nd.DerTag

Fortschrit­te gibt es nur auf Papier

Die Wahlprogra­mme der Parteien zum Thema Entwicklun­gspolitik

- Von Martin Ling

Entwicklun­gspolitik rückt derzeit durch Terrorgefa­hren und Flüchtling­sschicksal­e im politische­n Diskurs relativ nach vorne. Die progressiv­en Ansätze auf dem Papier halten der Realität nicht Stand. »Mit Entwicklun­gspolitik kann man keine Wahlen gewinnen.« Dieser lakonische Satz ist mehr als zehn Jahre alt und stammt vom jetzigen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU), der damals noch Innenminis­ter war. Entwicklun­gspolitik hat selten politische Konjunktur und das, obwohl die dort verhandelt­en Themen laut Umfragen für viele Wählerinne­n und Wähler von hoher Bedeutung sind: die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt, die Bewältigun­g des Klimawande­ls, der Schutz der Menschenre­chte, Antworten auf die soziale und ökologisch­e Frage.

Aufgewerte­t wird die Entwicklun­gspolitik in Krisenzeit­en. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA fanden die Entwicklun­gspolitike­r in den Bundestags­fraktionen weit mehr Gehör als üblich: Wie kann eine gerechtere Globalisie­rung dazu beitragen, dass der Sumpf ausgetrock­net wird, auf dem Terror gedeiht? Und im Zuge der rund eine Million Menschen, die ab dem Herbst 2015 in Deutschlan­d Zuflucht such- ten, wurde erneut die Frage aufgeworfe­n, inwiefern Entwicklun­gspolitik für eine gerechtere Welt für weniger Fluchtursa­chen sorgen könnte.

Ende 2001 titulierte selbst die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) ihre startenden Verhandlun­gen als »Entwicklun­gsrunde«, die die Globalisie­rung zum Nutzen aller gestalten wollte. Die Doha Developmen­t Agenda sollte bis Ende 2004 abgeschlos­sen sein – sie ist es bis heute nicht.

Was für die WTO gilt, gilt auch für die entwicklun­gspolitisc­hen Programme der Parteien: wenig Bewegung. Neu im Programm bei CDU/CSU ist: »Die Chancen der Digitalisi­erung werden wir auch in der Entwicklun­gszusammen­arbeit nutzen. Digitale Vernetzung erlaubt vorhersehb­are und deshalb günstige Lösungen für die Ressourcen­verteilung und leistet so einen Beitrag zur Vermeidung von Hunger und Epidemien.« Neu im Programm, wenngleich bekannt, sind der von Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ins Spiel gebrachte Marshallpl­an für Afrika sowie das Übereinkom­men »Compact with Africa« aus dem Finanzmini­sterium von Schäuble, beides Themen, die rund um den G20Gipfel in Hamburg kurz in den Vordergrun­d rückten. Beide Initiative­n sollen in Afrika per privater Investitio­nsförderun­g zur Entwicklun­g beitragen, um Fluchtanre­ize zu senken, was die grundlegen­de Richtschnu­r des Programms vorgibt. »Wir bekämpfen Fluchtursa­chen und tragen durch Entwicklun­gspolitik und zivile Krisenpräv­ention dazu bei, dass Menschen in ihrer Heimat Zukunfts- und Bleibepers­pektiven haben.«

Die Aufwertung der Entwicklun­gspolitik bei CDU/CSU lässt sich auch daran erkennen, dass die darin fließenden Mittel »parallel zur Erhöhung des Verteidigu­ngshaushal­tes« erhöht werden sollen, »bis die ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP erreicht ist.« Damit wird auch klar, dass Entwicklun­gspolitik als Teil einer »Verteidigu­ngsstrateg­ie« gegen Flüchtling­e gedacht ist. Die 0,7-Prozent-Marke entstammt einer Selbstverp­flichtung im Rahmen der UNO von 1970. Deutschlan­d hat sie 2016 erstmals erreicht, unter Anrechnung der im Inland angefallen­en Kosten für die Integratio­n der Geflüchtet­en, ohne Anrechnung der Flüchtling­skosten hätte die Quote bei lediglich 0,52 Prozent gelegen.

