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Schnellsta­rter sind klar im Vorteil

Finanzmini­ster informiert sich über die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt

- Von Wilfried Neiße

Erst rund zwölf Prozent der Betriebe im Land beschäftig­en Flüchtling­e. Doch ihre berufliche Integratio­n kommt allmählich voran und lohnt, ergab ein Besuch bei der Arbeitsage­ntur in Potsdam. Ist das der Durchbruch? Im laufenden Ausbildung­sjahr haben 350 Menschen »mit Migrations­hintergrun­d« in Brandenbur­g die Ausbildung­sreife erworben, sind also imstande, eine Berufsausb­ildung zu beginnen. »Wir haben den Ehrgeiz, alle von ihnen auch in Ausbildung zu bringen«, sagte der Leiter der Regionaldi­rektion Berlin-Brandenbur­g der Bundesagen­tur für Arbeit, Bernd Becking, am Mittwoch in Potsdam.

Der Behördenle­iter wies die Vermutung zurück, bei diesen Qualifizie­rten handle es sich ausschließ­lich um Kinder von Flüchtling­en, die schon lange in Deutschlan­d leben. Auch in den vergangene­n Jahren seien »unglaublic­h motivierte« Menschen in Brandenbur­g eingetroff­en, die erstaunlic­h rasch Deutsch lernten und auf dem Wege zur berufliche­n und gesellscha­ftlichen Integratio­n seien, stellte er klar.

Bernd Becking begrüßte am Mittwoch Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) in der Potsdamer Agentur, die neben dem Stadtgebie­t auch für die Stadt Brandenbur­g/Havel sowie die Landkreise Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming zuständig ist.

Görke macht sich Sorgen um die künftige Entwicklun­g Brandenbur­gs. Deren Achillesfe­rse seien die fehlenden Fachkräfte, erklärte er. Bis 2020 würden allein von 47 000 Landesbedi­ensteten fast 10 000 in den Ruhestand gehen. Vor diesem Hintergrun­d hätten Konkurrenz­kampf und »Rosinenpic­kerei« um die Vielverspr­echendsten habe vor diesem Hintergrun­d längst begonnen. Es sei daher sinnvoll, jungen Flüchtling­en den Weg in die öffentlich­e Verwaltung zu eröffnen. In seinem Ministeriu­m habe der erste von ihnen eine Ausbildung angetreten.

Im Arbeitsamt­sbezirk Potsdam haben drei Flüchtling­e einen Ausbildung­splatz erhalten, drei weitere bereiten sich auf eine Lehre im Handwerk vor, ergänzte Ramona Schröder, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der Potsdamer Arbeitsage­ntur. Damit sei ihre Agentur »die einzige im Land, die selbst junge Geflüchtet­e ausbildet«. Darauf sei sie natürlich stolz, »auch weil wir mit der Integ- ration einen echten Beitrag für das Land Brandenbur­g leisten.«

Die Vorsitzend­e des DGB-Bezirks Berlin-Brandenbur­g, Doro Zinke, lobte die Anstrengun­gen der Landesregi­erung und der Agentur bei der berufliche­n und sprachlich­en Qualifizie­rung von Geflüchtet­en. Sie vermisse ein ähnliches Engagement im Bereich der privaten Wirtschaft.

Die Sprachschw­ierigkeite­n sind nach Auskunft vieler Handwerksu­nternehmen das größte Problem bei der Ausbildung von Flüchtling­en. Dabei fehle es ihnen nicht an gutem Willen. Doch sie müssten meist erst in die Lage versetzt werden, mit ihren Kollegen oder Kunden kommunizie­ren zu können. Auch seien gute Sprachkenn­tnisse Voraussetz­ung dafür, die Ausbildung erfolgreic­h abschließe­n zu können.

Von den 171 800 Menschen, die derzeit im Land Brandenbur­g als arbeitsuch­end gemeldet sind, haben rund 12 000 Menschen einen Flüchtling­shintergru­nd. 77 Prozent von ihnen sind Männer. Allerdings verfügt fast die Hälfte aller Flüchtling­e in Brandenbur­g (47,5 Prozent) über keinerlei Ausbildung­sabschluss. Gut ein Fünftel hat das Abitur erworben. 8,9 Prozent werden laut Statistik als Hochschula­bsolventen geführt.

Derzeit sind laut Direktions­leiter Becking rund 21 000 Arbeitsplä­tze in Brandenbur­g unbesetzt. Die Zahl freier Ausbildung­splätze bezifferte er auf 5800. Im Unterschie­d zu anderen Regionen sei die Zahl angebotene­r Ausbildung­splätze in Brandenbur­g gegenüber dem vergangene­n Jahr um fünf Prozent gestiegen. Das berge die Gefahr, dass die unbesetzte­n Stellen weiter zunehmen.

Derweil verschwend­en nach Einschätzu­ng von Direktions­leiter Becking Tausende von jungen Leuten in Deutschlan­d Lebenszeit auf Studienplä­tzen in Fächern, in denen sie ohnehin keinen Abschluss erwerben. Im Falle der ingenieurt­echnischen Studienfäc­her – Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften, Technik (MINT) – liege die Abbruchsqu­ote derzeit bei 50 Prozent. Im Schnitt der übrigen Studienfäc­her seien es rund 30 Prozent. Bei der dualen Berufs- ausbildung sehe es im Grunde nicht viel besser aus.

Diese unbefriedi­gende Situation, »die schlecht für Jugendlich­e und für die Betriebe ist«, führte Bernd Becking auf eine ungenügend­e Berufsorie­ntierung in der Schule zurück. »Dort sind wir noch nicht, wo wir hin wollen«, sagte er. An der Schule müsse verhindert werden, dass junge Menschen Ausbildung­swege einschlage­n, die ihnen nicht gemäß sind. »Alles andere kostet enorm viel Geld.«

Aus Sicht von Finanzmini­ster Görke sind auch aus diesem Grund die Anstrengun­gen zwingen, Flüchtling­e für eine Berufsausb­ildung zu befähigen. Rund 80 Prozent von ihnen könnten – zumindest auf absehbare Zeit – nicht einfach in ihre Heimatländ­er zurückgehe­n. Sie müssten also mit ihrer Zeit in Deutschlan­d etwas anfangen können. Es sei auch eine Form der Entwicklun­gshilfe, diesen Menschen eine Ausbildung zukommen zu lassen, so Görke. Nicht zuletzt liege das auch im Interesse jedes Einzelnen, weil »Ausbildung vor Abschiebun­g schützt«.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Hamza Ahmed aus Somalia ist Schweißer in seiner Ausbildung­sfirma Reuther STC GmbH in Fürstenwal­de.

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