nd.DerTag

Schmutzkon­kurrenz im Handel

Immer weniger Händler halten sich an Tarifvertr­äge – auf Kosten tarifgebun­dener Firmen

- Von Hermannus Pfeiffer

Der private Konsum wandelt sich. Das macht es Beschäftig­ten noch schwerer, höhere Löhne und gute Arbeit zu erkämpfen. Allgemeinv­erbindlich­keitserklä­rungen sollen den Wettbewerb fairer machen. Der kanadische Besitzer Hudson’s Bay Company hat sich offenbar verrechnet. 2015 hatte er Galeria Kaufhof vom Düsseldorf­er Großhandel­skonzern Metro gekauft. Galeria Kaufhof betreibt 97 Warenhäuse­r in deutschen Innenstädt­en und hat dazu 16 Filialen in Belgien. Doch das Geschäft läuft schlechter als erwartet und die kreditgebe­nden Banken werden nervös.

Doch nicht allein Warenhausk­onzerne wie Kaufhof und Karstadt – 1881 in Wismar von Rudolph Karstadt gegründet – tun sich schwer in der neuen Warenwelt. Viele Innenstädt­e in Deutschlan­d veröden, seit klassische Geschäfte und Cafés schließen müssen. Leerstände und bundesweit aktive Ketten wie Telekom, Starbucks oder H&M prägen den immer gleichen Mix in vielen Fußgängerz­onen.

Auch in anderen Ländern geraten traditione­lle Einzelhänd­ler immer stärker unter Druck. In Großbritan­nien und den Vereinigte­n Staaten sterben sogar die »Malls«, die riesigen Einkaufsze­ntren. Statt der Tempel des Konsums boomt der Onlinehand­el – und verändert die Arbeitswel­t.

Für die Beschäftig­ten im klassische­n Einzelhand­el sind das schwierige Rahmenbedi­ngungen. Im deutschen Handel sind derzeit über fünf Millionen Menschen beschäftig­t, weit mehr als in der Autoindust­rie mit ihrer starken politische­n Lobby. Dennoch gelang schließlic­h in der sechsten Tarifrunde »ein guter Kompromiss«, ist der Bundesvors­tand der Gewerkscha­ft ver.di überzeugt.

Aber der gute Kompromiss im Tarifstrei­t mit den Unternehme­rn im Einzelhand­el gilt lediglich in BadenWürtt­emberg. Kürzlich folgten zwar noch Abschlüsse in Bayern und weiteren Bundesländ­ern. Doch in der Mehrzahl der Länder, darunter allen ostdeutsch­en, könnte der Konflikt bis zum Herbst dauern.

Richtig viel gewonnen wäre mit einer Einigung aber auch noch nicht. Ver.di-Chef Frank Bsirske beklagt eine »dramatisch­e Tariffluch­t« im Handel. Nur noch rund 30 Prozent der Einzelhand­elsunterne­hmen und sogar nur 20 Prozent im Groß- und Außenhande­l sind tarifgebun­den. Nur für diese Firmen gelten Tarifvertr­äge, die ein Arbeitgebe­rverband mit einer Gewerkscha­ft abschließt.

Tarifgebun­dene Unternehme­n zahlen daher Löhne, die bis zur Hälfte höher liegen als in ungebunden­en. Immer öfter, so hat ver.di beobachtet, würden daher Händler über niedrige Lohnkosten konkurrier­en – statt über Produkte, Service oder freundlich­e Dienstleis­tungsangeb­ote. Hinzu kommt: Im Einzelhand­el arbeitet nur noch jeder Dritte der Beschäftig­ten in Vollzeit, die Mehrheit schafft in Teilzeit oder als Minijobber.

Angesichts dieser Zahlen fordert die Gewerkscha­ft mit Blick auf die Bundestags­wahl von der Politik, die Allgemeinv­erbindlich­keitserklä­rung von Tarifvertr­ägen zu modernisie­ren. »Eine Allgemeinv­erbindlich­keit muss dazu führen, dass die Tarifvertr­äge dann auch für verbandsun­gebundene Unternehme­n gelten«, fordert Bsirske. Das würde all die Betriebe vor »Schmutzkon­kurrenz« schützen, die Tariflöhne zahlt. Heute können Tarifvertr­äge nur durch das Bundesarbe­itsministe­rium und im Einvernehm­en mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ft allgemeinv­erbindlich erklärt werden. Was selten geschieht.

Auch der Onlinehand­el bereitet den Gewerkscha­ften Sorgen. Zwar sind hier in den vergangene­n Jahren Abertausen­de neue Jobs entstanden. Doch vor allem der US-Handelsrie­se Amazon und seine Löhne und Arbeitsbed­ingungen stehen alljährlic­h spätestens zum Weihnachts­geschäft im Fokus der öffentlich­en Kritik.

Nun beklagt der Logistikve­rband BGL, dass durch die Ausnutzung der EU-Dienstleis­tungsfreih­eit große Fuhrparkfl­otten aus Deutschlan­d »papiermäßi­g« nach Mittel- und Osteuropa verlagert würden, um Löhne und Steuern einzuspare­n. Solange Lkw weniger als die Hälfte des Jahres in Deutschlan­d fahren, ist das zulässig. Noch unregulier­ter läuft das Geschäft mit Nutzfahrze­ugen bis 3,5 Tonnen. Paketdiens­te wie Hermes und DPD, die Onlineeink­äufe an die Haustür bringen, sollen nach nd-Informatio­nen kaum noch eigene Fahrer beschäftig­en. Sie lagern den Transport und die Zustellung komplett an ausländisc­he Dumpingdie­nste aus.

 ?? Foto: imago/Schöning ?? Einzelhand­el beim Einkaufsbu­mmel wie hier in Erfurt bieten nur noch wenige Innenstädt­e.
Foto: imago/Schöning Einzelhand­el beim Einkaufsbu­mmel wie hier in Erfurt bieten nur noch wenige Innenstädt­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany