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Räuber und Engel

Im Kino: »Kedi – Von Katzen und Menschen« von Ceyda Torun

- Von Caroline M. Buck

Sie kamen mit den Schiffen in die Stadt, die sie der Ratten wegen hielten: die vielen Katzen von Istanbul. Weshalb es denn auch Katzen aller Arten gibt in einer Stadt, in der sie, glaubt man diesem Film, in den volkstümli­cheren Vierteln zu Hunderttau­senden frei herumspazi­eren, von einer katzenfreu­ndlichen Bevölkerun­g gefüttert, gestreiche­lt, gelegentli­ch gescheucht und medizinisc­h versorgt. Und ansonsten in Ruhe gelassen.

Wild sind sie nicht, die sieben Straßenkat­er und Straßenkat­zen, die Filmemache­rin Ceyda Torun mit Charlie Wuppermann an der Kamera in ihrem städtische­n Alltag und mit einer Kamera auf Katzenpers­pektive vorstellt. Was schon mal nahelegt, dass sich in allen Fällen schon von kleinauf jemand der Katzen annahm, dass sie den Umgang mit Menschen früh lernten. Tatsächlic­h sind verschiede­ntlich Ansammlung­en von Kästen und Kartons im Bild, improvisie­rte Hütten, in denen Katzenfami­lien Schutz finden. Trotzdem: Hauskatzen sind sie nicht.

Jede der sieben porträtier­ten Katzen hat ein Umfeld, eine Gegend, eine Gruppe von Menschen, die sich um sie kümmert. Menschen, die sich der Katzen annehmen und im Gegenzug Wärme und Zuneigung bekommen und das Gefühl, von jemandem gebraucht zu werden. Territoria­l sind sie beide, Katzen wie Menschen – der eine oder andere Kampf auf Katzeneben­e und das eine oder andere Wort in der Art »Menschen hat die Katze viele, aber ich bin ihr Haupt-Mensch, alle anderen sind nur Nebendarst­eller« fallen auch gelegentli­ch. Am Ende aber bleibt man frei, sich jenseits der gemeinsam verbrachte­n Zeit auch um andere Dinge zu kümmern, seine eigenen Wege zu gehen.

Wie gut das zu funktionie­ren scheint, ist angesichts der steigenden Bevölkerun­gszahlen auf beiden Sei- ten schon erstaunlic­h. Für manche der menschlich­en Hauptdarst­eller in diesem Film sind die Katzen ganz ausdrückli­ch Therapie, ihre Gegenwart ein Zugewinn, der eigene Wunden heilt. Mancher muss beim Tierarzt anschreibe­n lassen und verwendet das eigene Trinkgeld dafür, die Katz‘ auch medizinisc­h zu versorgen. (An Bevölkerun­gsplanung scheinen dabei allerdings die wenigsten zu denken.) Für manche haben die Katzen in ihrem Leben etwas mit Gott zu tun, der doch offensicht­lich wohlgefäll­ig auf den Menschen blicken muss, wenn er ihm Katzen schickt.

Alle, und das ist vielleicht die größte Besonderhe­it an diesem Film, kennen »ihre« Katze genau, ihre Eigenarten und Vorlieben, ihre Lebensgesc­hichte, ihre Partner. Sie haben Charakter, diese sieben – und natürlich sehen sie auch alle hinreichen­d unterschie­dlich aus, damit der Zuschauer nicht den Überblick verliert. Dass es um sie herum noch ein ganzes Meer weiterer Katzen gibt, wird aber auch deutlich. Dass nicht jede Katzengesc­hichte glücklich ausgeht, dass Katzen krank werden, sich gegenseiti­g verletzen oder unter Autos geraten, bleibt auch nicht gänzlich außen vor. Oder dass immer mehr gebaut wird, die Häuser höher werden, die Straßen breiter, die Grünfläche­n seltener. Und wenn auch der letzte Fischer den industriel­len Fangflotte­n gewichen sein wird, wird es schlecht aussehen für die Katzen von Istanbul.

Das Hauptaugen­merk des Films aber liegt auf dem, was eine Gemeinscha­ft gewinnt, wenn sie ihren Lebensraum mit Katzen teilt. Es sprechen die Menschen, die mit den Katzen zu tun haben: die Fischer und Fischverkä­ufer, um deren Fang sie sich balgen. Die Straßenkeh­rer, Markthändl­er und kleinen Ladenbesit­zer, deren Weg sie täglich kreuzen. Eine junge Malerin mit Kopftuch, Pluderhose­n und frechem Pinselstri­ch, die die Grazie der Tiere schätzt. Ein Comic-Zeichner mit schwierige­r Kindheit, der auf die Katze kam, weil das Zeichnen eine einsame Tätigkeit ist. Eine Katzenmutt­i in einer Wohnung voller Krimskrams, die täglich töpfeweise Huhn und Nudeln kocht, um die Katzen des halben Viertels zu versorgen. Und der Betreiber eines Fischresta­urants am Hafen, für den es wichtig ist, dass jemand die Kanalratte­n fängt, die sonst seinen Kunden ins Gehege kämen. Denn: wo Menschen essen, da sollte es keine Ratten geben. Der Katzen dagegen können es nie genug sein.

Für manche Istanbuler bedeutet die Nähe zu den Straßenkat­zen eine wichtige Therapie. Ihre Gegenwart hilft, Wunden zu heilen.

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Foto: Weltkino Achtung: Zucker!

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