Lateinamerika uneins über Venezuela
Zwölf amerikanische Staaten kritisieren Bruch der demokratischen Ordnung / ALBA-Staaten stützen Caracas
Venezuelas Regierung hat an vielen Fronten zu kämpfen. Außenpolitisch macht ihr die Deklaration von Lima zu schaffen, innenpolitisch treibt sie die Entmachtung des Parlaments voran. Auf Kritik aus Lateinamerika reagiert Nicolás Maduro deutlich verhaltener als auf Kritik aus den USA: »Venezuela steht der ganzen Welt für einen großen Dialog offen gegenüber, einem Friedensabkommen.« Mit diesen Worten reagierte Venezuelas Präsident in Caracas bei einem Treffen der Staaten der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerikas (ALBA) auf die Erklärung von Lima. Während die ALBA-Staaten Bolivien, Ecuador, Kuba, Nicaragua und mehrere karibische Inselstaaten unverbrüchlich an der Seite von Venezuelas Regierung stehen, findet die Mehrheit der südamerikanischen Staaten deutliche Worte der Kritik. Bei einem Sondertreffen in Perus Hauptstadt Lima beschlossen zwölf Außenminister und ihre Vertreter, dass keine Entscheidungen der neuen Verfassunggebenden Versammlung in Caracas akzeptiert würden, und damit auch nicht die Absetzung der inzwischen regierungskritischen Generalstaatsanwältin Luisa Ortega. Insgesamt wurde die Erklärung von Lima sogar von 17 Staaten unterstützt, sagte Perus Außenminister Ricardo Luna. Allerdings unterzeichneten Uruguay, Jamaika, Guyana, Grenada und Santa Lucia die Erklärung nicht – im Gegensatz zu Argentinien, Brasilien, Kanada, Kolumbien, Costa Rica, Chile, Guatemala, Honduras, Mexio, Panama und Paraguay.
Dass in Argentinien und Brasilien inzwischen neoliberale Regierungen nach über einem Jahrzehnt linksmoderater Präsidentschaften übernommen haben, hat die regionalen Machtverhältnisse zuungunsten Venezuelas verschoben. Das zeigte sich schon am vergangenen Wochenende, als unter argentinischer und brasilianischer Führung aus Protest gegen die Verfassunggebende Versammlung alle Rechte Venezuelas in dem Regionalbündnis Gemeinsamer Markt des Südens (Mercosur) »auf unbestimmte Zeit« suspendiert wurden.
In der in Perus Hauptstadt veröffentlichten Erklärung bemängelten die Außenminister und Diplomaten nach ihrem siebenstündigen Treffen zudem das »Fehlen freier Wahlen, Gewalt, Unterdrückung und die politische Verfolgung, die Existenz politischer Gefangener« in Venezuela. Sie betonten die »energische Zurückweisung der Gewalt und der Verletzung von Menschenrechten«.
Maduro ging in Caracas nicht auf die Vorwürfe ein. Stattdessen zeigte er sich gesprächsbereit: »Ich glaube, dass ein regionaler Dialog fehlt und ich schlage ALBA und den anwesenden ALBA-Führungen vor, dass wir einen solchen Prozess in Angriff nehmen, einen Dialog, der Venezuela Respekt zollt.« Eingeschlossen werden sollen darin nach Maduro insbesondere die Regierungen von Mexi- ko, Peru, Argentinien, Chile, Paraguay – Staaten, aus denen bis dato mit die stärkste innerlateinamerikanische Kritik zu hören war. Die Zielsetzung beträfe nur einen Punkt: »Die Wiederherstellung der Beachtung der Normen des internationalen Rechts und der Prinzipien« der 2008 gegründeten Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), der die USA im Gegensatz zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nicht angehören. Reaktionen von den in Lima versammelten Staaten auf Maduros Vorstoß gibt es noch nicht.
Venezuelas ehemalige Umweltministerin Ana Elisa Osorio, die wie andere kritische Chavisten der Re- gierung Maduro vorwirft, nicht dem Vermächtnis von Hugo Chávez (Präsident von 1999 bis 2013) zu folgen, plädiert für eine innenpolitische Lösung der Krise: »Ein Rücktritt und vorgezogene Neuwahlen würden der beste Ausweg sein. Der Präsident sollte mit diesen Vorschlägen einen Dialog mit der Opposition suchen, was zum Nutzen aller Venezolaner wäre«, meint Osorio, die für die Regierungspartei PSUV im lateinamerikanischen Parlament sitzt.
Dass Osorios Vorschlag bei Maduro auf offene Ohren stößt, ist unwahrscheinlich. Am Dienstag hat Venezuelas Militär Abgeordneten der Opposition den Zugang zum Parlament versperrt. 15 Politiker seien am Betreten des Gebäudes in der Hauptstadt Caracas gehindert worden, schrieb der Fraktionschef des Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD), Stalin González, im Kurzbotschaftendienst Twitter.
In dem Gebäudekomplex tagt seit Freitag vergangener Woche neben dem von der Mitte-rechts-Opposition dominierten Parlament Venezuelas auch die Verfassunggebende Versammlung. Das neue Gremium steht über dem Parlament und soll die Verfassung novellieren. Der Abgeordnete Jorge Millán warf den Mitgliedern der Verfassungsversammlung vor, sich gewaltsam Zugang zum Plenarsaal verschafft zu haben, um dort zu tagen. Die Opposition werde diese »illegale« Besetzung nicht dulden.
Die Verfassungsversammlung hat sich per Dekret in der Nacht auf Mittwoch über alle anderen Institutionen der Regierung gestellt. Die oppositionell dominierte Nationalversammlung ist damit endgültig entmachtet. Die Aufrufe des MUD, gegen diese Entwicklung auf den Straßen zu demonstrieren, finden nur noch wenig Widerhall. Nur Optimisten sehen darin eine echte Entspannung der Lage in Venezuela.