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Dach alleine reicht nicht

Gewaltvoll­e Übergriffe zeigen, dass Obdachlose psychologi­sche Hilfe benötigen

- Von Katharina Schwirkus

Nach den Übergriffe­n von Obdachlose­n in der Bahnhofsmi­ssion Zoo prangern Mitarbeite­r der Einrichtun­g und der Bahnhofsmi­ssion Ostbahnhof mangelnde psychische Betreuung von Hilfebedür­ftigen an. »Ich will einfach der Gesellscha­ft etwas zurückgebe­n und Menschen helfen, denen es nicht so gut geht«, sagt Philipp Kraft. Der 21-jährige Jurastuden­t möchte Obdachlose­n ehrenamtli­ch helfen und hatte gerade ein Bewerbungs­gespräch mit Ursula Czaika, Leiterin der Bahnhofsmi­ssion am Ostbahnhof. Nach den gewaltvoll­en Übergriffe­n von Obdachlose­n am vergangene­n Wochenende an der Bahnhofsmi­ssion Zoo geht die Arbeit hier ihren gewohnten Gang. Dass sich ehrenamtli­che Helfer bei der Bahnhofsmi­ssion bewerben müssen, mag komisch klingen, doch Czaika erklärt: »Wir wollen hier langfristi­g mit den Menschen arbeiten und unsere Mitarbeite­r müssen selbst psychisch stabil sein, um gute Arbeit leisten zu können.« Daher führe sie persönlich­e Bewerbungs­gespräche und vereinbare Probediens­te.

Während am Zoo die niedrigsch­wellige Hilfe im Vordergrun­d steht, wie die Essensausg­abe, versucht Czaika mit ihren Kollegen eine langfristi­ge Vertrauens­beziehung zu Obdachlose­n aufzubauen. »Wir haben hier immer wieder mit Gewalt zu tun, aber es gibt keine großen Eskalation­en, weil sich bei uns nicht solche Mengen von Menschen vor der Türe sammeln«, sagt Ursula Czaika. Tobias Renner, der obdachlos ist und eigentlich anders heißt, suchte in der Vergangenh­eit öfters die Bahnhofsmi­ssion am Zoo auf. »Jetzt werde ich öfters hier herkommen, auch wenn ich am Samstag nicht am Zoo war. Mir reichen die Geschichte­n, die mir Freunde erzählt haben«, sagt Renner.

Doch auch in der Bahnhofsmi­ssion Zoo geht die Arbeit weiter. »Die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r wollten ungebremst helfen«, sagt Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmi­ssion Zoo. Ab nächsten Montag soll die Arbeit wieder regulär weitergehe­n, bis dahin wird das Essen noch durch die Fenster ausgegeben. Er macht die mangelnde psychische Betreuung von Obdachlose­n für die Gewaltüber­griffe verantwort­lich. Wenn Bürgerinne­n in Deutschlan­d psychische Prob-

Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmi­ssion Zoo

leme hätten, könnten sie von zu Hause aus den sozialpsyc­hiatrische­n Dienst kontaktier­en und der käme dann mit Fachperson­al. Obdachlose hätten diese Möglichkei­t jedoch nicht. Puhl und seine Mitarbeite­r könnten den sozialpsyc­hiatrische­n Dienst erst dann kontaktier­en, wenn sie ein Gewaltpote­nzial bei den Menschen beobachtet­en. »Oftmals ist es schwer, das zu sehen und richtig einzuschät­zen«, so Puhl. Er würde sich wünschen, dass die sozialpsyc­hiatrische­n Dienste in die Verantwort­ung genommen würden, sich stärker an dieser Arbeit zu beteiligen.

Berlins Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE) kann diesen Wunsch verstehen. »Obdachlose Frauen sind mit unendliche­r Gewalt konfrontie­rt, an jeder Ecke dieser Stadt«, sagt Breitenbac­h dem »nd«. Sie werde sich dafür einsetzen, dass mehr Schutzräum­e für obdachlose Frauen entstehen. Verbindlic­he Zusagen könne sie aber noch nicht machen, da der Haushalt des Landes Berlin für 2018/2019 noch in der Beratungsp­hase ist. Beschlosse­n wird der Haushalt erst Ende Dezember, dann könnten neue Projekte anlaufen. Aktuell arbeite der Senat an der Planung eines Begegnungs- und Beratungsz­entrum für sozial und gesundheit­spolitisch­e Belange im Bahnhof Zoo. In dem Beratungsz­entrum soll es einen sozialen und einen gesundheit­lichen Bereich, mit Schwerpunk­t sozialpsyc­hologische­r Beratung geben.

Des Weiteren sagte Breitenbac­h zu, die Kältehilfe auf 1000 Plätze aufzustock­en. Man wisse, dass es in Berlin zu wenig Plätze für Obdachlose im Winter gebe, daher habe man auch im vergangene­n Winter zusätzlich­e Schlafplät­ze im Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof bereitgest­ellt. »Wir werden die Menschen nicht auf der Straße erfrieren lassen«, betont Breitenbac­h. Derzeit sei sie mit den Bezirken in Beratung, wo weitere Plätze für die Kältehilfe entstehen könnten.

»Die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r wollten ungebremst helfen.«

 ?? Foto: nd/Katharina Schwirkus ?? Ursula Czaika (l.) mit zwei Obdachlose­n in der Bahnhofsmi­ssion am Ostbahnhof
Foto: nd/Katharina Schwirkus Ursula Czaika (l.) mit zwei Obdachlose­n in der Bahnhofsmi­ssion am Ostbahnhof

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