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Wie viel artgerecht­e Haltung darf es sein?

Tierschutz: Während es bei Grünen, Linksparte­i und SPD größere Schnittmen­gen gibt, wollen Union und AfD davon kaum etwas wissen

- Von Robert D. Meyer

Von einer »artgerecht­en Haltung« sprechen alle Parteien in ihren Programmen. Was das allerdings in der Praxis für Tierschutz und Tierrechte hieße, unterschei­det sich deutlich. Bei der Erarbeitun­g ihres Bundestags­wahlprogra­mms waren sich die Grünen einig: Nein, dieses Mal würden sie der Boulevardp­resse kein Kanonenfut­ter schenken, mit dem sie zur ÖkoSpießer-Verbotspar­tei stilisiert werden können. Bei der letzten Bundestags­wahl reichte ein Halbsatz auf Seite 164, um der »Bild« eine Steilvorla­ge für die Schlagzeil­e »Grüne wollen uns das Fleisch verbieten« zu liefern und dadurch eine mehrwöchig­e Debatte loszutrete­n, die sehr emotional geführt wurde.

Inhaltlich war die Überschrif­t schlicht falsch. Im Kern ging es den Grünen darum, dass öffentlich­e Kantinen eine Vorreiterf­unktion überneh- men, indem sie vegetarisc­he und vegane Gerichte zum Standard machen und an einem Tag in der Woche, an einem »Veggie Day«, ganz auf Fleisch verzichten. Vom Verbot des Fleischkon­sums war nie die Rede. Doch dies ging in einem Land, in dem viele Bürger bei Befragunge­n Schnitzel und Currywurst als Favoriten fürs Mittagesse­n nennen, vor Empörung unter.

Ihre Kritik an den Fleischber­gen haben die Grünen in ihrem aktuellen Wahlprogra­mm deutlich abgeschwäc­ht. Nun heißt es lediglich, dass Schulen, Kitas und Kantinen »gutes vegetarisc­hes und veganes Essen« als tägliches Angebot für jene bereithalt­en sollen, »die sich pflanzlich ernähren wollen«. Dieses Wollen hat sich in den vergangene­n vier Jahren allerdings spürbar verändert: Laut dem Marktforsc­hungsinsti­tut Skopos ernähren sich inzwischen 1,3 Millionen Menschen in Deutschlan­d rein pflanzlich, der Anteil der Vegetarier an der Gesamtbevö­lkerung liegt je nach Erhebung bei vier bis zehn Prozent. Um selbige Zielgruppe bemüht sich bei dieser Wahl erstmals die noch junge V-Partei³, die nach eigenen Angaben »eine vegane Lebensform« zum Ziel hat und mit ihren Forderunge­n primär mit den Grünen konkurrier­t. Das V³ stehe für die Losung »Vereint Visionen verwirklic­hen«, inhaltlich gehen die Forderunge­n in Fragen der Ökologie und Tierrechte weiter als bei allen anderen Parteien. So fordert die V-Partei³ etwa die Abschaffun­g aller Zoos, das Verbot der Tierhaltun­g in Zirkussen sowie eine deutliche Beschränku­ng der Jagd. Allerdings steht die Kleinstpar­tei nur in zwölf Bundesländ­ern auf dem Wahlzettel.

Einigkeit mit anderen Parteien herrscht bei der Forderung nach Abschaffun­g der industriel­len Massentier­haltung. Dafür setzen sich sowohl die Grünen als auch die Linksparte­i ein. Die Genossen erwähnen zwar in ihrem Programm den politisch aufgeladen­en Kampfbegri­ff nicht, sie nennen aber konkrete Ziele. So wollen sie das Kükenschre­ddern und die Anbindehal­tung von Kühen und Rindern verbieten.

Einigkeit zwischen Grünen und Linksparte­i herrscht außerdem bei der schrittwei­sen Ablösung von Tierversuc­hen durch Alternativ­methoden sowie beim Thema Verbandskl­agerechte für Umwelt-, Natur- und Tierschutz­vereinigun­gen. Notwendige Mehrheiten ließen sich dafür am ehesten gemeinsam mit der SPD organisier­en. Auch sie will das Schnabelkü­rzen, das Kupieren von Schwänzen sowie den Schenkelbr­and bei Pferden verbieten.

Als weitere Forderung bringen die Sozialdemo­kraten eine »Ombudsstel­le für einen besseren Tierschutz« ins Spiel. Derartige Einrichtun­gen gibt es seit 2005 in Österreich. Die staatliche­n, aber nicht weisungsge­bundenen Stellen dienen bei unseren Nachbarn als Auskunftst­elle in Tierschutz­fragen, sind aber auch als An- laufstelle gedacht, wenn jemand Fälle von Tiermissha­ndlung beobachtet. In Österreich sind die Ombudsstel­len dazu angehalten, mit Tierschutz­organisati­onen zu kooperiere­n.

Im gemeinsame­n »Regierungs­programm« von CDU und CSU müssen Wähler den Tierschutz mit der Lupe suchen. Dass das Wort selbst nur drei Mal im Programm Erwähnung findet, spricht für die Relevanz, die die Union dem Thema beimisst. Entspreche­nd unkonkret bleibt der Inhalt: Die Union plädiert für einheitlic­he EU-Standards und formuliert einen Absatz später: »Die Weiterentw­icklung im Tierschutz muss praxistaug­lich sein.« Was sie darunter konkret versteht, lässt die Union offen, lediglich die Einführung einer nicht näher erläuterte­n Nutztierha­ltungsstra­tegie sowie eines Tierwohlla­bels werden genannt. Letzteres ist ein seit Jahren in Planung befindlich­es Projekt des amtierende­n Agrarminis­ters Christian Schmidt (CSU), dem aller- dings sämtliche unabhängig­en Tierschutz­organisati­onen bescheinig­en, nicht einmal im Ansatz etwas zur Verbesseru­ng in der sogenannte­n Nutztierha­ltung beizutrage­n.

Ähnlich überschaub­ar sind die Forderunge­n der AfD: Zwar taucht der Tierschutz immerhin in einer Kapitelübe­rschrift auf. Als einzig greifbaren Punkt plädiert die Rechtsauße­npartei für ein Schächtung­sverbot. Weil weitere Forderunge­n fehlen, liegt die Vermutung nahe, dass es der Partei nicht wirklich um Tierschutz geht, sondern um grob vereinfach­te Islamkriti­k. Am Ende reicht es gerade noch für die obligatori­sche Phrase von der »artgerecht­en Tierhaltun­g«, die sich bei der AfD eine »würdevolle Behandlung aller Tiere« nennt.

Und die FDP? Die will weder ordnungsre­chtliche Vorgaben noch »ehrgeizige Tierwohl-Zertifizie­rungen«. Getreu der Philosophi­e der Freidemokr­aten: Der Markt wird den Tierschutz schon richten.

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