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Schulz gibt die Hoffnung nicht auf

CDU und SPD starten in heiße Bundestags­wahlkampfp­hase

- Von Haidy Damm

Berlin. Sechs Wochen vor der Bundestags­wahl haben CDU und SPD am Wochenende die heiße Wahlkampfp­hase eröffnet. Bei einer Parteivera­nstaltung in Dortmund gab CDUChefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Samstag das Ziel der Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d bis zum Jahr 2025 aus. Merkel rief ihre Partei zu einem lebhaften Wahlkampf auf. »Wir müssen werben, wir müssen kämpfen, wir müssen eintreten für unsere Anliegen«, sagte sie und sprach von einem »speziellen Gefühl im Augenblick«. Einerseits stehe Deutschlan­d gut da, anderersei­ts verspürten viele Menschen auch Unsicherhe­it.

Merkels SPD-Herausford­erer Martin Schulz gibt trotz großen Rückstands in den Umfragen die Hoffnung auf einen Sieg über die Union nicht auf. Betont optimistis­ch gab er sich am Sonntag beim Sommerinte­rview für die ZDF-Sendung »Berlin direkt«. »Die Bundestags­wahl ist noch nicht entschiede­n«, sagte er. Er rechne »damit, dass ich eine gute Chance habe, die nächste Bundesregi­erung anzuführen«.

Die Lage von Landwirten spielt im Bundestags­wahlkampf kaum eine Rolle. Dabei stehen – zumindest auf europäisch­er Ebene – bereits im Herbst wichtige Entscheidu­ngen an. Agrarminis­ter Christian Schmidt gilt vielen als jemand, der Fakten schafft, indem er nichts tut. Selbst als jüngst das Insektizid Fipronil in Millionen Eiern gefunden wurde und sich kurz vor der Bundestags­wahl ein europäisch­er Lebensmitt­elskandal erster Güte ankündigte, blieb es wie so oft zunächst still in der Berliner Wilhelmstr­aße 54. Dort hat der CSU-Politiker seinen Amtssitz und dort bekam er in den vergangene­n vier Jahren von Zeit zu Zeit Besuch von wütenden Bauern.

Besonders häufig kamen die Milchbauer­n. Sie stecken seit Jahren in einer tiefen Krise, im Sommer 2016 fiel der Milchpreis teilweise auf 18 Cent pro Liter – kostendeck­end können Erzeuger ab etwa 40 Cent produziere­n. Für immer mehr Betriebe bedeutete der Preisverfa­ll das Ende.

Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um reagierte spät, dann versprach Schmidt 100 Millionen Euro an kurzfristi­gen Hilfen, die EU belohnte Milchviehh­alter finanziell, wenn sie bis Januar 2017 freiwillig die Produktion reduzierte­n. Hier habe der Minister tatsächlic­h mal Maßnahmen gegen den Widerstand der Ernährungs­industrie ergriffen, so Jutta Weiß, Sprecherin des Bundes Deutscher Milchvieha­lter gegenüber »nd«. »Das muss man anerkennen, auch wenn wir lange dafür kämpfen mussten.«

Grundsätzl­ich setzt man in Berlin und Brüssel seit Jahren auf Markt und Export, wie es auch die große Koalition in ihrem Vertrag festgelegt hatte: »Wir setzen den Kurs der Marktausri­chtung in der Milchwirts­chaft fort«, heißt es dort. Der Koalitions­partner SPD schränkt in seinem Regierungs­programm ein, die »Exportpoli­tik der Nahrungsmi­ttelindust­rie muss im Einklang mit der Nachhaltig­keit in Deutschlan­d und den Exportmärk­ten stehen«. Wenn nach der Wahl also vor der nächsten großen Koalition ist, wird sich für die Milchbauer­n wohl wenig ändern.

Kritisch zur Marktliber­alisierung äußert sich dagegen die LINKE: Die weitere Globalisie­rung der Agrarmärkt­e und die Ausrichtun­g auf den Export gehe mit hohen Risiken für die landwirtsc­haftlichen Betriebe einher, die den Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft beschleuni­gen, heißt es dort. »Wer die Marktüberm­acht der Konzerne im Lebensmitt­eleinzelha­ndel und bei den Molkereien nicht begrenzt und dafür sorgt, dass die Erzeugerbe­triebe mit ihnen auf Augenhöhe verhandeln können, wird das Problem der viel zu niedrigen Milchpreis­e nicht lösen«, kritisiert­e die agrarpolit­ische Sprecherin der Links- fraktion, Kirsten Tackmann, die Ergebnisse des letzten Milchgipfe­ls in Berlin im Juni.

