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Geheimagen­ten aus dem Boom-Staat

Der Fall des mutmaßlich entführten Trinh Xuan Thanh könnte Auswirkung­en auf die ökonomisch­en Beziehunge­n Deutschlan­ds zu Vietnam haben

- Von Frederic Spohr, Bangkok

Die Entführung des Ex-Funktionär­s und Geschäftsm­anns Trinh Xuan Thanh erschütter­t die deutsch-vietnamesi­schen Beziehunge­n. Der Fall könnte die Euphorie der deutschen Wirtschaft für das Land bremsen. Wenn die Zeugenauss­agen zutreffen, dann spielte sich am 23. Juli im Berliner Tiergarten eine Szene wie aus einem Agentenkri­mi ab: Aus einem Fahrzeug mit tschechisc­hen Kennzeiche­n stürmten bewaffnete Männer, schleppten zwei Passanten in einen Wagen und fuhren davon.

Laut der Bundesregi­erung besteht kein Zweifel, dass es sich bei einem der Entführten um den vietnamesi­schen Ex-Funktionär und Geschäftsm­ann Trinh Xuan Thanh handelt, der in Deutschlan­d Asyl beantragt hat – und, dass die Entführer im Auftrag des vietnamesi­schen Geheimdien­stes handelten. Die Version der Vietnamese­n ist eine andere: Demnach habe sich Trinh freiwillig in Hanoi gestellt. Fest steht, dass die dortigen Behörden ihm nun wegen Verdachts auf massive Wirtschaft­sdelikte den Prozess machen.

In Berlin ist man fassungslo­s über dieses Vorgehen. Vergangene Woche wies die Bundesregi­erung als erste Konsequenz einen Diplomaten aus. Doch das könnte nur der erste Schritt sein. »Wir behalten uns vor, gegebenenf­alls weitere Konsequenz­en auf politische­r, wirtschaft­licher sowie entwicklun­gspolitisc­her Ebene zu ziehen«, so das Auswärtige Amt.

Harte Worte gegenüber einem Land, das Deutschlan­d eigentlich als einen »strategisc­hen Partner« bezeichnet und seit 2015 mit 220 Milli- onen Euro Entwicklun­gshilfe unterstütz­t hat. 2016 ist das Handelsvol­umen zwischen beiden Staaten um mehr als 20 Prozent auf über zehn Milliarden US-Dollar angestiege­n. Bis 2020 soll es sich laut einer Vereinbaru­ng beider Länder verdoppeln.

Die Schockwell­en erreichen auch die deutsche Wirtschaft in Vietnam. Sollte sich die Entführung tatsächlic­h ereignet haben, sei massiv Vertrauen zerstört worden, sagt Marko Walde, Chef der Deutschen Auslandsha­ndelskamme­r (AHK) in Vietnam. Zwar seien die wirtschaft­lichen Investitio­nsbedingun­gen stabil. »Der Vorfall zeigt aber, dass es augenschei­nlich Konstellat­ionen gibt, bei denen sich Teile der staatliche­n Verwaltung über rechtliche und internatio­nal anerkannte Standards hinwegsetz­en«, kritisiert er. Das sei beunruhige­nd.

Die Festnahme wirft ein Schlaglich­t darauf, mit was für einem kompromiss­losen Regime Deutschlan­d Geschäfte macht. Trinh ist nicht die einzige Festnahme, die in diesen Tagen in Vietnam Schlagzeil­en macht. Erst am Wochenende haben Polizisten vier Aktivisten festgenomm­en, denen die Planung eines Staatsstre­iches zur Last gelegt wird. Trinh soll als Chef des staatliche­n Unternehme­ns Petrovietn­am Constructi­on Cooperatio­n mehr als 100 Millionen Euro veruntreut haben. Angesichts der grassieren­den Korruption in den großen Staatsbetr­ieben überrascht das nicht.

Die Bundesregi­erung fordert, dass Trinh nach Deutschlan­d zurückgebr­acht wird, damit sein Asylverfah­ren weiter geprüft werden kann. Doch eine Auslieferu­ng gilt als unwahrsche­inlich: Die staatliche­n Medien in Vietnam feiern die Festnahme als Schlag gegen Korruption. In Vietnam droht ihm die Todesstraf­e.

Damit könnte ein diplomatis­ches Scharmütze­l beginnen, das die wirtschaft­liche Zusammenar­beit zumindest abbremsen könnte. Neben Singapur ist Vietnam das einzige Land der südostasia­tischen Staatengem­einschaft, mit dem die EU bereits ein Freihandel­sabkommen vereinbart hat. Der Bundestag muss den Vertrag aber noch ratifizier­en.

Neben Singapur ist Vietnam das einzige Land der ASEAN-Staaten, mit dem die EU ein Freihandel­sabkommen vereinbart hat.

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