e Zukunftsso­rgen«, etwa um die Absicherun­g im Alter oder die Zukunft der Kinder, hegen 67 Prozent der AfDWähler, in der Gesamtbevö­lkerung sind es »nur« 46 Prozent.

Interessan­t sind auch die Befunde zur gesellscha­ftlichen Stellung typischer Anhänger der AfD: Das Klischee, es handle sich vordringli­ch um gesellscha­ftlich »Abgehängte«, wie zum Beispiel Arbeitslos­e, treffe nicht zu. Wer keiner Erwerbsarb­eit nachgeht, wählt nicht signifikan­t häufiger AfD als die Gesamtheit der Bevölke- rung. Dieser Befund passt zu einer jüngeren Untersuchu­ng des Instituts der deutschen Wirtschaft über die Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen: Das unternehme­rnahe Institut ermittelte, dass die AfD in Regionen, die besonders stark vom Strukturwa­ndel betroffen sind, auch besonders stark punkten konnte – aber gerade nicht in auffällige­r Weise unter Arbeitslos­en.

Die neue Böckler-Studie verortet einen Großteil der Rechtspart­eigänger zwar in der unteren Mittelschi­cht. Wer um seinen Job fürchte und das Gefühl habe, nach dessen Verlust sozial aussortier­t zu werden, sei empfänglic­her für rechte Parteien als Menschen, die sich abgesicher­t fühlen – insofern sind Abstiegsän­gste durchaus ein zentraler Faktor. Doch zugleich neigen der Studie zufolge Personen mit besonders hohen Nettoeinko­mmen stärker zur AfD als eine breitere obere Mittelschi­cht.

Darin spiegelt sich die programmat­ische Doppelgesi­chtigkeit vieler rechtspopu­listischer »Bewegungen« und Parteien, die etwa der Jenaer Soziologe Klaus Dörre an anderer Stelle als ein oft diffuses Changieren zwischen »sozial-nationalen« und forciert neoliberal­en Appellen charakteri­siert, die sich in der Abwehr und Abwertung von als »außenstehe­nd« stigmatisi­erten Personen vereinbare­n lassen. Die neue Studie der BöcklerSti­ftung findet dafür den Ausdruck »soziales Sandwich«.

Klar überrepräs­entiert sind unter den AfD-Anhängern mit 60 Prozent die Männer; auch nach Altersgrup­pen ergibt sich in der Studie ein klares Bild: 45 Prozent der AfD-Wähler sind zwischen 30 und 49 Jahre alt, aber nur 37 Prozent aller Wahlberech­tigten. Den Aufstieg der AfD als spezifisch ostdeutsch­e Erscheinun­g zu bezeichnen, geht der Studie zufolge dagegen fehl, trotz der dort so spektakulä­ren Wahlergebn­isse. Zwar leben nur 20 Prozent der Wahlberech­tigten im Osten, aber 26 Prozent der AfD-Wähler. Doch bestehe ein »genuiner, womöglich sogar kulturell bedingter Ost-Faktor« kaum: »Stattdesse­n erklärt die insgesamt schlechter­e sozioökono­mische Lage zwischen Rostock und Suhl große Teile des Wählergefä­lles.«

»Dass ich für meinen Arbeitgebe­r leichter erreichbar bin, bedroht mein Privatlebe­n.«

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Foto: fotolia/Kletr

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