Medizinjargon ist behandelbar
Orangenhaut statt Dermopanniculosis deformans, Hexenschuss statt Lumbago – es geht oft sehr gut auf Deutsch
Für viele Leiden gibt es außer den lateinischen Begriffen auch deutsche Bezeichnungen, obwohl diese – wie beim Hausmädchenknie – auch manchmal veralten. Wissen Sie, was eine Legionella pneumophila ist, eine Hypothyreose, das Cushing-Syndrom, eine Bursitis praepatellaris? Sehr wahrscheinlich nicht. Vertraut ist Ihnen aber bestimmt das Kopfschütteln über die Sprache der Ärzte, die viele Patienten nicht verstehen – und vielleicht gar nicht verstehen sollen? Über den Medizinjargon wird so gern geklagt wie über das Fachchinesisch der Soziologen und Psychologen, über das gespreizte Verwaltungsdeutsch und die Spezialausdrücke der Juristen. Aber zu einem Spezialfach gehört nun mal die Spezialsprache, mit einem Fremdwort: die Terminologie.
Dabei geht es zumindest in der Medizin auch anders. Es sind sogar die Ärzte selbst, die gar nicht immer auf die Vokabeln der alten Griechen und Römer zurückgreifen, sondern auf sehr verständliches Einheimisches. Einige dieser Begriffe sind allgemein geläufig, darunter der Muskelkater, der Schüttelfrost, die Orangenhaut, die Hammerzehe, der Plattfuß. Doch es gibt von dieser Art noch viel mehr, wie wir erfahren werden.
Hier gleich etwas Aufklärung zum Zungenbrecher Bursitis praepatellaris: Dahinter steckt das sehr anschauliche Hausmädchenknie, das aber nicht nur die kaum noch anzutreffenden Hausmädchen haben können, sondern auch Dachdecker, Fliesenund Parkettleger. Das ist eine Entzündung (daher das -itis) des Schleimbeutels vor der Kniescheibe, oft ausgelöst durch das viel zu häufige Knien und die ständige Belastung. Sie kann sogar eine Berufskrankheit sein – und Anlass, derlei Tätigkeiten aufzugeben.
Von dieser Sorte kennt man viele weitere: die nicht seltene Mehlstauballergie der Bäcker und Konditoren, eine Folge des Mehls und anderer Backhilfsstoffe, die früh alternde Farmerhaut (auch Seemanns- und Landmannshaut genannt) durch zu viele Sonnenstrahlen, das Fleischverpackerasthma, die Melkerlähmung (eine Nervenschädigung), die Ahornrindenschäler-Krankheit (eine Allergie unter Holzarbeitern) und die Schuhmacherbrust. Sie wird hervorgerufen durch das oft nötige Andrücken des Schusterleistens an den Körper. Lungenfachärzte sehen manchmal Patienten mit einem Imkerasthma, das sich aus einer Allergie gegen Bienengift entwickeln kann.
Zu den Berufskrankheiten – für deren Klärung, für Entschädigungen und ebenso für die Vorsorge sind die Berufsgenossenschaften zuständig – zählt auch die Maurerkrätze. Hauptauslöser ist der Zement. Er bindet Feuchtigkeit, enthält einen hohen pH- Wert und wirkt durch seine körnige Struktur fast wie Schmirgelpapier. Dies kann leicht zu Hautentzündungen führen, im Extremfall sogar zu Verätzungen.
Nicht ganz so schlimm ist es mit dem Studentenellenbogen, auf »ge- bildet« Bursitis olecrani, eine Schleimbeutelentzündung ähnlich wie die schon genannte. Sie entsteht, richtig geraten, wenn kluge Köpfe beim Lesen die Arme zu lange aufstützen. Das müsste sich für die klugen Köpfe von morgen vermeiden lassen. Gegen solche Fehlbelastun- gen kämpft man mit Bandagen. Nun heißt es, Studierende würden heute gar nicht mehr so viele Bücher lesen, weil sie nur noch am PC sitzen oder auf ihr Smartphone fixiert sind.
Dann droht eben im Zeitalter der Online-Sucht durchs Tippen und Klicken ohne Ende ein Mausarm oder, wie vor allem Hautärzte beobachten, die Smartphone-Akne: wenn sich durch das dauernde Wischen auf dem verschmutzten Display Bakterien verbreiten und dadurch unerfreuliche Pickel und Ausschläge heranwachsen.
Ein nahezu populäres Wort für eine scheußliche Sache ist der Hexenschuss, auf lateinisch Lumbago. Wer den schon mal gehabt hat, weiß, wie schmerzhaft das die Lendengegend trifft und wie plötzlich es kommen kann, eben wie ein Schuss.
Da können schon mal Tränen fließen, wenn auch keine Krokodilstränen. Was es mit denen auf sich hat, ist noch nicht geklärt. Darüber rätselten schon die alten Römer. Krokodile sollen mit relativ viel Tränensekret Trauer über die Beute heucheln, die sie gerade gefressen haben. Ob’s stimmt?
Es kommt vor, dass der deutsche Name einer Krankheit heute viel seltener verwendet wird als der aus der Antike, selbst wenn er anschaulich ist.
Das gilt zum Beispiel für die Fallsucht, die Epilepsie. Der damit befasste Arzt Hansjörg Schneble hat sie die Krankheit der tausend Namen genannt – Begriffe wie Tanzwut, Alpschuss, Veitstanz, St. Valentinsplag und Morbus sacer (heilige Krankheit) standen nämlich ebenfalls für dieses Leiden. Dazu gibt es übrigens im baden-württembergischen KehlKork, begründet und geleitet durch den Fachmann Schneble, das weltweit einzige Epilepsie-Museum.
»Der hat die Motten« – das sagte man vor Jahrzehnten schon mal. Heute wissen viele nicht mehr, was damit gemeint war. Es waren die Tuberkelbazillen, also die Erreger einer weltweit verbreiteten Krankheit, der Lungentuberkulose. Die firmierte auch unter den Namen Weiße Pest und Schwindsucht. Die Zahl der Patienten ist bei uns geschwunden, aber ernstnehmen muss man die Auslöser der Tbc immer noch.
Dass die Legionärskrankheit nicht mit Fußballern zu tun hat, die ver- mutlich auch des Geldes wegen im Ausland spielen, wird bekannt sein. Der Name geht auf US-Legionäre zurück, die 1976 bei einem Veteranentreffen in einem Hotel in Philadelphia durch eine defekte Klimaanlage geschädigt wurden. Die pustete damals noch unbekannte Erreger der Art Legionalla pneumophila in die Luft; sie wurden erst zwei Jahre später identifiziert. Nicht weniger als 180 Personen holten sich damals im Hotel schwere Lungenentzündungen.
In der Welt des Sports gibt es besonders oft Anschauliches für Abscheuliches, man denke nur an den Tennisellenbogen, den Golfarm, die Achillessehne und den Reitknochen, eine unter Reitern gefürchtete Verknöcherung von Muskeln in den Oberschenkeln. Weder auf Reiter noch auf Musiker beschränkt ist der Musikantenknochen am Ellenbogen – ein Stoß kann dort richtig weh tun, wenn auch nur kurz.
Wem die Orangenhaut zu bieder ist – die nennt sich auch Dermopanniculosis deformans, und wem der Plattfuß zu platt daherkommt: Auf Lateinisch ist er als pes planus zu haben. Da sind Sie platt, oder?
Epilepsie wird auch Krankheit der tausend Namen genannt – für das Leiden stehen Begriffe wie Tanzwut, Alpschuss, Veitstanz oder Morbus sacer für »heilige Krankheit«.