Fortschritte gibt es nur auf Papier
Die Wahlprogramme der Parteien zum Thema Entwicklungspolitik
Entwicklungspolitik rückt derzeit durch Terrorgefahren und Flüchtlingsschicksale im politischen Diskurs relativ nach vorne. Die progressiven Ansätze auf dem Papier halten der Realität nicht Stand. »Mit Entwicklungspolitik kann man keine Wahlen gewinnen.« Dieser lakonische Satz ist mehr als zehn Jahre alt und stammt vom jetzigen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der damals noch Innenminister war. Entwicklungspolitik hat selten politische Konjunktur und das, obwohl die dort verhandelten Themen laut Umfragen für viele Wählerinnen und Wähler von hoher Bedeutung sind: die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt, die Bewältigung des Klimawandels, der Schutz der Menschenrechte, Antworten auf die soziale und ökologische Frage.
Aufgewertet wird die Entwicklungspolitik in Krisenzeiten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA fanden die Entwicklungspolitiker in den Bundestagsfraktionen weit mehr Gehör als üblich: Wie kann eine gerechtere Globalisierung dazu beitragen, dass der Sumpf ausgetrocknet wird, auf dem Terror gedeiht? Und im Zuge der rund eine Million Menschen, die ab dem Herbst 2015 in Deutschland Zuflucht such- ten, wurde erneut die Frage aufgeworfen, inwiefern Entwicklungspolitik für eine gerechtere Welt für weniger Fluchtursachen sorgen könnte.
Ende 2001 titulierte selbst die Welthandelsorganisation (WTO) ihre startenden Verhandlungen als »Entwicklungsrunde«, die die Globalisierung zum Nutzen aller gestalten wollte. Die Doha Development Agenda sollte bis Ende 2004 abgeschlossen sein – sie ist es bis heute nicht.
Was für die WTO gilt, gilt auch für die entwicklungspolitischen Programme der Parteien: wenig Bewegung. Neu im Programm bei CDU/CSU ist: »Die Chancen der Digitalisierung werden wir auch in der Entwicklungszusammenarbeit nutzen. Digitale Vernetzung erlaubt vorhersehbare und deshalb günstige Lösungen für die Ressourcenverteilung und leistet so einen Beitrag zur Vermeidung von Hunger und Epidemien.« Neu im Programm, wenngleich bekannt, sind der von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ins Spiel gebrachte Marshallplan für Afrika sowie das Übereinkommen »Compact with Africa« aus dem Finanzministerium von Schäuble, beides Themen, die rund um den G20Gipfel in Hamburg kurz in den Vordergrund rückten. Beide Initiativen sollen in Afrika per privater Investitionsförderung zur Entwicklung beitragen, um Fluchtanreize zu senken, was die grundlegende Richtschnur des Programms vorgibt. »Wir bekämpfen Fluchtursachen und tragen durch Entwicklungspolitik und zivile Krisenprävention dazu bei, dass Menschen in ihrer Heimat Zukunfts- und Bleibeperspektiven haben.«
Die Aufwertung der Entwicklungspolitik bei CDU/CSU lässt sich auch daran erkennen, dass die darin fließenden Mittel »parallel zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes« erhöht werden sollen, »bis die ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP erreicht ist.« Damit wird auch klar, dass Entwicklungspolitik als Teil einer »Verteidigungsstrategie« gegen Flüchtlinge gedacht ist. Die 0,7-Prozent-Marke entstammt einer Selbstverpflichtung im Rahmen der UNO von 1970. Deutschland hat sie 2016 erstmals erreicht, unter Anrechnung der im Inland angefallenen Kosten für die Integration der Geflüchteten, ohne Anrechnung der Flüchtlingskosten hätte die Quote bei lediglich 0,52 Prozent gelegen.
Nicht ganz bis zur Selbstverpflichtung aus dem Jahre 1970 greift die SPD in ihren entwicklungs- und migrationspolitischen Programmkapiteln zurück, aber auf die Nord-Süd-Kom- mission von 1977, deren Vorsitz Willy Brandt innehatte. Im 1980 erschienenen ersten Bericht »Das Überleben sichern« dieser Kommission verwendete der erste SPD-Bundeskanzler zum ersten Mal den Begriff »Globalisierung«: »Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen – Krieg, Chaos, Selbstzerstörung – erfordert eine Art ›Weltinnenpolitik‹, die über den Horizont von Kirchtürmen, aber auch nationale Grenzen weit hinausreicht.« Aus dieser Weitsicht ist nicht viel geworden, aber die SPD hält an ihrem Leitbild einer globalen Strukturpolitik fest, die die internationalen Rahmenbedingungen entwicklungsfreundlich und nachhaltig gestaltet. »Die reichen Länder haben eine besondere Verantwortung, um eine sozial-ökologische Transformation voranzubringen – in ihren eigenen Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftssystemen, in der internationalen Politik und zusammen mit den Ländern des globalen Südens. Daher setzen wir uns für eine ambitionierte Verwirklichung der Agenda 2030 ein.« In der Agenda 2030 haben sich die UNO-Mitgliedsstaaten auf 17 nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDG) und 169 Unterziele geeinigt.
Die SPD widmet sich bei Weitem am Ausführlichsten den Themen Entwicklungs- und Migrationspolitik. Explizit spricht sich die SPD für ein Einwanderungsgesetz zur Steuerung der Migration aus, nach dem kanadischen Modell, sprich für ein an der Nachfrage nach Fachkräften orientiertem Punktesystem, das den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland steuern soll, um »im weltweiten Wettbewerb um die klügsten und innovativsten Köpfe an der Spitze zu stehen.«
Weniger zweck- und weit mehr an Idealen orientiert präsentiert sich die Linkspartei. »DIE LINKE kämpft für eine solidarische, gerechte Weltwirtschaftsordnung, gegen Krieg und Rüstungsexporte, gegen Landraub, für faire Produktionsverhältnisse, für Demokratie und Menschenrechte, weltweit. Geflüchtete sollen das Recht auf soziale, kulturelle und demokratische Teilhabe in unserem Land haben.«
Dass diese wie auch die UN-Entwicklungsziele nicht »ohne einen politischen und wirtschaftlichen Richtungswechsel« zu erreichen sind, ist der Linkspartei klar, weswegen sie sich auch »für eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit einsetzt«, und zwar auf »die Interessen und Bedürfnisse der unterstützten Länder«.
Für die Grünen steht »eine stärkere Europäisierung der Außen-, Entwicklungs-, Friedens- und Sicherheitspolitik« im Vordergrund, um den Herausforderungen von Trump bis Putin zu begegnen. Fairer Handel und Schutz für die Geflüchteten auf der Basis der universellen Menschenrechte sind weitere Schwerpunkte.
Die Universalität der Menschenrechte steht auch für die FDP weit oben. In der Entwicklungspolitik sollen »LGBTI-Projekte weltweit gefördert werden und bei Strafverschärfungen gegen LGBTI die Entwicklungszusammenarbeit« gekürzt werden. (LGBTI: englische Abkürzung für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell/Transgender und Intersexuell) Insgesamt soll das Effizienz-Mantra »Qualität statt Quantität der eingesetzten Mittel« in der Entwicklungszusammenarbeit belebt werden.
Selbst im AfD-Programm findet sich eine richtige Einsicht: »Die Entwicklungsländer müssen gerechter in das internationale Handelssystem einbezogen werden mit Erleichterungen für deren Ausfuhren in die Industrieländer und einem angemessenen Schutz für den Aufbau der eigenen Wirtschaftsentwicklung.« Die Doha-Runde der WTO lässt grüßen.