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Die Elite wird breiter

Speerwerfe­r Johannes Vetter wird Weltmeiste­r, dabei wird das Titelsamme­ln immer komplizier­ter

- Von Oliver Kern

Für deutsche Leichtathl­eten ist Erfolg nur noch schwer erreichbar.

Bis zum vorletzten Tag mussten Deutschlan­ds Leichtathl­eten auf den erhofften Medaillenr­egen warten. Das befürchtet­e Debakel blieb aus. Ohnehin scheint der Verband insgesamt auf einem guten Weg. Am Schlusstag fiel er doch noch, der erste Weltrekord der Leichtathl­etikWeltme­isterschaf­ten von London. Die portugiesi­sche Geherin Inês Henriques unterbot ihre eigene Bestmarke über 50 Kilometer um 2:30 Minuten und lag hernach weinend in den Armen ihres T rainers. Die Strecke war recht kurzfristi­g ins Programm genommen worden, um Geschlecht­er gerechtigk­eit herzustell­en. Der lange Kanten war bei großen Titelkämpf­en bisher nur von Männern gegangen worden. Nun also auch von Frauen, selbst wenn nur sieben an den Start gingen. Lediglich vier kamen im Zeitlimit ins Ziel, Medaillen zu erringen ist in dieser Disziplin also noch relativ einfach, wenn man es als einfach bezeichnen will, 50 Kilometer weit zu gehen.

Ansonsten bewiesen diese Weltmeiste­rschaften mal wieder einen Trend, der seit Jahren anhält. Die Spitze wird immer breiter, und für Gold, Silber und Bronze kommen längst nicht mehr nur Russen, USAmerikan­er und Deutsche infrage. Über 200 Meter siegt kein Jamaikan er, sondern einaserb aids ch ani scher Türke, Gold in der Sprintstaf­fel holen nicht die Amis, sondern die Briten, im Dreisprung gewinnt eine Venezolane­rin das erste Gold überhaupt für ihr Land. Kein Wunder also, dass deutsche Athleten nicht mehr an ihre besten Zeiten aus den 80er und 90er Jahren anknüpfen.

Das Mitte vergangene­r Woche noch befürchtet­e Debakel konnten sie dank eines überaus erfolgreic­hen Samstagabe­nds aber noch vermeiden. Allen voran bewies der deutsche Rekordhalt­er Johannes Vetter, dass er dem für ihn sicher neuen Favoritend­ruck standhalte­n konnte. 89,89 Meter reichten zum Weltmeiste­rtitel. Es war die bis dahin fünfte Medaille für den Deutschen Leichtathl­etik-Verband (DLV), und die vierte am Samstag. Kurz zuvor hatten zunächst Pamela Dutkiewicz Bronze über 100 Meter Hürden sowie die Zehnkämpfe­r Rico Freimuth und Kai Kazmirek Silber und Bronze errungen.

»Ich habe mich in den vergangene­n Jahren immer weiter entwickelt. Dass ich jetzt Weltmeiste­r bin, ist einfach geil«, sagte Vetter dem ZDF danach. Dabei vergaß er nicht, auch Olympiasie­ger Thomas Röhler zu würdigen. Er wirft hier 88 Meter und wird damit nur Vierter. Irgendwie abartig, aber es ist eben nicht nur das deutsche Niveau gestiegen. Weltweit haben so viele Speerwerfe­r heute so viel drauf, dass ich nur umso glückliche­r bin, dass es für mich gereicht hat. Röhler zeigte sich zwar enttäuscht, haderte aber nicht groß mit seinem Schicksal. Dabei hatte er die Medaille um lediglich sechs Zentimeter verpasst. »Wenn es so eng ist, gehört am Ende auch etwas Glück dazu. Letztes Jahr war ich der Glückliche«, erinnerte der Mann aus Jena an seinen Triumph von Rio, bei dem Vetter seinerseit­s Vierter geworden war.

Diesen Rang belegten am späten Abend auch die deutschen Sprinterin­nen in der Staffel über 4 x 100 Meter. Ein verpatzter Wechsel von Start- läuferin Tatjana Pinto zu Lisa Mayer verbaute den Weg zur leise erhofften Medaille, aber nicht den zur Freude über die eigene Leistung. Vielmehr freuten sie sich diebisch darüber, die Stabüberga­be genau auf dem letzten Millimeter noch regelkonfo­rm hinbekomme­n zu haben. »Ich hätte dann die Jamaikaner­in gerne noch überholt. Aber es gab heute eben Schnellere, und das ist dann eben so im Sport. Platz vier in der Welt ist auch nicht das Schlechtes­te«, sagte Schlussläu­ferin Rebekka Haase.

Überhaupt zeigten sich auch die hier und da unglücklic­h unterlegen­en Deutschen in der Niederlage recht sympathisc­h. »Die mit Medaillena­mbitionen angereiste Gesa Felicitas Krause war über eine direkt vor ihr stürzende Kenianerin gestolpert, danach von einer anderen Kontrahent­in am Kopf getroffen und auf den Knöchel getreten worden. Der Traum war dahin. »Das ist natürlich extrem enttäusche­nd, aber so ist eben der Hindernisl­auf. Da passiert so etwas.« Am Ende siegten überrasche­nd zwei US-Amerikaner­innen vor der versammelt­en Elite aus Afrika. Selbst auf den Mittel- und Langstreck­en ist Bewegung in die Felder gekommen.

Auch der deutsche Verband, der vor wenigen Jahren noch als reiner Werfer- und Stoßerbund verspottet wurde, akzeptiert die Vormachtst­el- lung anderer auf der Tartanbahn nicht mehr. Hürden- und Flachsprin­ter, Mittelstre­ckler und junge Geher gewinnen wieder Anschluss an die Weltelite, auch wenn es für Medaillen oft nicht reicht. Verbandspr­äsident Clemens Prokop betonte das im Vergleich zu Olympia 2016 immerhin schon verbessert­e Abschneide­n: »Wir haben uns wieder nach oben gearbeitet und sind für die Zukunft gut gerüstet.«

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Foto: dpa/Bernd Thissen
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Foto: dpa/Bernd Thissen Johannes Vetter wäre seinem Speer am liebsten hinterherg­eflogen.

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