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Flussauen wachsen nur im Schneckent­empo

Im Lödderitze­r Forst in Sachsen-Anhalt erhielt die Elbe viel Platz. Andernorts werden Deiche nur zögerlich verlegt

- Von Hendrik Lasch, Diebzig

Nach der Flut 2002 war klar: Um Hochwasser aufnehmen zu können, brauchen Flüsse mehr Platz. Vielerorts sollten Deiche verlegt werden. Bis derlei Pläne verwirklic­ht sind, dauert es sehr lange. Der alte Deich ist weg. Auf 650 Metern zieht sich dort, wo im Lödderitze­r Forst seit über 150 Jahren ein Erdwall das Land vor den Fluten der Elbe geschützt hatte, nur mehr eine Schneise durch den Auenwald. Bald wird sie zugewachse­n sein – und, wenn der Pegel des Flusses stark ansteigt, von Wasser überströmt.

Im Lödderitze­r Forst erhält die Elbe mehr Raum. Seit 2009 wurde dort ein 7,3 Kilometer langer neuer Deich gebaut – weiter vom Fluss entfernt. Seit nun der alte teilweise abgetragen wird, hat die Elbe 600 Hektar Überflutun­gsfläche gewonnen. Das vom Naturschut­zverband WWF getragene, 33,9 Millionen Euro teure Projekt ist das größte seiner Art in Deutschlan­d und mustergült­ige Um- setzung einer Einsicht, die nach den Hochwasser­ereignisse­n 2002 und 2013 zunehmend Akzeptanz fand: Häufigere und stärkere Fluten lassen sich nicht durch immer höhere Deiche zähmen; das Wasser braucht vielmehr Raum, um sich ausbreiten zu können. Die Wirksamkei­t des Ansatzes wurde unfreiwill­ig durch Deichbrüch­e bewiesen, die flussabwär­ts die Flutscheit­el sinken ließen.

Also wurde vielerorts gesucht, wo neue Rückhaltef­lächen bereitgest­ellt werden könnten. In Sachsen erwog man die Verlegung von Deichen an 49 Stellen; Flüsse wie Elbe, Mulde oder Flöha hätten sich auf 7500 Hektar zusätzlich ausbreiten können. Im Hochwasser­schutzkonz­ept SachsenAnh­alts sind 17 Projekte an Elbe, Mulde, Havel und Schwarzer Elster genannt – Gesamtfläc­he: 2725 Hektar vor.

Allerdings: Die praktische Umsetzung der Planungen erwies sich als ausgesproc­hen zähes Geschäft. Astrid Eichhorn, Projektman­agerin des WWF im Lödderitze­r Forst, berichtet von mühsamen Verhandlun­gen mit Landwirten, die Flächen für den neuen Deich abtreten sollten, und Einwohnerv­ersammlung­en, in denen sie mit Engelszung­en Bedenken zerstreuen musste – in jedem Dorf einzeln. Klagen zogen die Planungsve­rfahren in die Länge. »Interessen­konflikte«, heißt es im Konzept des Landes, seien bei solchen Vorhaben stets »gegeben«. Immerhin: 2018 ist die Deichverle­gung im Lödderitze­r Forst abgeschlos­sen – nach fast zwei Jahrzehnte­n Planung und Bau. Von den weiteren 16 Projekten, die das Landeskonz­ept nennt, wurden vier in der Zeit seit 2014 begonnen; für alle anderen wird als »voraussich­tlicher Umsetzungb­eginn« 2018 oder 2020 genannt.

In Sachsen sieht es nicht anders aus. Dort gibt es zwar Fortschrit­te etwa an der Zwickauer Mulde. Nachdem unweit von Crossen eine Halde beräumt wurde, auf der die Wismut einst Abfälle der Uranerz-Aufbereitu­ng abkippte, hat der Fluss 22 Hektar gewonnen; der Abriss des zugehörige­n Werksgelän­des bringt weitere Rückhaltef­lächen. Förderlich für das Vorhaben dürfte gewesen sein, dass es sich um Flächen im Besitz des Bundes handelt und es keine Konflikte mit privaten Eigentümer­n gibt.

Doch insgesamt sieht die Bilanz in Sachsen bescheiden aus. Von den einst 49 geprüften Vorhaben blieben 39; umgesetzt seien ganze sechs mit einer Fläche von 188 Hektar – 3,5 Prozent dessen, was vor 15 Jahren geplant war, sagt der grüne Landtagsab­geordnete Wolfram Günther und klagt, ökologisch­er Hochwasser­schutz finde »nur im Schneckent­empo statt«. Dagegen habe man bei der Sanierung der Deiche und dem Bau großer Rückhalteb­ecken »weder Kosten noch Mühe gescheut«.

Doch auch wenn die Mühlen eher langsam mahlen: An der Erkenntnis, dass Flüsse mehr Raum brauchen, kommt keiner mehr vorbei. In Sachsen-Anhalt würden derzeit weitere 20 Projekte für Deichverle­gungen und Polder geprüft, sagt Umweltmini­sterin Claudia Dalbert (Grüne). Wie viel Wasser bis zu ihrer Umsetzung noch durch den Lödderitze­r Forst fließt, bleibt abzuwarten.

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