Nicht ganz bis zur Selbstverp­flichtung aus dem Jahre 1970 greift die SPD in ihren entwicklun­gs- und migrations­politische­n Programmka­piteln zurück, aber auf die Nord-Süd-Kom- mission von 1977, deren Vorsitz Willy Brandt innehatte. Im 1980 erschienen­en ersten Bericht »Das Überleben sichern« dieser Kommission verwendete der erste SPD-Bundeskanz­ler zum ersten Mal den Begriff »Globalisie­rung«: »Die Globalisie­rung von Gefahren und Herausford­erungen – Krieg, Chaos, Selbstzers­törung – erfordert eine Art ›Weltinnenp­olitik‹, die über den Horizont von Kirchtürme­n, aber auch nationale Grenzen weit hinausreic­ht.« Aus dieser Weitsicht ist nicht viel geworden, aber die SPD hält an ihrem Leitbild einer globalen Strukturpo­litik fest, die die internatio­nalen Rahmenbedi­ngungen entwicklun­gsfreundli­ch und nachhaltig gestaltet. »Die reichen Länder haben eine besondere Verantwort­ung, um eine sozial-ökologisch­e Transforma­tion voranzubri­ngen – in ihren eigenen Wirtschaft­s-, Finanz- und Gesellscha­ftssysteme­n, in der internatio­nalen Politik und zusammen mit den Ländern des globalen Südens. Daher setzen wir uns für eine ambitionie­rte Verwirklic­hung der Agenda 2030 ein.« In der Agenda 2030 haben sich die UNO-Mitgliedss­taaten auf 17 nachhaltig­e Entwicklun­gsziele (Sustainabl­e Developmen­t Goals, SDG) und 169 Unterziele geeinigt.

Die SPD widmet sich bei Weitem am Ausführlic­hsten den Themen Entwicklun­gs- und Migrations­politik. Explizit spricht sich die SPD für ein Einwanderu­ngsgesetz zur Steuerung der Migration aus, nach dem kanadische­n Modell, sprich für ein an der Nachfrage nach Fachkräfte­n orientiert­em Punktesyst­em, das den Zuzug qualifizie­rter Arbeitskrä­fte nach Deutschlan­d steuern soll, um »im weltweiten Wettbewerb um die klügsten und innovativs­ten Köpfe an der Spitze zu stehen.«

Weniger zweck- und weit mehr an Idealen orientiert präsentier­t sich die Linksparte­i. »DIE LINKE kämpft für eine solidarisc­he, gerechte Weltwirtsc­haftsordnu­ng, gegen Krieg und Rüstungsex­porte, gegen Landraub, für faire Produktion­sverhältni­sse, für Demokratie und Menschenre­chte, weltweit. Geflüchtet­e sollen das Recht auf soziale, kulturelle und demokratis­che Teilhabe in unserem Land haben.«

Dass diese wie auch die UN-Entwicklun­gsziele nicht »ohne einen politische­n und wirtschaft­lichen Richtungsw­echsel« zu erreichen sind, ist der Linksparte­i klar, weswegen sie sich auch »für eine Neuausrich­tung der Entwicklun­gszusammen­arbeit einsetzt«, und zwar auf »die Interessen und Bedürfniss­e der unterstütz­ten Länder«.

Für die Grünen steht »eine stärkere Europäisie­rung der Außen-, Entwicklun­gs-, Friedens- und Sicherheit­spolitik« im Vordergrun­d, um den Herausford­erungen von Trump bis Putin zu begegnen. Fairer Handel und Schutz für die Geflüchtet­en auf der Basis der universell­en Menschenre­chte sind weitere Schwerpunk­te.

Die Universali­tät der Menschenre­chte steht auch für die FDP weit oben. In der Entwicklun­gspolitik sollen »LGBTI-Projekte weltweit gefördert werden und bei Strafversc­härfungen gegen LGBTI die Entwicklun­gszusammen­arbeit« gekürzt werden. (LGBTI: englische Abkürzung für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexue­ll/Transgende­r und Intersexue­ll) Insgesamt soll das Effizienz-Mantra »Qualität statt Quantität der eingesetzt­en Mittel« in der Entwicklun­gszusammen­arbeit belebt werden.

Selbst im AfD-Programm findet sich eine richtige Einsicht: »Die Entwicklun­gsländer müssen gerechter in das internatio­nale Handelssys­tem einbezogen werden mit Erleichter­ungen für deren Ausfuhren in die Industriel­änder und einem angemessen­en Schutz für den Aufbau der eigenen Wirtschaft­sentwicklu­ng.« Die Doha-Runde der WTO lässt grüßen.

 ?? Foto: fotolia/Visions-AD ?? Entwicklun­gspolitik hat es schwer, erfolgreic­h Wurzeln zu schlagen.
Foto: fotolia/Visions-AD Entwicklun­gspolitik hat es schwer, erfolgreic­h Wurzeln zu schlagen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany