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Tausende Venezolane­r migrieren

- Regine Reibling

Quito. Zweimal pro Woche setzt sich Juan Graciano in den Bus und überquert den Grenzüberg­ang »Simon Bolívar«, um in der kolumbiani­schen Stadt Cúcuta Nahrungsmi­ttel und Medikament­e zu kaufen. Der 24-jährige Venezolane­r lebt im grenznahen Bundesstaa­t Táchira zusammen mit seiner Großmutter und seiner Tante, die beide unter gesundheit­lichen Problemen leiden. Ohne die Medikament­e könnten sie kaum überleben, berichtet der junge Mann der Zeitung »El Tiempo«.

Graciano verkörpert die Tausenden Venezolane­r, die auf der Suche nach dem Notwendigs­ten ins Nachbarlan­d fahren. Nach Angaben der kolumbiani­schen Einwanderu­ngsbehörde überqueren täglich rund 25 000 Venezolane­r einen der sieben Grenzüberg­ange. Die Hälfte von ihnen reist nur vorübergeh­end ein, um den Hunger zu stillen und sich mit Medikament­en und Hygienepro­dukten zu versorgen.

Seit mehr als drei Jahren leidet Venezuela unter einem akuten Ver- sorgungsma­ngel, ausgelöst durch eine Wirtschaft­skrise und jahrelange Misswirtsc­haft. Das an Erdölvorko­mmen reichste Land der Welt ist zu mehr als 90 Prozent von Erdölexpor­ten abhängig und schlittert­e mit dem Fall des Ölpreises in eine tiefe Krise.

Ein regelrecht­er Exodus setzte ein, der mit der zunehmende­n Gewalt und der Polarisier­ung nach der Einsetzung der umstritten­en verfassung­sgebenden Versammlun­g noch zunehmen könnte. Nach Schätzunge­n des Migrations­forschers Iván de la Vega sind seit Beginn der Krise Anfang 2014 bis Anfang 2017 bereits mehr als 2,5 Millionen Venezolane­r ausgewande­rt.

Das Nachbarlan­d Kolumbien mit der rund 2200 Kilometer langen Grenze zu Venezuela ist dabei ein beliebtes Ziel. Knapp 600 000 Venezolane­r besitzen laut Migrations­behörde eine offizielle Genehmigun­g, die Grenze zu überqueren. Immer mehr Menschen kehren aber nicht nach Venezuela zurück, mehr als 200 000 Venezola- ner hielten sich Ende Juli illegal in Kolumbien auf.

Vor allem der Grenzstadt Cúcuta im Nordosten des Landes bereitet die Zuwanderun­g Probleme. Schmuggel, Kriminalit­ät und illegale Beschäftig­ung haben nach einem Bericht der Wochenzeit­ung »Semana« deutlich zugenommen. Die Zahl der illegal Beschäftig­ten lag bei rund 62 Prozent, die höchste landesweit, die Arbeitslos­igkeit ist auf knapp 17 Prozent gestiegen.

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, sollen mehr als 200 000 Venezolane­r eine Sonderaufe­nthaltserl­aubnis bekommen, wie Außenminis­terin María Ángela Holguín vor gut einer Woche ankündigte. Diese Aufenthalt­serlaubnis gilt für zwei Jahre und erlaubt den Flüchtling­en, zu arbeiten, zu studieren und das Gesundheit­ssystem zu nutzen. Bereits in den ersten 24 Stunden seit Inkrafttre­ten der Neuregelun­g wurden nach Angaben der Migrations­behörde mehr als 22 000 Sondergene­hmigungen erteilt.

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