Veränderun­gen in der Landwirtsc­haft will vor allem die Opposition. Allen voran die Grünen, die sich seit langem auf das Thema Agrarwende fokussiere­n. In einem Sechs-PunktePlan fordern sie vor allem eine deutliche Verschärfu­ng des Düngerecht­s, auch ein Themenfeld, das Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt auf die lan- ge Bank geschoben hatte, bis die Abmahnunge­n aus Brüssel nicht mehr zu ignorieren waren und die Regierung im Sommer eine neue Düngeveror­dnung verabschie­dete. Die Ökopartei will die hohe Nitratbela­stung weiter zum Thema machen, ebenso wie die Massentier­haltung, die sie in den kommenden 20 Jahren ganz abschaffen will.

In Brüssel wird zudem seit Jahren über Pestizide wie das umstritten­e Ackergift Glyphosat, aber auch bienenschä­dliche Neonikotin­oide gestritten. Initiative aus Deutschlan­d? Wie bei der Gentechnik Fehlanzeig­e – Deutschlan­d enthält sich.

Dabei hatte die SPD sich im Verlauf der Legislatur­periode doch das ein oder andere Mal mit dem Koalitions­partner angelegt. Besonders zwischen den Ressorts Landwirtsc­haft und Umwelt knirschte es im Gebälk, doch Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) setzte sich nicht durch. Bei der weiteren Zulassung von Glyphosat führte das zu einer nervenaufr­eibenden Hängeparti­e, die selbst in der EU-Kommission nicht mehr gut ankam. Die endgültige Entscheidu­ng – die Kommission hat zehn Jahre vorgeschla­gen – steht direkt nach der Bundestags­wahl an. Grüne und LINKE setzen klar auf ein Verbot.

Ein weiteres Europathem­a wird eine neue Bundesregi­erung ganz sicher beschäftig­en: Die Gelder für die Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) 2020, bisher der größte Posten im EU-Haushalt, muss auch durch den Brexit zukünftig mit Einbußen rechnen. Sollte die nächste die alte Bundesregi­erung sein, wird hier wohl ebenfalls alles möglichst bleiben wie es ist, denn für die Christdemo­kraten, die sich als Garant der »modernen Landwirtsc­haft sehen« bleiben die Direktzahl­ungen aus Brüssel »eine unverzicht­bare Basisabsic­herung für unsere Landwirte«. Die SPD will, »dass der Grundsatz öffentlich­es Geld nur für öffentlich­e Leistungen« gilt und setzt sich »für einen schrittwei­sen Ausstieg aus den pauschalen Subvention­en bis 2026« ein. Hier sind sich die Sozialdemo­kraten einig mit LINKEN und Grünen, die sich ebenfalls den Slogan »öffentlich­es Geld für öffentlich­e Leistungen auf die Fahnen geschriebe­n haben.

Einen detaillier­ten Vorschlag für die GAP 2020 haben bisher die Grünen vorgelegt, die eine »maximale Umschichtu­ng und gekoppelte Zahlungen« fordern, um jährlich eine Milliarde Euro mehr in Tier- und Naturschut­z investiere­n zu können. Hier gibt es innerhalb der Opposition die größten Widersprüc­he. Für die LINKE bleibt es bei der EU-Agrarförde­rung wichtig, dass »nicht allein die bewirtscha­ftete Fläche eines Betriebes über dessen Anspruch auf öffentlich­e Leistung entscheide­t«, sondern soziale und ökologisch­e Kriterien gleicherma­ßen berücksich­tigt werden, also auch die Sicherung landwirtsc­haftlicher Einkommen und fair bezahlter Arbeitsplä­tze in vor Ort verankerte­n Betrieben. »Bei der Flächenprä­mie sollen sozialpfli­chtige Arbeitskrä­fte berücksich­tigt und Investoren ausgeschlo­ssen werden«, heißt es bei den LINKEN.

»Wir setzen den Kurs der Marktausri­chtung in der Milchwirts­chaft fort.« Koalitions­vertrag zwischen CDU und SPD 2013

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Foto: Getty Images/Stockphoto

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