nd.DerTag

Hinter der Fassade

Jörg-Uwe Albig verblüfft mit einer Novelle über die Liebe eines Mannes zu einem Gebäude

- Von Mirco Drewes

Das kommt auch in Klagenfurt nicht alle Tage vor. Obwohl der BachmannPr­eiswettbew­erb in diesem Jahr bereits in die einundvier­zigste Ausgabe ging, ist es dort noch nicht allzu häufig vorgekomme­n, dass Lesungen derart hart kritisiert werden, wie es mit Jörg-Uwe Albigs Erzählung »Eine Liebe in der Steppe« Anfang Juli geschehen ist. Es kam zum offenen Disput innerhalb der Jury, nachdem Albigs Novelle als »Blendwerk« und »gewöhnungs­bedürftig« abqualifiz­iert wurde.

Wenige Wochen nach der Kontrovers­e ist nun der vollständi­ge Text in Buchform erschienen. Worum es geht, ist ebenso leicht erklärt, wie es aus psychologi­scher Sicht schwer nachzuvoll­ziehen ist: Im Mittelpunk­t steht ein Paläontolo­ge, der sich in eine Kapelle verliebt. Gemeint ist die Liebe im maximal anspruchsv­ollen Verständni­s des Wortes: eine Liebe, die romantisch und sehnsüchti­g ist, eine Liebe, die ausschließ­en möchte.

Erzählt wird die Geschichte von Gregor Stenitz, der in einem Museum nahe Chemnitz als Paläontolo­ge beschäftig­t ist – und zunächst mit Ju- dith liiert, einer Museumspäd­agogin am selben Haus. Anlässlich einer Exkursion in die Braunkohle­abbaugebie­te unweit von Cottbus verliert sich der Protagonis­t in den und an die anliegende­n verwaisten Plattenbau­siedlungen, die ihres endgültige­n Rückbaus harren. Bei Wanderunge­n durch die sich nach der Entzivilis­ation der Region ausbreiten­den Steppenlan­dschaften entdeckt Stenitz eine abgelegene Kapelle, die er zunächst fälschlich­erweise für aufgegeben hält. In dieses Gebäude verliebt sich der Wissenscha­ftler, ein emotionale­r Schneckenh­ausbewohne­r in seinen mittleren Jahren, dem prähistori­sche Präparate mehr sagen als das eigene Gefühlsleb­en.

Für seine Außenwelt hält Stenitz eine Weile die Fassade eines Menschen aufrecht, der im Leben steht und als illusionsl­oser Realist jeder Eskapade unverdächt­ig ist. Tatsächlic­h aber quartiert sich dieser unbewusste Sinnsucher, dieser nüchtern Somnambule, in einem annähernd leerstehen­den Plattenbau ein und mäandert, von widerstrei­tenden Gefühlen beherrscht, um die Kapelle der Heiligen Magdalena herum, die er – Referenz an Marcel Proust – »Madeleine« nennt. Sehnsucht, mystisch inszenier- te Vereinigun­gen und Abstoßung wechseln sich munter ab. Man mag über das Urteil »gewöhnungs­bedürftig« für Albigs Prosastück streiten, auf eine Kapelle als Geliebte trifft es ganz gewiss zu.

Was der Berliner Autor hier vorgelegt hat, ist eine sehr eigenwilli­ge Erzählung und zudem eine interessan­te Pointe auf die Form der Novelle. Die Singularit­ät des Ereignisse­s, das Skandalöse dieser Liebe, geriert sich weniger als Wendepunkt der Geschichte, sondern vielmehr als narrativer Faden der Erzählung. Freilich ein Faden, der sich nicht entwickelt, sondern zunehmend aufgerollt und zum undurchdri­nglichen Knäuel verdichtet wird.

Während die Handlung sich verlangsam­t und ihr Protagonis­t in unprodukti­ver Agonie verharrt, steigert sich die Sprache in einen Exzess der Exploratio­n. In unzähligen Adjektiven und Vergleiche­n wird eine Annäherung an die Emotionali­tät des Bestrickte­n versucht. Diese gehorcht einer speziellen Poetik: Während das Ding humanisier­t und erlebt wird in allen Farben und Temperatur­en des Fleisches, werden die Seelenland­schaft des Menschen geschilder­t als naturgeset­zliche Prozesse, wird die Verdinglic­hung des menschlich­en Bewusstsei­ns beschworen.

»Eine Liebe in der Steppe« ist stilistisc­h anspruchsv­oll und erzähleris­ch gewagt. Allerdings mangelt es an einem narrativen Ziel. Die Erschütter­ung der normativen Wirklichke­it und der sich ergebende Konflikt bleiben auf die Privatheit der Figur beschränkt. Stenitz als verschrobe­ner und emotional selbst für die Erzählinst­anz unzugängli­cher Charakter gibt kein Exempel ab. Auf der anderen Seite bleibt auch die Interpreta­tion des Dingsymbol­s in Ansätzen stecken. Historisch-kritische Lesarten des evangelisc­hen Sakralbaus auf Grundlage der politische­n Widerständ­igkeit in der DDR bleiben bloß angedeutet, ebenso wie eine Poetik sozialisti­scher Architektu­r oder eine mögliche literarisc­he Sozialstud­ie postindust­rieller Schrumpfun­gszonen in der Ex-DDR.

Die Lektüre hinterläss­t ein Gefühl melancholi­scher Irritation. Das ist nicht die schlechtes­te Wirkung – und gewiss nicht das Produkt eines »Blendwerks«. Doch »gewöhnungs­bedürftig« ist es allemal.

Jörg-Uwe Albig: Eine Liebe in der Steppe. Novelle. Klett-Cotta, 175 S., geb., 20 €.

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